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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 4
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Jacques, Norbert: Das Piratenkastell
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0148

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Das Piratenkastell.

wmd über sich wegsausen. Schwarzdunkel lagen hier
und dort, von einem Rahmen dunstiger Baumgerippe
umschlossen, die hohen Schilfdächer der paar Herren-
bauernhäuser der Jnsel, und man dachte an Hünen-
gräber, wcnn über ihrer plumpen Schwere und der
Flachheit des Landes der Sturmhimmel hing, der sich
unter den jagenden schwärzlichen Wolkenlasten schwer
niederwärts bog.

An andern Stunden trieb die Flut den Ewer hoch,
und ich sah über den Wald von Schilf und Weiden
hinweg bis in den fernen Hamburger Hafen hinaus.
Die Elbe, im Lichte eines weißen, glänzenden Wolken-
himmels in blaffen Farben leuchtend, trieb voll brauner
Segel, die windan kreuzten. Dampfer wälzten daher
und warnten mit brummig hestigen Stimmen. Die
Hügel des andern Ufers waren ein wintergrauer Streifen,
dunkel, ein strichiges Kanevas, in das blätterlose schwärz-
liche Wäldchen und kühl blanke Villen gewebt waren,
bis Blankenese kam und leuchtend wie ein poetischer
Einsall seine gewundenen Hügel hinauflag. Noch ein
einsames dunkeles Ende Abhang mit Wald, dann der
unglaublich schlanke weiße Bur'sche eines Leuchtturms,
und das Land slog eben, unübersehbar und im Herbst-
dunst zitternd ausgelöst, auf gleicher Höhe mit dem
Strom in den Horizont.

Zur Jnsel zurückkehrend: Wie ein Band in den
Lüsten flattern die Windungen des gelben Wegs auf
dem Scheitel des Deichs in die Jnsel hinein. Es ge-
schieht ein glanzvolles Sich - in - die - Arme - sinken von
Waffer, Land und Wolken, während daS pralle, herbe
Licht der Sonnenwolkenstunde zusammenschlägt. Der
Wind ist voll würzigen Wafferdunfteö. Die Gräben
der Acker blank, wie lange helle Augen. Die Bäume
singen sausend. Der Wind ist jungstöhlich, und die
Jnsel hängt in der weißen, nassen Weite, wie ein
Schiffsdeck in kräftiger lichtvoller See. Aber zwischen
den Bäumen schaut von der Weite her etwas herüber,
und langsam löst sich das blaue dunstige Rätsel hinter
den Bäumen, und die hannöverschen Berge stehn mit
blauen Augen, die die Sehnsucht süllt, serne, unberühr-
bar im jungen Herbsttag.

Oder wenn die Elbe in der Nacht rauscht! Mit
singenden, plaudernden Klängen gurgeln die Wellchen
am Steven, ein unerschöpflicher Tonreichtum. Ein
süßes, heimliches Lied meiner ftillen Einsamkeit. Ich
fteige dann ost in die Wanten hinauf und sehe über
Ried und Weiden hinweg die Nachtelbe. Wo sie drunten
verschwindet, winden und verwirren sich blinkende Lichter-
ketttzn, und ein breiter Berg roten Dunstes steht im
Nachthimmel und ist etwas, wie ein gefährliches, riesen-
hafteö Piratenkastell. O, ich weiß wohl, Stadt, du
bist eö! Und wie bin ich dir entflohn! Jch singe in den
Wind hinein: „Entflohn!" Er packt mich mit starkcn
Armen an und schreit mir inö Herz: „Rette auch die
du liebft in unsere Einsamkeit!" Jch denke dann voll
ruhiger Zärtlichkeit an dich, du blonde kleine Frau, lege
mich aufs Deck nieder, um besser den singenden, reichen
Plauderton der Wellchen zu hören, die gurgelnd an
den Steven gewandert kommen, und auch wir beide
wandern zu fernen Einsamkeiten. Wie ftark fühle ich
in solcher Stunde die Süße meiner flüchtigen Gedanken!

Oder wenn die erste Graustunde des Morgens mit aus-
geruhten Riesengliedern über Strom und Jnsel steigt und
nach und nach zum jungen Arbeitstag der Erde wird ...

Wahrhaftig bin ich ein Schiffer nach stemden,
immer neuen Landen auf meinem Ewer, der an vier
Ankern zum Überwintern an die Neßkul gekettet ist.

Fast nur im Beginn des Abends wanderte ich,
jeden zweiten Tag vielleicht, den Norderdeich hinab, an
den vielen kleinen Häuschen vorbei, und machte meine
paar Einkäufe. Die Frauen lehnten in den Türen, und
die Männer standen den Deich ein, die Hände hinter
den Hosenklappen und immer in reinlichen blauen
Hemden; denn Jacken verschmähten sie. Unbedeutend
und srühalt war das Aussehen der Weiber. Aber die
Männer! Gesichter, wie Natur sie in Felsen schlägt!
Wind, Regen, Waffer, Sturm, Meer! Nachher habe
ich mir immer eingebildet, ein jedeö der Fischergesichter
würde dem trotzigen, plumpen Ewer gleichen, den eö
so oft durch Sturm und sonnige See geleitet. Derbe
Nasen, ein Kinn wie aus einer Eichenplanke, Bart-
knollen drunter wic Fäuste. Und dennoch nichts Rohes
und m'chts Rauhes, denn es standen noch Augen in
den Gesichtern, und diese Augen hatten die blaue Zart-
heit der Myosotis und die in der Ferne ruhende
Sehnsüchtigkeit einer blauen Küste auf dunstigem Meer.
Wenn eS stilles Wetter war, ging das Gespräch leise
und selten, und bei Sturm schrieen die Stimmen über
den Deich, selbst wenn die Sprechenden nahe beisammen
waren.

Die Leute hörten auf zu reden, wenn ich kam, und
musterten mich vorsichtig und neugierig. Später grüßten
sie mich mit einem kargen „Guten Abend" und schauten
spöttisch hinter mir drein, denn Paul Ba'usen hatte
ihnen doch erzählt (Paul Ba'usen war die „Zeitung"
der Jnsel, aber er hatte Phantasie):

„Hei all von dem verrückten Schriftsteller von

Jan Fock sienem Ewer hürt? Morgens lopt he nokt
ut de Koi, denn jumpt (wirft) he in de Neßkul un
swümmt dor een halbe Slünn rüm. Den holt (zieht)
he sich in de Mast un lätt sich een halbe Stünn
dreugen (trocknen); denn fiert (läßt) he sich weder dol
(herunter) un denn fangt he an to schrieben."

Jan Fock hatte mir Paul Ba'usenö Nachricht gleich
am Morgen zum „Klöhn" gebracht, und sein pfiffiges
Gesicht, aus dem die See jeden überflüssigen Iug

herausgesaugt hatte, daß es^wunderbar plaftisch und
von kräftiger Männerschönheit war, lächelte mich von
seitwärts an. Jch fühlte bald herauö, mit welcher
Freude eö ihn erfüllte, daß mir das Leben in dem
Ewer, in dem er dreißig Jahre lang arbeitete, gefiel.
Am Nachmittag sah ich dann hier und da einen Fischers-
mann schwerfällig, schaukelnd und die Hände hinter

den Hosenklappen über den Deich kommen. Das

wunderte mich, denn ich hatte nie jemand anders auf
dem Deich gesehen, als die Knechte des Neßbauern.
Aber die Fischer schaukelten vorüber, als hätte ich nichts
mit ihrem Gang über den entlegenen Sommerdeich zu tun.

Jch versteckte mich dann einmal hinter das Nacht-
haus und beobachtete durch einen Spalt einen neucn
Besucher. Er kam gleichgültig heran, blieb geradc ober-
halb des Ewers stehn, und als er das Rauchwirbelchen
 
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