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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 6
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Köster, Adolf: Thedje Soetbeer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0224

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Thedje Soetbeer.

Also em verpsuschtes Leben, werdet ihr sagen, ein
Meervogel, der vom Sturm gegen die Leuchte geworfen
wird, oder so.

Aber Thedje Soetbeer tut euch nicht den Gefallen.

Iwar kommt er abends recht mürrisch in die Schlas-
kammer. Und auch, wenn er einen freien Tag hat,
ist es bei ihm nicht, wie bei andern Schaffnern, näm-
lich Feststimmung mit den Kindern aus dem Schoß
und mit dem besten Anzug an und mit Kaffeetrinken
im Gehölz. Sondern er kramt unfroh in der Stube
herum, und sast sollte man meinen, er tüte lieber
Dienft alö sonft etwaö. Also was das Haus anbetrifft,
so konntet ihr recht haben.

Wie aber, wenn dieser mürrische Soetbeer erst be-
gänne in dem Augenblick, wo die Klinke zur Haustür
ihm sein Schicksal bewußt macht? Wie, wenn Soet-
beers eigentliches Leben sich auf der Pferdebahn ab-
spielte? Nicht aus der kleinen, die ihr schon kennt,
denn Soetbeer ist ja noch jung und er sährt in Ham-
burg die großen Stadtlinien. Wie, wenn es sich auf
diesen alten Hamburger Pferdebahnen abspielte, die den
meiften von euch kaum noch vertraut sind, den Wagen,
die mit ihren schwindelnden Stockwerken die Frühlingö-
zweige der Straßenbäume bestrichen? Wenn dem so
wäre, dann hätte ja Thedje Soetbeer auch in höherem
Sinne gegen euch recht. Und dann wäre ja vielleicht
auch sein Wesen gerettet und seine Begabung für die
seinen Frauen. Denn wo könnte ein Galanter unter
den kleinen Beamten wohl gtücklicher herrschen denn als
König eines Straßenbahnwagens? Und so gewiß der
tapsere kleine Schlepper dort mit dem weißen Schaum-
bart am Bug und den vier Kähnen hinter sich heute
abend nicht weiter als Brunshausen kommt — so und
nicht anders war es. Thedje Soetbeer, der Straßenbahn-
schaffner Nr. IZ7, trieb es in seiner Galanterie gegen-
über den Damen bis hart an die Grenze. Er trieb es
so weit, daß eines Tages in den Hamburger Ieitungen
ein gewisser Civis oder Verus sich zu slammendem
Proteft erhob. Freilich, ob eS gerade Thedje Soetbeer
war, dessen übergroße Galanterie das Eheweib jcneö
Civis gereizt, oder ob wir eö hier mit einem Sozial-
phänomen zu tun haben, das ein scharfsinniger Be-
obachter aus der Berufspsychologie der Straßenbahn-
schaffner herleiten könnte, das wagen wir nicht zu
entscheiden. Civis begnügte sich mit Allgemeinheiten
und spielte aus Nr. IZ7 nicht im geringsten. Wohl
aber ist ganz gewiß, daß Thedje Soetbeer im Grunde
d. h. also im höheren Sinne einzig von den schönen
Frauen lebte, die er suhr.

Die Arten von Thedje Soetbeers Liebenswürdigkeit
kletterten in zarten Absätzen von der bangen Zurück-
haltung gegenüber der stattlichen Frau des Fabrik-
direktors bis zu den begehrenden Blickcn, dic er dcr
Witwe Burrjahn nachwars, wenn sie am Graskeller
ausstieg. Darin zeigte sich ja unbedingt Thedje Soet-
beerö Talent am herrlichften: in den fest innegehaltenen
llnterscheidungen, mit denen er die einzelnen Frauen
seines Wagenö von einander sonderte. Er wußte ganz
genau, wie weit er bei jeder gehen konnte und welcheö
Register er bei jeder ziehen mußte, um neue Fäden
zu knüpfen und verliehene Gunft nicht durch Übermut

zu verscherzen. Nie wäre es ihm in den Sinn ge-
kommen, den Kießlingschen Töchtern aus der Hirtcn-
straße etwa beim Aussteigen die Hand zu bieten.
Thedje Soetbeer wußte, daß hier nur mit Worten ge-
arbeitet werden konnte. Nie hätte er auch daran
gedacht, der jungen Frau Doktor Twiefmeyer etwa
beim Geldwechseln die Hand — und wäre ihre klcinc
Hand auch mit Glacs überzogen — nur im geringften
zu berühren. Das hätte ihm bei ihr all und jedc
Chance verdorben. AnderS war es schon bei Madame
Bohlen. Obwohl sie reicher und schöner war als sast
alle seine Freundinnen, so wußte doch Soetbeer ganz
genau, daß eine hilfeleiftende Berührung ihreö Ober-
armes beim Einsteigen ihm durchaus nur Sympathien
einbringen konnte. Und nun gar die kleine dralle
Kassiererin von Alöberg oder das Tipp-Fräulein bei
Salomon — ein mehr oder minder leiseö Streisen
des Knies, wenn Soetbeer sich im Wagengang bei
ihnen aufhielt, eine warme Unterstützung der Taille,
die sich spätabendö zu einer regelrechten Umarmung
erheben konnte, dies waren kleine Freiheiten, die
Soetbeers Ruf - das wußte er - durchaus nicht
schadeten.

Aber wir möchten durchaus nicht, daß jemand
Soetbeer, wenn auch nur heimlich, des groben Epikuräis-
mus zeihe. Ob Soetbeer nicht viel glücklicher war,
wenn er aus langen, ruhigen Strccken, wie z. B. die
große Allee es ift, in der staunenden Betrachtung von
Frau Fabrikdirektors stolzem Lächeln sich verlieren konnte,
oder wenn er Donnerstag-Abends, wo die Kunstgewerb-
lerinnen beim Museum einstiegen, aus Lisawettas Munde
erhorchen durste, ob sie in der Konkurrenz gesiegt hatte,
das laffen wir durchaus dahingestellt. Wir geben zu,
die heimliche Freude, die Tbedje Soetbeer an den ver-
schiedenen Parfüms seiner Damen hatte — es gab
Damen, die er überhaupt nur nach dem Geruch ihres
Parsüms unterschied — wir geben zu, daß dieö sür
eine ausgebildete Smnlichkeit bei Thedje Soetbeer
sprechen könnte. Aber wiederum möchten wir die Frage
aufwerfen, welcheö waren die Chancen, die Thedje
Soetbeer bei den Kießlingschen Töchtern sich nicht ver-
derben wollte? War es nicht die reine Freude des
Wohlwollens oder auch nur der humanen Duldung?
Soetbeer war sreilich mit seinen 27 Jahren noch ein
strammer Junge, und von Witwe Burrjahn wie gesagt
wollte er vielleicht mehr als einen freundlichen Blick.
Anderseits brauchtet ihr doch nur Lisawetta und sie
zusammen in dicselbc Bahn setzen, um zu erkennen,
wohin es Soetbeer zog. Und dann noch eins, was
sür Soetbecrs ideale Anlagen redet: er empsand es als
eine Beleidigung, wcnn seine Fraucn ihm Trinkgeld
gaben. Bei Männern nahm er es gern. Denn seine
immer elegante Unisorm verschlang viel Geld. Auch
trug er immer einen weißcn Stehkragen, der am Halse
heraussah. Und eines Sonntags erschien er — ihr
mögt nun mit dem Kopse schütteln oder nicht — er
erschien in Lackstiefeln. Nicht eben total lackiert waren
sie, immerhin aber doch die Spitzen. Wie sollte er
nicht gern das Trinkgeld nehmen? Aber bei seinen
Frauen war ihm das peinlich, und je höher eine aus
seiner Stusenleiter stand, desto peinlicher wurde eö ihm.

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