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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 1
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Lux, Joseph August: Kunstgenuss im Automobil
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0037

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Kmistgmuß im Automolul.

sonnenen kleinftädtischen Gemäuern mit den wurm-
ftichigen alten Möbeln, und den unsanitären, ganz
unerträglichen, unkomsortablcn Zuständcn der alten
Nester. Heimatkunst? Potemkinsche Dörscr, nichts
weiter. Eine modcrne Sentimentalität. Schön anzu-
sehen zwar, aber nicht um darin zu wohncn. Ein
Museum. Künstlerisch und historisch ein dankbares
Objekt, wenn auch das meiste praktisch nicht mehr zu
brauchen ist. Wir sind geschult genug, in süns oder
zehn Minuten das Wesentliche gesehen zu haben.
Länger bleibt man auch in der Ausstellung vor cinem
Bilde nicht stehen. Die Künstler bcklagen sich darüber,
aber ich verstehe nicht warum. Wer eö nicht aus den
erften Blick sieht, sieht es nie. Am längften zehrt die
Erinnerung daran. In diesem unermeßlichen Speicher
mag es ruhen. Darum empfiehlt der Kunftwanderer
im Automobil seine Seele dem Chauffeur, und läßt eS
sausen, was das Dynamoherz und die Benzinlunge
dieses raffiniert intelligenten Kraftwesens nur vermag.
Es ist nicht gcschaffcn für den zahmen Trab und zittert
nervöö in allen Flanken. Erft auf offener Landstraße
im schneidigen Dahinpeitschen ist eö in seincm Element.

E6 ist immer so: in dcr erstcn Viertelstunde macht
man sein Teftament, in der zweiten findet man die
Sache schön, und in der dritten kanns nicht schnell
genug gehen. Mannheim liegt hinter uns, Gott sei
Dank! Die Heimatschützler und die Denkmalpfleger
waren dort beisammcn und haben tagelange Reden ge-
halten, ehrwürdig lange Redcn! Jch bin verworscn
genug zu gestehen, daß mir eine Viertelstunde Auto-
mobÜ lieber ist als die längste Rede. Das Töff-Töff
war cine Erlösung. Wir freucn uns auf Heidclberg!
Mit Siebcnmcilenstieseln kam eö angestürzt und stolperte
vorüber wie eine lebendig gewordene Riesenansichts-
karte, mit den Scharen von Engländern, Franzosen und
Deutschen, die den industrialisicrten Kunstgcnuß nach
den Angaben der zahllosen Tascln, Ausschriften, Weg-
weiser, Führer und Eintrittskarten mit gewiffenhafter
Gründlichkeit verdauten. Der Dichter mag ein Verslein
aus diese Riesenansichtskarte schrciben (was er geslisscnt-
lich tut). Wir grüßcn Heidclbcrg am Vormittag und
speisen im tiefcn Mittelalter zu Wimpfen mittggs. Dic
Jause in Heilbronn frischt alte Legenden auf. Die
Obstbäume am Neckar slechten eine Pergola über unser
rasendes Vehikel, und ein todesmutiger Gänserich winkt
uns fterbend mit weißem Flügel nach. Sonft ist nichts
passiert. Ab und zu eine kleine Abwechselung für das
unersättliche Auge, badische und schwäbische Dörfer, im
Vorübcrsahren herzallerliebst anzusehcn, Burgen, Ruinen
aus rotem Felsen, kulissenartig wie ergreisende Oper-
auöstattungen, kurz ein genußreiches Theater. Gut zu
verwerten, wenn man Dichter ist und die Minne be-
singt (was trotz Automobil leider geschieht). Die Feerie
wird volkstümlich und romantisch im Opernftil Webers,
alö das Auto bei sinkender Nacht in den Odenwald
einlenkt. Ein leibhaster Drache, bohrt es seine vier
glühenden Azctylcnaugen in die Waldnacht und brennt
riesige Lichtkegcl heraus. DaS Gäulchen eines verspätetcn
Bauernwägclcins macht ties erschrocken einen Seiten-
sprung; da und dort ein Vogel, der wirr auffährt; ein
Käuzchen schreit. Odenwald-Melodie. Alles wird traum-

haft. Traumhaft und grusclig. Das Herz des Dichterö
schwillt. Es hat ein gutes ererbtes Recht zu schwellen.
Eine Abspannung kommt über uns; eingewiegt durch
das gleichmäßige Geratter des Vehikels, sinkt die Seele
in eincn halbwachen hypnotischcn Iustand, der suggestiv
ist. Das liebcn die Dichter. Denn inncn blcibt cs hell
und wach und ausmerksam aus die Außenvorgänge, die
Entrückterscheinung, impressionistisch, gleichsam vorge-
arbeitet und handsamer sür die künftlerische Gestaltung.
Der Dichter nimmt das Käuzchen und hängt es in einem
Vogelbauer in seiner Seele auf, damit es lieblich-
schaurig in die Reimmusik hineinkrächze, die er in allen
Seelenwänden fein und wundersam erklingen hört. Die
Nacht ist schön wie einc Kirche. Und der Dichter
nimmt den flächenhasten gezackten schwarzen Wald und
hängt ihn in seiner Seele auf wie einen alten Gobelin.
Oder wie eine Landschast von Leiftikow. Er nimmt
den Mond von dem verglasten Himmel und läßt ihn
darüberlcuchten wie eine Ampel. Alles nimmt er mit.
Die Apostel und Heiligenfiguren, die in den kätholischen
Dörfern aus den Postamenten stehen, an den Haus-
ecken, sie müffen mit, samt dem roten Licht, mit dem
sie sich durch die Ewigkeit leuchten. Sie müffen Platz
nehmen in seincr Seelc, was sie mit altmodischer barocker
Verrcnkung umftändlich tun. Gespenstisch ungetümc
Mauermassen schwanken vorüber mit einem Fenster hie
und da, mit rotglühenden Blumensenstern und einem
madonnenhaften Kopf, der sich neugierig aus der licht-
crsüllten Umrahmung ncigt. Wie Blumenaltäre vor
Madonnenbildnissen sehen sie aus. Und sie waren nicht
umsonst da, dcr Dichter hat sie schon in seiner Seele
ausgestellt. Und dann hat er diese herzigen Dinger mit
zierlichen Verslein umflochten, die für die Ewigkeit aus
eine Ansichtskarte geschrieben wurden. Die Heimatschutz-
Autorität in unserer Gesellschaft konstatierte, daß Milten-
berg am Main erreicht sei. Jm Gasthof zum „Riesen"
soll Martin Luther gewohnt haben. Meinetwegen! Jch
habe Hunger. Und so bleiben wir sür diese Nacht
Hotelgenossen Martin Luthers.

Noch in der Nachtzeit — Automobilwanderer müssen
intensiv sein — begann die Besichtigung des alten Nestes
unter der Führung der kölnischen Heimatschutz-Autorität.
Der schöne Hauptplatz soll in Schwinds „Hochzeitsreise"
verewigt sein. Aber das Bild zeigt keine Ähnlichkeit.
Man känn an die Fabel glauben, aber man kannö auch
bleiben lassen. Wertheim, das liebe alte Nest, rückte
am nächsten Morgen an, zwei Stunden genügten, zwei
elegische Stunden in gotischen Kirchen, über alten hohen
Iiegeldächern, in verfallenen Burgmauern, die Camera be-
sorgte die paar notwendigen photographischen Buchungen,
und der Mittag sah uns in Würzburg zu Gast. Soll
ichs beschreiben? Das ift kurz und gut getan: Ein
Gegenstück Nürnbergs aus dem achtzehnten Jahrhundert,
dort die Bürgerkultur der Reformation, hier der fürst-
liche bischöfliche Prunk deö achtzehnten Jahrhunderts.
Der höchfte Triumph an Sinnkult, den die Gegen-
reformation ins Feld stellen konnte. Tiepolos Decken-
gemälde in der bischöslichen Residenz ist ein Rausch.
Die Deckenspannung selbst ein Übermenschliches. Statisch
eine Unmöglichkeit. Beides, Decke und Gcmälde, ein
Sieg über die Verstandeslogik. Ein Gliedersalat, der

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