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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 2
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Lüthgen, Eugen: Die Gesichtsvasen in kultur- und kunsthistorischer Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0068

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Abb. 4. Bartmamiskrug, Frechen, A. Is. Jahrh.

Abb. 5. Krug mit der Figur
Wilh. v. Oranien, Frechen um I5SO.

Abb. ö. Bartmannskrug mit Nosetten, Naeren I?58.

die Gebilde dcn ästhctischen Erfordcrnissen am ehestcn,
die dicse allseitige Bewcglichkeit aller Teile deö Gesaßes
und zugleich die leichte und jeder Llnstrcngnng bare
Widerstandskrast der Gefäßwandungcn gegcn den inneren
Druck der Flüssigkeit am klarstcn symbolisieren. Dics ist
der Fall bei krummlinig begrenzten Gefäßformen, die
im Durchschnitt die Formen dcs KreiscS und WulsteS
sowic deren durch Druck oder Zug gewandelte Variationen
haben, und serner, jedoch in geringcrem Grade, bei
allen sich srei ausrichtendcn Formen zylinder- oder trichter-
sörmiger Art. AuS diesen Grundsormcn lasten sich durch
die verschiedenartigsten Modifikationen alle bestehendcn
Gefäßformen ableiten. Wenn nu» trol; dieser technischen
und ästhetischen Forderungcn, die seltsamcrwcise vom
ersten Austreten der Keramik an in der Hauptsache die
Formen der Gesäße bcstimmt haben, dennoch diese merk-
würdigen Bildungcn der GesichtSvasen austreten, bei denen
durch daS plastische Heraustrcteu des GesichteS sich die
Grundsormcn verwischen, muß man annehmen, daß ein
überstarkes Gefühl dazu drängtc. Und dies kann bei
dcm primitiven kulturellcn Stande prähistorischer Ieiten
nur in rcligiöscn Vorstcllungen wurzeln. Vielleicht licgt
in der Jntcnsität deS religiösen Gcsühles der Grund,
weöhalb Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch sicb
dieseS selbe mcrkwürdige Motiv erhalten hat.

Dazu kommt, daß die prähistorischcn Völker cine
starke Vorliebc sür die Darstellung der menschlichen Ge-
stalt besaßen. Wic sich aus der neolithischcn und der
Metallzcit Menschcndarstellungen auf dcn Wändcn von
Höhlen und auf GebrauchSgegenständen finden, die nur
aus Andcutungen der allcrnotwcndigsten Merkmalc bc-
ruhcn, so haben sich auch Menschenformcn dieser Art aus
Graburnen erhalte». Die Hauptsundorte solcher vorge-
schichtlichen Urncn sind Vorderasicn, Mittelitalien und
Nordostdcutschland. Charakteristisch sür diese Vasen ist dcr
bronzezeitliche Typus trojanischer Gesichtsvasen, bci dencn
der Deckel die Kopsbedcckung bildet. Ohne jedeS Detail,

mundloö, ohne Ohren und Augenbrauen. Mit der ge-
steigertcn Kultur begann dic Bedeutung der GesichtS-
urnen sür de» Totenkultus zu^ schwinden. Nur eine
Sitte aus srüherer Aeit blieb bcstehen: es ist der uraltc
und nahczu bei allen Völkern verbreitete Gebrauch, den
Verstorbenen Gefäße mit in die lctzte Ruhestätte zu
geben, damit sie in ihrem Nachleben nach dem Tode
nicht der Speise und des Trankes entbehrten. An
diesen Gebrauch knüpst die gesamte Vasenfabrikation des
griechisch-römischen Altertums an. Denn fast alle der
nnS erhaltcnen antiken Vasen wurden verfcrtigt, um den
Totcn mitgegeben zu werden; sie alle sind aus ihrcn
Gräbern äusgegraben.

Dcm rcinen Schönheitsgefühl der Griechen cntsprach
cs, daß die Verziernng der Vasen nie auf Kosten der
Gestalt und Natur deö Gefäßcs selbst erfolgte. Viel-
mehr ging die Tendenz dahin, ivennmöglich die formale
Struktur des Gcfäßes durch abstrakte, symbolische
Formen noch schärfer zu bctoncn. Daher ist es nur
als ein Seitenweg, nur als cin Abweg der griechischen
Vasenbildnerci auszufasscn, wenn sich Formen finden,
die dcn typisch und allgemein als zwcckmäßig aner-
kannten Gefäßformen widcrsprechen. Und tatsächlich
habcn sich erst in der Verfallpcriode frcmde Formen
in plastischer Gestaltung mit den einfach edlen Umriß-
linien des Gefäßes verbunden. Zucrst bci eincr gewissen
Gattung klcinerer Kanncn und Salbgefäße des 5. Jahr-
hundcckö. Einzelne Teile der menschlichen Gestalten,
namentlich des Kopfes, werden als reine Zierformen
in plastischer Darstellung mit dem Gefäße verbunden.
Dabei treten jetzt dic menschlichen Gesichtszüge in eine
ganz andere Verbindung mit dem Gefäße wie früher.
Denn jetzt ist es einzig die ästhetische Rückjicht, die für
diese Formverbindung bestimmend ist. Daher werden
oft die Gesichtözüge nur als Masken, mcist in flachem
Relief an den für die organische L>trukrur unbedeut-
samen Stellen, gleichsam als ein Ornament angebracht,

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