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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 6
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Köster, Adolf: Thedje Soetbeer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0225

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Thcdje Soctbccr.

Es ift vorgekommen, daß er aus Trauer hierüber ganz
das Danken vergaß. Wir fragen: plädiert dieser Zug
nicht warm für Soctbeerö Größe? Und auch für
SoetbeerS Tragik? Denn nun kann es ja ruhig ge-
sagt werden: Thedje Soetbeer hatte freüich sehr tapfer
sein Schicksal am Genick gcpackt und im Verglcich mit
Schreiner Karstcn war er ein junger König. Aber es
gibt auch Sieger, die man bemitlcidet. Und Thedje
Soetbeer mochte noch so schncidig während der Fahrt
vorn ab- und hinten aufspringen, er blieb, was er an
jenem Iuli-Sonnabend war: ein Zeugnis dasür, daß
selbft der liebe Gott zuweilcn Fehler macht.

Von dem Elend in Soetbeers Haus wollen wir
lieber nichts crzählen. Auch dic zwci wirklich netten
Kinder verglich Soetbeers Grausamkeit ja sortwährcnd
mit den zierlichcn Puppen, die die Harvestehuder Straßen
in seine Bahn absetztcn, und das machte natürlich alles
viel schlimmer. Aber zu dem Schlimmften gehörte
doch, daß Thedje Soetbeer im Traum lange Reden
führte mit seinen Frauen — und daß Mite Langhain
dann daneben lag und wenn nicht erkännte, so doch
sühlte, wic clend Gott sie gcmacht. Andere Schaffners-
srauen suhren zuweilcn mit ihren Männern in die
Stadt. Mite Langhain durfte nicht einmal das Mittags-
brot nach der Halle bringcn.

Soetbeer, Soetbeer, werden die Leute von Mary-
lund nun denken, wer sieht das deiner behäbigen Ruhe
an? Und wir antwortcn ihnen für Soetbeer: Krast
ift da, daß sie gebrochen wird. Und wir allc geben
schließlich klein bei. Aber so wcnig das Alter eine
Strafe ist, so wenig die Jugend eine Schuld.

Heute besteigt der alte Soetbeer sein Bähnlein und
weiß kaum, wen er sährt. Damals waren für ihn die
Unterschiede in den Fahrten wie die Unterschiede bei den
Frauen. Soetbeer, Soetbeer, wie sreuteft du dich doch,
wenn die Theaterbahn kam. Wie schaudertest du, wenn
aus dem Abendmantel heraus ein schöner Arm dir den
Nickel reichte! Und du kanntest die Abonnenten-Tage
ganz gcnau. Und wie enttäuscht warst du, wenn die
Dienstmädchcn ftatt der Herrinncn kämen. Und dann
die Nachtbahnen, bcsonderS die letzten! Gcwiß, sie
konnten schläfrig sein und endlos vor Langeweile, so
schläfrig, daß setbst Soetbeern einc leise Freude beim
Gedanken an seine Wohnung kam. Aber das waren
wirklich nur Auönahmcn. Und zumeist gab es außer
dem gutcn Trinkgcld auch noch viele Frcude an lustigcn
Frauen. Wcnn dann die Gesichter der Herren wein-
froh glühtcn, und die Fraucn aus ihren Spitzentüchern
lachten, alö würden sie in die Hochzeit gefahren, dann
geschah eö wohl auch, daß sür Thedje Soetbeer cin
Bröcklein abfiel, oder er gar in ein lustiges Gespräch
gezogen wurde. Und mehr als eine seiner vielen Frauen
hat Soetbeer aus diese Manier erobert.

Soetbeers Licbe sür die feinen Frauen, das ist
Soetbeers Leiftung hienieden, ich meine, die ihm
keiner nachmacht, SoetbeerS Ewiges sozusagen, was
er dicser Wclt hintcrläßt, und was ihm als Plus
angeschrieben wird in dem Himmel, der über dem
andern liegt.

Von Soetbeers Gedanken über den Krieg von
I87O/7I wollen wir darum auch nichts erzählen. Denn

schließlich gab es in Podolien und Jngermannland
Leute, die ebenso darübcr dachten wie er. Wohl abcr
müffen wir hier noch einer etwas dunklen und wcit-
läufigen Angelegenheit Erwähnung tun, in der Soetbeer
auch die breite Offentlichkeit beschäftigt hat.

Jn einer Märznacht des Jahres I88Z wurde Fräu-
lein Raimunda Schlutius, Jnsassin deö Hospitals zuni
Heiligen Geift, bewußtlos an der Ecke vom Hammer
Steindamm und Hasselbroock aufgesunden. Und zwar
von dem Schaffner Thedje Soetbeer, der vom Markt-
platz nach Hause kam. Die Vernehmung ergab zu-
nächst, daß ein räuberischer llberfall vorlag. Jm Ver-
laus der Voruntersuchung jedoch schon tauchte die Frage
einer etwa beabsichtigten, aber aus wer weiß was sür
Gründcn nicht ausgesührten Vergewaltigung aus. Wenn-
gleich alle, die jene Dame näher kannten, diese Mög-
lichkeit (und zwar aus Gründen der Sache gewiffer-
maßen) bestritten, so liegt doch in dem Auftauchen
dieser Frage, wie auch in dem Umstand, daß schließlich
allein wegen versuchter Vergewaltigung Anklage erhoben
wurde, nichts weiter Ungewöhnliches. Völlig unbegreif-
lich ist nur, daß und wie Thedje Soetbeer in diesc
Angelegenbeit verwickelt wurde. Er wurde nämlich auf
soundsoviele langweilig zu erzählende Verdachtömomcnte
hin ganz regelrecht unter Anklage gestellt. Wir beab-
sichtigen hier beileibe nicht, daS juristisch Jnteressante
dieses Soetbeer-Prozesseö, der mit der glänzenden Frei-
sprechung des Angeklagten endigte, zu beleuchten. Viel-
mehr möchten wir — wenn auch nur auf Grund von
damaligen Zcitungsnotizen — diejenigcn Worte aus seincr
Verteidigungsrede hier aufbewahrfti, die sich gegen die
psychologische Möglichkeit eincs solchen Attentates seiner-
seits richten. „Jm wciteren Vcrlaus" — so berichten
die Blätter — „seiner ost von der Heiterkeit dcö Ge-
richtshofes unterbrochenen Verteidigungsrede verwahrt
sich der Angeklagte noch gegen die äfthetische Zumutung,
die in der Anklage gegen ihn gemacht wird. Fräulein
Raimunda Schlutius sei sowohl alt alö ärmlich, alS
auch häßlich. Er sei zwar ein einfacher Straßenbahn-
schaffner. Aber cr könnc bci Gott auch Frauen von
Frauen untcrscheiden. Er habe seit Jugend aus die Be-
kanntschaft höchst elegantcr Frauen genosscn. Wenn der
Krach damals nicht gekommen wäre, so ftände er ganz
sicherlich heute anderswo als auf dem Hintcrn (!) eines
Pserdebahnwagens. Das könnten sie man glaubcn.
Von der Hinfälligkeit der juristischen Konstruktioncn
des Staatöanwalts, die er vorhin beleuchtet habe und
mit denen er sich gleich noch beschäftigen werde, ganz
abgesehen, müffe er erklären, daß schon sein allgemeines
Verhältniö zur elegantcn Frauenwelt (Gelächter), jawohl,
zur eleganten Frauenwelt eine Schamlosigkeit wie dic
hier in Frage stehende sür ihn unmöglich mache. Er
wolle gern deutlicher werden. Ein Schaffner sei kein
Kutscher. Ob sie etwa glaubten, es wäre eine Kleinig-
kcit, verwöhnten Damen eö heimisch in einem Pfcrdc-
bahnwagen zu machen? Er wisse wohl, wie nian
seine Leute zu behandeln habe. Und wenn sie etwa
dächten, er hätte Ubersälle nötig, so wolle er ihnen nur
versichern, daß wenn er wirklich wollte, so könnte er
morgen mit einer Frau aus Harvestchude schlasen gehn.
(Heiterkeit. Dcr Vorsitzende ermahnt den Angeklagten,

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