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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 1
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Hatvany, Lajos: Die Wissenschaft des Nichtwissenswerten: aus einem Kollegienheft
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0040

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Dic Wifscnschaft dcs Nichtwiffcnsweiten.

Aufregung erblaßte, daß ihr Atem ftockte. Wie eine
Furie heimste sie endlich die gewvnnenen Goldstücke ein,
und daÄ grelle Gelb des Widerscheins blitzte wild in
ibren großen, dunklen Augen auf.

Wie bald änderte sich aber ihr Antlitz! Wie hold
und kindlich mädchenhaft war sie anzuschauen, wcnn sie
mit ihrem Lieblingssperling ihre Neckereien trieb, bis das
gereizte Tierchen nach den zarten Spitzen der rosigen
Finger pickte. Und wenn sie dazu lachte, so war es
ein bcrückcnder Einklang dieser perlcnden Tvne mit den
erzitternden Perlen an ihrem Busen, mit den klirrenden
Kristallcn aus dem Tische; dabei glänzten ikre wcißen,
seuchten Iähne noch blendender, als jetzt, im Scheine
der Frühsonne, die taubenetzten Marmorstatucn am Weg-
saum.

Einc wahre Göttin! — mehr noch — einc ausgezeichnete
Hauösrau - dcnn herrlich war das Gelage! Vorzüglich
mundetcn die Weinc — die Speisen waren tadclloö zu-
sammengestellt, raffiniert zubcrcitet. llnd plaudern kann
dieses Weib! Jhr Witz belebt cine ganze Gesellschaft;
trunkene Einfälle jagtcn sich, überstürztcn sich; Catull
lacht noch immer, indem cr sic aus dem Heimwcge an
sich vorüberziehen läßt.

Da faßt ihn ein Wunsch, der Wunsch nmzukehren
— zurück zu ihr, zu dcr Geliebten — er möchte ihr nahe
sein, ganz nabe — Neid saßt ihn - Neid gegen jcnen
Sperling, der in Lesbiaö Zinimer nah ihrem Lager, so
nah ihrem Leib sich bcrgen kann.

Aus einmal scheint eö Catull, als süllten die Luft
ganz unentwirrbare Töne, und doch schon wohlklingcnde,
die ihm kommen, um gleich wieder zu zerrinnen —
dann wieder auftauchen, schon in sestercr Form, schon
in Silben und Wortc fich kleidend; Worte, die auö
cigenem Trieb zu Verszeilen sich finden; in Catullö
Seele vollzieht sich ein geheimniövoller Prozeß des
Webens und Werdens: — die unfterblichen Lieder über
Lesbias Sperling! Wie zusrieden werden ihm seine
Kumpane zunicken, wenn er morgen die fertigen Verse
in Lesbias Speisesaal vorliest. Welch Lachen wird sein
zweites Gedicht belohnen, in dem er den Tod des
Sperlings scherzhast beweint.

Catull wartet nicht, bis sich seine Jnspiration ver-
flüchtigt, sondern nimmt auf offencr Straße scinc WachS-
täselchen hervor und ritzt darein etliche Verözeilen...
Nein! Keine Verszeilen! . . . Seine gute Laune, sein
Lachen selbst ritzt er darauf.

Dies Lachen schalst mir nun während Woepkes Vor-
lesung aus Catulls Buch entgegen!

Die übrigen blicken in dasselbe Buch, doch hören sie
es nicht... Sie können auch nichtS hören, da der Pro-
sessor doch immer spricht und spricht... er spricht un-
endlich viel... er zitiert, er diktiert aus Wörterbüchern,
aus Grammatiken, aus Archäologien, auö Kommen-
taren, aus Lexika, um einige Verse zu erklären, in
welche einst ein genialer, verliebter, berauschter, bleicher,
römischer Jüngling seine unbändige gute Laune hinein-
gelacht hat.

Nun skribeln nüchterne, rotwangige Jünglinge mit
empörend ernstem Eifer breite Kommentare darüber.
Die armen Kerle! die sich da freuen, die da genießen
sollten! Denn von Catulls Lippe flog ein Lächeln von

Mund zu Mund durch zwei Jahrtausende; Cicero und
Auguft, Petrarca, Montaigne, Voltaire und Goethe kannten
es und ließen es mir, als srohes Vermächtnis ihrer
längst zu Staub gewordenen Lippen.

Jst es nicht sonderbar, daß der Triumphzug dieses
Lachenö gcrade hicr unterbrochen wird, hier, wo doch
Freunde Catulls zusammenkommen?

Warum sitzen so trostlos ernste Menschen um mich
herum?

Warum?

Zweites Semester. — April I9O7.

Wie verführerisch winken mir diese endlosen Bücher-
reihen an den Wänden des Seminarö zu! Mir machen
die bunten Versprechungen der Büchcrtitel dcn Mund
wässerig. Knapp vor mir steht die Abteilung der Homer-
literatur. Sind das aber schöne Bücher — waö da alles
drin ftehen muß! Wcr die Abwcchselung liebt, hätte
da für scin Leben genug. Jedes Buch enthält eine andcre
objcktive Wahrhcit, ein andcres cwigeS Gesetz; da kann
man lernen:

Homer hat gelebt!

Homer hat nie gelebt!

Homer war blind!

Homer war sehend!

Die Homerischen Epen sind nur verschmolzene Rbap-
sodengesänge!

Diese Verschmelzung hat ein Mann namens Homer
vorgenommen.

Homer ist kein Eigenname und da sammeln

heißt, kennzeichnet es nur die Sammeltätigkeit irgend
eineS Rhapsoden.

Zwischen und Homeroö kann nach der

Lautlehre kein Zusammenhang sein

Die Homerischen Epen sind von cinem aä Iioo ge-
schaffenen Komitee deö Tyrannen Peisistratos zusammen-
gesaßt worden.

Der Gedanke an ein solcheS Komitee ist ein hellcr
Wahnsinn — da derart doch kein cinheitliches Knnstwerk
entstchen konnte.

Der Gesamtplan und Grundstock stammt wohl von
einem Genie namens Homer — die Einlagen aber gehen
aus spätere Rhapsoden zurück.

Den herrlichen ursprünglichen Sang Homers haben
später Flickpoeten und Routinemenschen verdorben; daher
die großen llngleichmäßigkciten.

Homer hattc gleichwertige Mitdichter; deshalb die
gleichwertige Vollkommenheit der beiden Epen.

Homer konntc nicht schreiben - er sang bioß zur
Kithara.

Homcr mußte schreibcn können, da doch die Gesänge
ihrer Länge wegen kaum den Charakter von Jmprovi-
sationen haben konnten. Wilamowitz weiß sogar, welchen
Alphabets er sich bediente. Der epische Dialekt ist eine
künstliche Mischsprache!

Herr Fick behauptet jedoch, daß der echte Homer
äolisch dichtete, und spricht von einer mechanischen Um-
setzung ins Iom'sche. Er weiß auch die Zeit, wo das
geschah — um 540.

Die Schristhypothese und die Gesanghypothese, beide
lassen sich am Texte wissenschaftlich sicher erweisen. Auch

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