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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 1
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Lichtenberger, Franz: Von den Knospen
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S.: Meister Wilhelm, der Wiedergekrönte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0044

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Von den Knospen.

zusammengedreht, noch viel feiner und fester wie bel
einer Zigarre.

Wir pellen immer weiter und denken schon, es
kommt weiter garnichtS mehr, alS immer wieder
Schuppen. Da auf einmal kuckt was Weißes, Silbriges
vor. Wir pellen schnell noch die letzte Schuppe weg —
ja, was ist denn daö? — „Am Ende ist da unter den
vielen Schuppen bloß ein bißchen Watte," meinte einer.
Es sieht beinah so aus. Wir kommen mit der Messer-
spitze an das weiße Ding, daö da unter den Schuppen
übrig geblieben ift, — feine weiße Fäden lösen sich los,
wie bei der Watte. Aber waö ist denn daö? Zwischen
der Watte ist ja noch was andreö da, wie graugrüne
Stäbchen kuckt eö aus der Watte raus....

Nun mal ganz vorsichtig! Nehmt euch ein an-
gespitztes Streichholz (eine Stecknadel ift zu scharf), und
nun schiebt die Wattefädchen auseinander. Ja, das geht
nicht so leicht, die sind wer weiß wie sehr ineinander
verfitzt. Na, piekt nur tüchtig drauf loö, es geht so
leicht nichts kaput.

Za, was ist denn da nur eingepackt in dem Häuf-
chen Watte? Was sind denn das für Büschelchen, die
jetzt schon rauskucken? Nehmt mal eins davon für
sich allein und zieht die Fädchen weg... Ja, was ist
denn das? . . . ein Blättchen? ... Ja, ganz gewiß, es
ist ein kleines, ganz kleines Kastanienblatt! Und es ist
nicht allein in der Knospe; in dem Wattebäuschchen
sind eine ganze Menge eingepackt. Alle sehr, sehr klein
und niedlich. Und die einzelnen sind fein der Länge
nach zusammengelegt, wie Wäsche in einem Koffer.
Denn viel Platz haben sie nicht gehabt in der engen
Knospe. Aber so klein wie sie sind, man kann die
Iähnchen am Rande schon ganz deutlich sehn. Und
die feincn Nebenadern kann man auch sehn. Die gehn
so egal, eine neben der andern, von der Hauptader
nach beiden Seiten hin.

Wer Glück hat, der erwischt vielleicht sogar eine
Blütenknospe. Da liegen in der Mitte zwischen den
Blättchen lauter Kügelchen. Iusammen sehn sie aus
wie eine kleine Weintraube mit viclen kleinen Beeren.
Das sind die kleinen Blütenknospen, aus denen später
die Kastanienblüten werden — da ftecken also in der
großen Knospe noch viele kleine. (Am schönsten kann
man die kleinen Blütenknospen schon jetzt in den Flieder-
knospen sehn.) —

Und nun werdet ihr euch nicht mehr wundern, wie
im Frühjahr auf einmal die Blätter so schnell da sein
können. Denn wenn jemand bei uns zu Besuch kommt
und hat dann am andern Morgen auf einmal einen
andern Anzug an, da wundern wir uns auch nicht
drüber und sagen nicht: wo kommt denn der Anzug
so schnell her? Denn da wissen wir: der Anzug ist
im Koffer eingepackt gewesen. So ifts bei den Bäumen
auch. Die haben ihr Frühjahrskleid gut eingepackt in
ihren kleinen Koffern — nämlich in den Knospen.

Sehr schön kann man auch sehn, wie eine Knospe
von innen aussieht, wenn man sie durchschneidet. Da
muß man ein sehr scharfes Messer nehmen und muß
die Knospe der Länge nach durchschneiden — man nennt
daö: einen Längsschnitt machen. Da hat man dann
zwei Knospenhälften, und da kann man deutlich sehn, wie

in der Knospe ganz außen eine dichte, dicke Schicht liegt,
wie ein Panzer — daö sind die Knospenschuppen. Und
unter den Schuppen, weiter nach innen, da liegen die
zarten jungen Blättchen wie in einem Nest. Das ist
warm und weich auSgepolftert mit den Wattefädchen.
Und da merkt man ganz deutlich, daß die Knospen-
schuppen mit ihrer Harzschicht und mit ihrem Watte-
polster, - daß das alleö dazu da ist, um die Kaftanien-
knospen im Winter gegen die Kälte und gegen die
Feuchtigkeit zu schützen.

So ist es bei der Kastanienknospe. — Nun seht
mal zu, wie es bei den andern Knospen ist.

eifter Wilhelm,

der Wiedergekrönte.

Was man in diesen Tagen vom sogenannten Claren-
altar (weil er aus St. Clara ftammt) in Köln ver-
nehmen mußte, das sieht einer reizenden Komödie nicht
unähnlich. Man weiß ja, daß der historischen Wiffen-
schaft nichts lieber ift, als mit überzeugender Gelehr-
samkeit ein volkstümliches Sagengebilde zu zerstören.
Wie hat sie dem armen Tell der Schweizer zugesetzft
oder dem blinden Homer? Und wenn die Kölner mit
ihrem Meister Wilhelm auch nicht eine so allbekannte
Figur hatten: er war doch nicht weniger ihr Stolz, sie
hatten ihn auf den Fresken von Steinle im Museum
gemalt und am Gürzenich in Stein ausgehauen; auch
war er durch die Limburger Chronik von 1580 historisch
beglaubigt. Leider aber waren ihm auch einige Bilder
zugeschrieben und die sollten sein Unglück werden.

Solange man sich nämlich mit chronistischen For-
schungen begnügte, blieb seine Existenz in Ordnung.
Man fand in den Büchern der Stadt durch ein paar
Jahrzehnte seit 1558 einen Wilhelm von Herle erwähnt,
dem es nicht übel ging, vermutlich auch der Empfänger
einer großen Summe (8000 Mark), die im Jahre 1570
aus der Stadtkasse für ein Bild gezahlt wurde. (Was
hier so einfach hingesagt wird, das sind natürlich For-
schungen und Entdeckungen, an denen sich die Gelehr-
samkeit rechtschaffen erhitzt hat.) Der Meister Wilhelm
konnte damit zufrieden sein; wenn die Kölner Bürger soviel
Geld an ihn wandten, muß er wohl einen großen Ruhm
gehabt und ihnen etwas Bewundertes gemacht haben.

Was aber? Als Hauptwerk den drei Meter breiten
Clarenaltar im Dom, der seine Gebeine im Sarg nicht
ruhen ließ. Denn wenn der Meister Wilheln? selber
im Jahre 1578 urkundlich alö gestorben erwähnt, und
wcnn der Altar selber durch gelehrte Stilanalysen auf
1580, danach auf 1590, auf 1400 und endlich auf 1410
datiert wird: dann ist das cine unmenschliche Unordnung.
Die wurde noch durch die stilkritische Entdeckung von
zwei, drei, vier, fünf verschiedenen Händen vermehrt
und so konnte man endlich den Meister Wilhelm von
Herle vollkommen aus seinem Hauptwerk, dem Claren-
altar, entfernen und an seine Stelle den Hermann
Wynrich von Wesel etablieren, der seine Witwe heiratete
und das Malgeschäft im modernen Stil fortsetzte.

Womit eine neue und garnicht üble Sage geschaffen
war: vom alten Meistcr mit der alten Kunft und der

zr
 
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