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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 4
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Jacques, Norbert: Das Piratenkastell
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0147

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as Piratenkastell.

Von Norbert Jacques.

Durch Notwendigkeiten des Lebenö an die Stadt
gekettet, mit vielen heimlichen Leiden an ihr gehalten,
halb von ihr bezwungen und halb abgestoßen, tragen
wir latent die Sehnsucht in unö herum nach jenem
stillen Dorf, nach dem alten Städtchen, in deren trau-
licher Schönheit und entlegener Ruhe wir keusch dem
Gipfel unseres Lebens zuschreiten zu können glauben.
Aber wo liegt das Dorf, wo liegt das alte Städtchen?
Wo der Weg, der uns aus dem hochgespannten Strom
der Stadt heraus ihnen zuführt? Und wenn man
immer und immer wieder es nicht sertig bringt, sich
aus diesem Strom loszuwälzen, so schmilzt jene Sehn-
sucht schüchtern zusammen, vergeht niemals und sucht
mit froher Lust schon die paar Wochen auf, die uns
die Stadt dann und wann einmal einem fcrnen Winkel
überläßt. Die ersten Wünsche kommen, heimlich unter-
schlagen wir sie der Stadt, aber schnell nimmt es uns
wie ein Rausch. „Nie wieder zu ihr zurück!" schwören
wir, und der Haß kommt in unsere Herzen. Aber das
Piratenkastell der Stadt schickt seine Raubschiffe nach
unö und hat Späher, von deren subtilen Arbeiten wir
nicht den Stoß eines Atemhauches empfinden. Aus
einmal hat es uns wieder.

Jan Fock der Seefischer, der das vorletzte Häuschen
hinter dem langen Norderdeich auf der Elbinsel Finken-
wärder bewohnte, ließ Herbst und Winter seinen Ewer
aufliegen. Er war als der vorsichtigste Fischer dcr
Jnsel bekannt und zog vor, es mit den Spätherbst-
ftürmen nicht erst auszunehmen. Ich kannte seinen
Sohn Gorch, dessen Gaumen und geschäftliche Tüchtig-
keit im Dienfte eines Hamburger Kaffee-Jmporteurs
standen, und hatte über ein paar starke, schöne
Geschichten, die er hin und wieder in den Zeitungen
über seine Jnsel erzählt, Freundschaft mit ihm ge-
schlossen.

Meiner Sehnsucht nach langsameren, abgespannten
Stunden stellte Gorch den winterlich ruhenden Ewer
seines Vaterö zur Verfügung. An einem prallen Wind-
tag im Spätnovember suhr ich über die Elbe nach
Finkenwärder, wanderte mit einem Rucksack voll Alltags-
gebrauchsdingen, einem Geigenkasten unter dem Arm
und einem glücklichen Herzen im Buscn über den langen
Außcndeich bis ganz an die Nordspitze der Jnsel, dann
noch ein paar Schritte über den Sonnnerdeich, den der
reiche Neßbauer um seinen entlegenen Besitz gezogen
hatte, und sah hinter einer Schar alter Weiden den
Ewer einsam in einer kleinen Bucht liegen.

Jm Steven barg sich die kleine Koje. Jhre Wände
waren braun getäselt. Eine Bank schweifte niedrig,
fein lichtgrün gemalt, um drei Seiten. Auch der kleine
Tisch war grün. Die Decke weiß lackiert, von zwei
Balken durchwandert, hinter denen weiche tiefe Schatten
dämmerten, und ein Oberlicht lag silbrig und schwer
in ihr und goß die heimelige Helligkeit in den Raum.
Jn der braunen Täfelung staken Schiebetüren, hinter
ihnen verbargen sich die Bettcn, und seitwärtö der Ein-
gangstür stand der kleine alte Herd in der Ecke.

Auf ihm kochte ich mir die Störbärschchen, die ich
in der „Neßkul" — so hieß die Bucht, in der daS
Schiff lag — mit einem kleinen Netze fing, und Jan
Fock hätte gar nicht nötig gehabt, sich über mein leib-
liches Wohlergehen, soweit es durch Sattessen aufrecht
erhalten wurde, halb mit Spott, halb mit der diesen
Jnselbewohnern eigentümlichen gastfreundlichen Anteil-
nahme zu sorgen, wenn er des Frühmorgenö zu dem
kleinen „Klöhn" an Deck geklettert kam. Die meiften
Kosten des Klöhns hatte ich allein zu bestreiten.

Von dieser Viertelstunde am Frühmorgen abgesehen,
war ich immer allein auf dem Ewer.

Jch war ein Admiral.

Jch fuhr auf ihm, wenn ich nicht in der Koje saß,
auf und ab, vom Steven zum Bug, an dem Schein-
leit vorbei, über die Bedachung der Bühn, bis zum
Helmholz des Steuerruders, das ich immer mit einer
gewaltigen Bewegung über Deck und im Waffer sicb
wenden ließ, wenn eö nicht während der Ebbe im
Schlamm ftak. Und wieder zurück denselben Weg.
Der Großmaft und der Besanmast standen kühn über
mir im Himmel, als ginge wirklich die Fahrt, obgleich
die Bäume ftarr und ohne Segel aufrecht gerichtet
waren. Eine mächtige, einsame Fahrt!

Das Wandern des Lichtes, der unermüdliche Lebens-
strom der Farben, der Stimmungen, die Wolkenwelten,
die drängenden Wassermassen — waren das nicht immer
andere Länder? War nicht eine jede Stunde auf diesem
alten trotzigen Ewer in dieser süß einsamen Bucht der
lange Weg eines fliehenden Davonvers^nkens aus den
ruhelosen, zehrenden Straßen und Häustrn der großen
Stadt?

Und hier und da zog ein mächtiger Dampser die
Elbe hinauf. Jch sah ihn um die Ecke des hohen
leuchtenden Waldes von Ried und jungen Weiden, der
die Bucht von der Elbe trennte. Jn der Verlängerung
des Ewers ein engeö Dreieck wintergrüner Wiesen, ein
langer Schopf goldigen Riedeö, dann der Strom,
wunderbar ungeheuer, im Sturmatem verdüstert violett,
von grünlichweißen Gischtschlangen durchschlüpft. Drüben
sah man kein Ufer. Und der Wind ballte den Rauch,
der den Schornsteinen des Dampsers entfloh, zu langen
Wedeln, die in schwankenden, wütenden Drehungen in
die Luft schlugen, erst mit riesenhasten Bewegungen,
dann haltloö auöeinander berftend sich in Fetzen zer-
schleuderten und langsam in Licht und Luft vergingen.
Der Dampfer ftrebte ruhig und schwer weiter.

Und wenn ich dann wieder zum Bug zurückwanderte,
sah ich den Sommerdeich aus einer Allee alter Erlen
herauö bis anö Ufer meiner Bucht heran schwingen und
über eincm schmalen Wiesenstreisen weiter ziehn. Drunten
lief er in den Norderdeich, und hinter dem blätterlosen
Gestrich wintersdunkler Bäume leuchtete die schmale
Reihe der blanken Fischerhäuschen hinter dem Wall.
Das Land der Jnsel duckte sich tief und flach hinter
den Deichen. Abwäfferungökanäle durchschnittcn es in
regelmäßiger Folge. Das Wasser in ihnen hatte sich
grollend an dem dunkeln Regenhimmel entzündet,
leuchtete schwärzlich; der Boden schwer naß, quellend
üppig braun. Lange Reihen von Pappeln und Erlen
standen mit gebogenen Rücken und ließen den West-

>2?

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