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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 6
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Köster, Adolf: Thedje Soetbeer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0223

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hedje Soetbeer. Von Adolph Köftcr.

Jhr Kutscher rlecht nach dem Pferdestall. Das
ist nicht zu bestreiten. Und auch dies ist zuzu-
geben, daß sie ofst vielleicht sehr oft den Anschluß an
den Theaterzug versäumt. Und daß überhaupt ihr
Tempo behäbiger ist als das des dicken Bäckerö Thor-
waldsen. Ja, man kann ruhig sagen, wenn am jüngftcn
Tage die kleine Pferdebahn von Marylund Rechenschast
ablegen soll über ihr irdischeö Tun, dann wird sie ver-
legen wie ein hebräischcs Jod vor dem Richter des
Ms stehen und schuldbewußt und ohne Widerspruch
ihr Urteil in Empsang nehmen. Das kann man jetzt
schon sicher sagen. Aber ebenso sicher kann man hinzu-
sügen, daß in jencm Augenblick tausend Seelcn von
Marylund sich erheben werden und um Gnade für sie
slehn. Tausend und noch viel mehr. Denn alle, die
jemals in Marylund heimisch wurdcn, sind in scine
kleine Pferdebahn verliebt. Und die härtesten Schelt-
worte, die sie des verpaßten Anschlusses wegen um
sieben Uhr gegen diesen unansehnlichen Ruckelkasten
werfen, sind rein gar nichts gegen das Übermaß des
Lobes, das sie ihm spenden, wenn er sie abends
II Uhr 7 Minuten Straße für Straße sicher und würde-
bcwußt in ihre Behausungen wirft. Diese kleine Pferde-
bahn ist wirklich nichts andereö alS die wandcrnde
Seele vori Marylund. Und was für eine Seele. Wenn
einer aus Marylund verbannt würde und nun in der
Ferne begänne, eö von tiefster Seele zu hafsen und
gegen Marylund zu wüten — diese kleine Bahn würde
ihm immer dazwischen kommen. Sie würde ihn zum
Lächeln reizen und ihn so aussöhnen. Wir sagen,
wenn die kleine zersprungene Orgel in VogelSberg Bach
spielt, das ist garnichtS dagegen.

Wenn wir nunmehr unsere Blicke allein auf den
Schaffner dieses Bähnleinö richten, so sollt ihr nicht
glauben, daß das Übrige an ihr nicht wert wäre der
Beredung. Gott soll uns ftrafen: JedeS Rad an ihr
lohnt ein Gedicht. Und der Kutscher Haesloop eine
ganzc Novelle. Und wenn ihr uns Ieit gäbet, wir
wollten euch aus einer Zwanzig - Minuten - Rundfahrt
der kleinen Pferdebahn ein richtiges Romanbuch schreiben,
mit Handlung und Höhepunkt und tragischer Katastrophe.
Solche Bahn ift es. Und wir brauchen dazu nicht ein-
mal die Neun-Uhr-Fahrt, mit der die Mädchen aus
Marylund zur Stadt fahren, und auch nicht die Mittagö-
bahn, die schwer ist von dem Geklatsche der Mary-
lunder Frauen. Vielmehr gilt dies Angebot für jede
schläfrigfte Nachmittagstour im Hochsommer. Solche
Bahn ist eö.

Wenn wir nun gleichwohl Thedje Soetbeer heute
eines Sonderblickes würdigen, so hat das seine guten
Gründe. Nämlich er hat vorgestern die Siebzig über-
schritten, und so sicher die blauen Nderchen an seiner
Nase jährlich zahlreicher und dicker werden, so sicher
wächst die Möglichkeit, daß wir eines Tages im Mary-
lunder Tagcblatt auf jene schwarzumränderte Annonce
stoßen. Die kleine Pferdebahnglocke wird dann auch
»veiterhin vor den Häusern bimmeln. Und die Räder
iverden nach wie vor in den Schienen qnietschen, wo
es zum Charlottenwäldchen abbiegt. Aber Thedje Soet-

beers weißer Bart wird dann nicht mehr im Winde
wehen. Und wenn man von ihm redet, so wird es in
Legenden geschchn. Darum möchten wir ihm eins
singen, solange die Sonne von Marylund noch in
seinen müden Augen spielt.

Thedje Soetbeer war von Jugend auf für das
Feine gewesen. Wenn Gesellschaft war auf dem Gut,
und sein Vater die Gäste von der Bahn herankutschierte,
dann ftanden zwar alle Kinder des Gutes hinter den
Bäumen, die schönen Frauen zu sehen- Aber bci
Thedje Soetbeer war es mehr als Neugier. Thedje
Soetbecr verachtcte die Mädchen seines Standes, weil
ihre Iöpfe so stakig vom Kopf abstanden und ihre
Strümpfe nicht glatt und dünn waren. Dasür freute
er sich schon im Frühjahr auf die Sommerferien, wenn
die Töchter des Gutes mit ihren Freundinnen zu Be-
such kamen, und er, sauber gebürstet und hie und da
vielleicht ein wenig extra geschmückt, ihre Koffer tragen
durfte und zuweilen auch sie rudern auf dem langen
Mühlteich. Ob in den Soetbeerö ein altes Tröpfchen
herrschaftlichen Blutes rann, das sich in Thedje zu
neuem Wirken entschloß (denn die beidcn alten Soet-
beers waren stumpf und fteif), oder ob die Seele
Thedje Soetbeers zu den flüchtigen Neubildungen ge-
hörte, die sich um Blut nicht scheren und ihr Wesen
aus ihrer Umgcbung saugen, wer vermag das zu sagen.
Wir wiffen nur von jenem Sonnabend im Juli, wo
er sich die gelben Handschuhe angeschafft hatte, und daß
er, der sonst so lustig war, weinte, da die Mädchen
allein rudern wollten, und daß er.wirklich immer mehr
wie ein kleiner ftädtischer Galan aussah und immer
höflicher und liebenswürdiger gegen die Frauen sich be-
trug; und wenn auch die Töchter des Gutsherrn nur
in ihren entferntesten Gesprächen seiner gedachten, so
war doch die Tatsache nicht zu beftreiten, daß Paftorö
Lisbeth und Lehrers Marie nicht nur einmal wöchent-
lich seinetwegen auf den Gutshof kamen. Thedje Soet-
beer war eine Frohnatur. Er war sogar ein Leichtfuß
und oberflächlich. Er war so, daß der Sohn des
Pächters, der mit seinen vierzehn Jahren sehr traurige
Gedichte schrieb, sich im Gespräch mit der Gutstochter
über ihn höhnisch lustig machte. Aber der Leichtsinn
Thedje Soetbeers war in seinem Gesichte gerechtferti'gt
und in seinem Gang und in der Art, wie er Guten
Tag sagte. Man kann solchen Menschen nicht grollen.
Denn sie siegen über das Schicksal aus eigene Art.
Und zuweilen beffer als wir. Gleichwohl mußte ein-
mal der Augenblick kommen, wo Thedje SoetbeerS
flattcrndes Wollen sich an sei'nem kleinen Schicksal stieß.
Wenn er auch nie gedacht hatte, daß er seine galanten
Frauenträume auf der Hamburger Straßenbahn zu
Grabe fahren würde.

Es wurde nämlich nichts anderes aus dem liebens-
würdigen Kutschersohn. Iwar machte die Welle seines
Lebens zuerst ein paar nette Ansätze, einmal sogar
einen richtigen tollen Sprung, aber es reichte nicht aus,
mit ein paar Spritzern lag sie im Sande. Als Thedje
Soetbeer siebenundzwanzig Jahr alt war, wohnte er
im Hasselbroock für zweihundertundvierzig Mark Jahres-
miete und hatte eine schmuddelige Frau und zwei Kinder,
die ihm völlig gleichgültig waren.
 
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