Über die Lyrik Adolf Freys.
„minder als Leib und mehr als Geift"; Kopisch greist und
haut derb zu, Frey ist auch in den volkötümlichen Stücken
der Patrizier vom Stamme Conrad Ferdinand Meyers.
Die genrehafte Wirkung der Freyschen Dichtungen
hängt aber auch zusammen mit Mängeln seineS Talentes.
Auch Keller eignet ein Element, das man genrehast
nennen könnte: das Realiftisch-Diesseitige in seinem
Wesen, die Freude am Anmutigen und Iierlichen, das
Idyllische im Gegensatz zu dem Heroischen, das den
Grundcharakter Meyers bildet. Und dennoch wird um
gemein ost bei Keller die zunächstliegende genrehafte
Wirkung übertroffen und ganz Großeö geschaffen. Auch
Frey hätte aus der Überlieserung vom „Narren des
Grafen von Zimmern" ein anmutiges Stück gemacht, wie
sein liebliches Gedicht „Das Finklein" beweift, das von
Kellerscher Zierlichkeit und speziell dem Narrengedicht
innerlich verwandt ift. Aber Keller erreicht bei aller
Anmut in der letzten Strophe eine hehre und sromme
Größe des Tones und der Vision, die in dem Empfäng-
lichen einen allertiefsten Zubel emporquellen macht.
Ganz im Gegensatz hierzu weiß Frey bisweilen
seine Erfindungen nicht recht zu verwerten, ihnen keine
tiesere Bedeutung zu geben, sodaß sich nicht selten das
Gefühl einer gewissen Ergebnislosigkeit einstellt. Etwa
die Gletschervision des „Gemsjägerö" ift zunächft vor-
trefflich erfunden und mit Deutlichkeit gebildet: in den
grünen Kriftall der Firne eingeeist schimmert ein Weib,
ihr Haupt ragt über das Eis empor, und sie singt ein
klagendes Lied; vergleicht man dies Bild aber mit der
verwandten Vision der Kellerschen Nixe, die mit ersticktem
Jammer an der gestorenen Eisdecke überm See entlang
taftet, so erkennt man den Unterschied im spezifischen
Gewicht der beiden Gedichte: dort erkennt der Jäger
in der Erscheinung seine srühgestorbene Geliebte wieder,
eine durcbaus dürftige Verwertung und Deutung der
Vision, während die Kellersche Nixe ein Sinnbild jeglicher
gesangenen Sehnsucht ist. Und so entfteht aus diesem
Mangel an tieferer Bedeutung eben eine nur genrehaft-
sabulierende Wirkung, wo eine ftärkere geiftige Persön-
lichkeit eine symbolisch-monumentale Wirkung erzielt hätte.
Am meisten finden sich Elemente solcher Art in dem
„Totentanz": die Vision des Todes, der den toten
Feldherrn wie ein sremder Marschall, der zu Gast
gekommcn ift, durchs Lager begleitet, ist voll Größe.
An dichterischer Erfindung ist dieser Teil überhaupt am
reichsten. Jn vielen Gestalten zieht der Tod vorbei: er
malt die Kurve, die An- und Absteigen des Fiebers
darstellt; er zeichnet als Waldwart die Bäume, die
gefällt werden sollen; er spielt auf beinerner grauer
Flöte ein Schlummerlied. Wie in einem Gedicht Heinrich
Seidels zieht „Der Iug des Todes" vorbei; aber das
Freysche Gedicht ist jenem unendlich überlegen, weil cs
in wirklicher selbständiger Sprachkunst eine visionäre
Dämmernis über die Schreitenden zu gießen vermag.
Es verhält sich zu dem Seidelschen Gedicht wie die
Bilder neuerer Maler, die verstehen, Atmosphäre zwischen
den Dingen zu erschaffen, zu älteren Bildern, wo sie
stumpf und hart nebeneinanderstehen.
Jm atlgemeinen erscheint der Tod bei Frey selten
als Freund, wie aus Rethels Holzschnitt oder in Ave-
narius' Gedicht „Der Gruß", sondern böse und grausam.
Er spielt, es nieder- und emporblasend, mit einem Flämm-
chen; er rollt eine Lawine aus einen Bahnzug und „tanzt
und sreut sich wie ein Gaffenbube". Und so ergeben sich
aus seinen grinsendenGrimassen folgerichtig allerlei groteske
Bilder: das Gerippe eines Verschütteten, bei der Schnee-
schmelze ausgegraben, sitzt da, und die Goldplättchen
zwischen den Zähnen schimmern im Sonnenschein; oder:
eine Falle ist auf dem Hauöboden zwischen ausgespannten
Frauenhosen aufgestellt, die Maus zupft den Speck
und entwischt ungefährdet; der Tod, geprellt, doch ver-
gnügt über das niedliche Tier, ftellt sich aus den Schädel
und ftreckt die Beine durch die Frauenhosen empor.
Auch mit dieser Neigung zum Grotesken und Absonder-
lichen berührt sich Frey mit Keller; doch möchte man
in diesem Punkte nicht so sehr an eine Abhängigkeit,
als an eine nationale Eigentümlichkeit denken. Schweizer
Dichter haben gern eine Neigung zum Bizarren und
Krausen; sie ist auch bei Spitteler erkennbar. Bei
Conrad Ferdinand Meyer sehlt sie fast völlig, scheint
aber etwa in dem Gesang der kopslosen Mönche, viel-
leicht auch im „Schuß von der Kanzel", hindurch, und
es ist bezeichnend, daß er in seiner brieflichen Beurtei-
lung der Freyschen Lyrik äußert, an dem Grellen ein
besonderes Wohlgesallen zu» haben. Von diesem ganzen
Komplex dichterischer Bizarrerie gilt, was Storm ein-
mal an Keller über seine krausen Einfälle schreibt:
„Jch stcmme dann die Hände, sehe ruhig zu und denke:
Ja, ja, der Gottfried muß erst seinen Spaß zu Ende
machen!" Die Gefahr ist aber, daß die grotesken Orna-
mente und Arabesken die Konstruktion überranken, daß
das Barocke, an sich schon eine gewisse Entartung,
wuchert, und so hat Meyer, folgerichtig, den Stil-
mancher Kellerschen Sachen mit dem „Stil einer
Jesuitenkirche" verglichen. Dieser Gefahr ist auch Frey
nicht entgangen; aber anderseitö verdanken wir seinem
Streben nach unbedingt deutlicher Anschauung und
Prägnanz, seiner Freude an sorgsamem Ausmeißeln
seincr Ranken und Türmchen und Iierate eine Fülle
von überraschenden Anschauungen: „Das Echo sängt
den Silberball der Lieder", „des Lieds und ScherzeS
Iierat bröckelt ab", der Walzer „klingelt", „es gluckt
und sprudelt der Wachtelschlag", das Rad des Dampfers
„quirlt", das Fenster deö Jrrenhauses „glotzt", es
sprüht „der Silberkörnerwurf deö Droffelschlags".
Während somit im Großen die Richtlinien der
Freyschen Gedichte durch seine beiden hohen Lands-
genossen bestimmt sind, hat er im Einzelnen viel aus
eigenem Vermögen darzubieten. Er vereinigt manches
von dem strengen Stil Meyers mit der zwangloseren
Realistik Kellcrs, und bringt zugleich die Meyersche
Tradition in stärkerem Maße, alö es Meyer selbft getan
hat, in Berührung mit volkstümlich-deutschen Uber-
lieferungen. So ergänzt seine Sammlung die Meyersche
ins Spukhafte, Groteske, Burleske, Drastische. Diese
Gedichte stammen gewissermaßen von einem Conrad
Ferdinand Meyer, dessen Wesen nicht monumentaler,
sondern genrehaftcr Art ist, und dokumentieren sich so-
mit als Schöpsungen eines edlen und nicht geringen
Talents, das in der Schule eines Genies die bestimmende
Anregung empsangen und sich an seineni Beispiel er-
zogen und geläutert hat. Ernft Lissauer.
„minder als Leib und mehr als Geift"; Kopisch greist und
haut derb zu, Frey ist auch in den volkötümlichen Stücken
der Patrizier vom Stamme Conrad Ferdinand Meyers.
Die genrehafte Wirkung der Freyschen Dichtungen
hängt aber auch zusammen mit Mängeln seineS Talentes.
Auch Keller eignet ein Element, das man genrehast
nennen könnte: das Realiftisch-Diesseitige in seinem
Wesen, die Freude am Anmutigen und Iierlichen, das
Idyllische im Gegensatz zu dem Heroischen, das den
Grundcharakter Meyers bildet. Und dennoch wird um
gemein ost bei Keller die zunächstliegende genrehafte
Wirkung übertroffen und ganz Großeö geschaffen. Auch
Frey hätte aus der Überlieserung vom „Narren des
Grafen von Zimmern" ein anmutiges Stück gemacht, wie
sein liebliches Gedicht „Das Finklein" beweift, das von
Kellerscher Zierlichkeit und speziell dem Narrengedicht
innerlich verwandt ift. Aber Keller erreicht bei aller
Anmut in der letzten Strophe eine hehre und sromme
Größe des Tones und der Vision, die in dem Empfäng-
lichen einen allertiefsten Zubel emporquellen macht.
Ganz im Gegensatz hierzu weiß Frey bisweilen
seine Erfindungen nicht recht zu verwerten, ihnen keine
tiesere Bedeutung zu geben, sodaß sich nicht selten das
Gefühl einer gewissen Ergebnislosigkeit einstellt. Etwa
die Gletschervision des „Gemsjägerö" ift zunächft vor-
trefflich erfunden und mit Deutlichkeit gebildet: in den
grünen Kriftall der Firne eingeeist schimmert ein Weib,
ihr Haupt ragt über das Eis empor, und sie singt ein
klagendes Lied; vergleicht man dies Bild aber mit der
verwandten Vision der Kellerschen Nixe, die mit ersticktem
Jammer an der gestorenen Eisdecke überm See entlang
taftet, so erkennt man den Unterschied im spezifischen
Gewicht der beiden Gedichte: dort erkennt der Jäger
in der Erscheinung seine srühgestorbene Geliebte wieder,
eine durcbaus dürftige Verwertung und Deutung der
Vision, während die Kellersche Nixe ein Sinnbild jeglicher
gesangenen Sehnsucht ist. Und so entfteht aus diesem
Mangel an tieferer Bedeutung eben eine nur genrehaft-
sabulierende Wirkung, wo eine ftärkere geiftige Persön-
lichkeit eine symbolisch-monumentale Wirkung erzielt hätte.
Am meisten finden sich Elemente solcher Art in dem
„Totentanz": die Vision des Todes, der den toten
Feldherrn wie ein sremder Marschall, der zu Gast
gekommcn ift, durchs Lager begleitet, ist voll Größe.
An dichterischer Erfindung ist dieser Teil überhaupt am
reichsten. Jn vielen Gestalten zieht der Tod vorbei: er
malt die Kurve, die An- und Absteigen des Fiebers
darstellt; er zeichnet als Waldwart die Bäume, die
gefällt werden sollen; er spielt auf beinerner grauer
Flöte ein Schlummerlied. Wie in einem Gedicht Heinrich
Seidels zieht „Der Iug des Todes" vorbei; aber das
Freysche Gedicht ist jenem unendlich überlegen, weil cs
in wirklicher selbständiger Sprachkunst eine visionäre
Dämmernis über die Schreitenden zu gießen vermag.
Es verhält sich zu dem Seidelschen Gedicht wie die
Bilder neuerer Maler, die verstehen, Atmosphäre zwischen
den Dingen zu erschaffen, zu älteren Bildern, wo sie
stumpf und hart nebeneinanderstehen.
Jm atlgemeinen erscheint der Tod bei Frey selten
als Freund, wie aus Rethels Holzschnitt oder in Ave-
narius' Gedicht „Der Gruß", sondern böse und grausam.
Er spielt, es nieder- und emporblasend, mit einem Flämm-
chen; er rollt eine Lawine aus einen Bahnzug und „tanzt
und sreut sich wie ein Gaffenbube". Und so ergeben sich
aus seinen grinsendenGrimassen folgerichtig allerlei groteske
Bilder: das Gerippe eines Verschütteten, bei der Schnee-
schmelze ausgegraben, sitzt da, und die Goldplättchen
zwischen den Zähnen schimmern im Sonnenschein; oder:
eine Falle ist auf dem Hauöboden zwischen ausgespannten
Frauenhosen aufgestellt, die Maus zupft den Speck
und entwischt ungefährdet; der Tod, geprellt, doch ver-
gnügt über das niedliche Tier, ftellt sich aus den Schädel
und ftreckt die Beine durch die Frauenhosen empor.
Auch mit dieser Neigung zum Grotesken und Absonder-
lichen berührt sich Frey mit Keller; doch möchte man
in diesem Punkte nicht so sehr an eine Abhängigkeit,
als an eine nationale Eigentümlichkeit denken. Schweizer
Dichter haben gern eine Neigung zum Bizarren und
Krausen; sie ist auch bei Spitteler erkennbar. Bei
Conrad Ferdinand Meyer sehlt sie fast völlig, scheint
aber etwa in dem Gesang der kopslosen Mönche, viel-
leicht auch im „Schuß von der Kanzel", hindurch, und
es ist bezeichnend, daß er in seiner brieflichen Beurtei-
lung der Freyschen Lyrik äußert, an dem Grellen ein
besonderes Wohlgesallen zu» haben. Von diesem ganzen
Komplex dichterischer Bizarrerie gilt, was Storm ein-
mal an Keller über seine krausen Einfälle schreibt:
„Jch stcmme dann die Hände, sehe ruhig zu und denke:
Ja, ja, der Gottfried muß erst seinen Spaß zu Ende
machen!" Die Gefahr ist aber, daß die grotesken Orna-
mente und Arabesken die Konstruktion überranken, daß
das Barocke, an sich schon eine gewisse Entartung,
wuchert, und so hat Meyer, folgerichtig, den Stil-
mancher Kellerschen Sachen mit dem „Stil einer
Jesuitenkirche" verglichen. Dieser Gefahr ist auch Frey
nicht entgangen; aber anderseitö verdanken wir seinem
Streben nach unbedingt deutlicher Anschauung und
Prägnanz, seiner Freude an sorgsamem Ausmeißeln
seincr Ranken und Türmchen und Iierate eine Fülle
von überraschenden Anschauungen: „Das Echo sängt
den Silberball der Lieder", „des Lieds und ScherzeS
Iierat bröckelt ab", der Walzer „klingelt", „es gluckt
und sprudelt der Wachtelschlag", das Rad des Dampfers
„quirlt", das Fenster deö Jrrenhauses „glotzt", es
sprüht „der Silberkörnerwurf deö Droffelschlags".
Während somit im Großen die Richtlinien der
Freyschen Gedichte durch seine beiden hohen Lands-
genossen bestimmt sind, hat er im Einzelnen viel aus
eigenem Vermögen darzubieten. Er vereinigt manches
von dem strengen Stil Meyers mit der zwangloseren
Realistik Kellcrs, und bringt zugleich die Meyersche
Tradition in stärkerem Maße, alö es Meyer selbft getan
hat, in Berührung mit volkstümlich-deutschen Uber-
lieferungen. So ergänzt seine Sammlung die Meyersche
ins Spukhafte, Groteske, Burleske, Drastische. Diese
Gedichte stammen gewissermaßen von einem Conrad
Ferdinand Meyer, dessen Wesen nicht monumentaler,
sondern genrehaftcr Art ist, und dokumentieren sich so-
mit als Schöpsungen eines edlen und nicht geringen
Talents, das in der Schule eines Genies die bestimmende
Anregung empsangen und sich an seineni Beispiel er-
zogen und geläutert hat. Ernft Lissauer.