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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 2
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Geiger, Ludwig: J. P. Eckermann
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0077

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P. Cckermann.

bitter beklagte. Demgegenüber ist es für Eckermann
ein ehrenvolles Ieugnis, daß er trotz vieler Quälereien
und mancher Enttäuschungen — auch eine kritische Ein-
leitung, die er zu der großen Ausgabe schreiben sollte,
kam nicht zuftande — den Glauben an Goethe nicht
verlor. Allerdings bewarb er sich um manche Stellungen,
aber aus allen solchen Versuchen wurde nichts. Ja,
diese Bewerbungen wurden mit einer gewissen Lässigkeit be-
trieben, weil es ihm nicht recht ernft war, von Weimar
sortzugehen. Denn vom ersten Moment, da er das
Städtchen betreten, betrachtete er dieses alS seine wahre
Heimat. Es soll ihm unvergessen bleiben, daß er dem
geliebten Mädchen einmal die Worte schrieb: „Das
Glück, das ich durch mein iminer enger werdendeö
Verhältnis mit Goethe genieße, ist so groß, daß mir
kein Mensch in der Welt dasür Ersatz geben konnte,
so wie Goethe selbst in der Welt nicht seinesgleichen
hat. Höhere und gcringere Männer und Frauen be-
neiden mich um dieses seltene Glück, wiewohl es mir
jeder zu gönnen scheint. Und bei meinen höhercn Zwecken,
durch wen wollte ich denn so gefördert werden, als durch
ihn ... Der Weg ist mir gebahnt, wie keinem Anderen,
und durchreisende junge Talente beneiden mich um dieseö
seltene Glück." Und zwei Zahre später, nachdem die
Braut ihn gewarnt, soviel sür Goethe zu arbeiten und
ihm zu dienen, belehrte er sie: „Jch bin vielmehr sein
großer Schuldner und ich verdanke ihm alles was ich
weiß und kann und sammele in seiner beneidens-
würdigen Nähe jeden Tag größere Schätze des WissenS
und mache mir seine Erfahrungen zunutze. Goethe hat
nie zu jungen Dichtern ein Verhältnis gehabt, viel
weniger ift einer derart gewesen, daß er Jhm in seinen
großen Sachen hätte helscn können. Ein Verhältnis,
wie meins zu Goethe, hat nie in Weimar existiert."

Das Leben Eckermanns soll hier nicht im einzelnen
geschildert werden. Seine mit Auguft unternommene
Reise ift schon früher erwähnt. Auch daraus sei nur
kurz hingewiesen, daß er am 9. November I8ZI sein
Hannchen heimsührte, die wohl von dem Meifter sreund-
lich begrüßt wurde, aber keine Gelegenheit hatte, in so
nahe Beziehungen zu dem alten Herrn zu treten, wie
etwa Karoline Ulrich, RiemerS Gattin. Nach kurzem
Eheglück, nach der Geburt eines Sohnes Karl, dessen
Patin Frau Ottilie wurde, ftarb sie im Jahre I8ZZ.

Eckermanns Lebenswerk ist jedoch nicht die Tätig-
keit für die Auögabe von Goethes Werken, sondern
sein Weltruhm — denn von einem solchen kann man
sprechen — sind die „Gespräche mit Goethe".

Diese Sammlung unterscheidet sich von allen anderen
derartigen Zusammenstellungen. die wir jetzt so viel-
fach besitzen, zunächst durch ihren osfiziellcn, mindestcns
offiziösen Charakter. Denn der Meister sah diese Auf-
zeichnungen, die bald nach Eckermanns Ankunst in
Weimar ihren Ansang nahmen, durch, versah sie mit
Verbesserungen und gab dem Ganzen seine Billigung.
Freilich auch mit diesem Werk erlebte der Getreue
schwere Enttäuschungen. Seine Hoffnung, sie schon bei
Goethes Lebzeiten gedruckt und geseiert zu sehen, ersüllte
sich nicht, ebensowenig wurden die großen, namentlich
materiellen Erwartungen, die er davon hegte, verwirk-
licht, denn der ungeheuere Gewinn, auf den er sicher

gerechnet hatte, blieb aus. Auch wurdc er mit dem
Verleger in einen langwierigen Prozeß verwickelt, der
zu seinen Ungunften entschieden wurde. Wie der ma-
terielle Gewinn, so realisierte sich der gcistige nicht in
der Weise, wie der Gute geträumt hatte. Iwar wurde
das Buch unmittelbar nach seinem Erscheinen sehr ge-
lobt, dann geriet es in starken Mißkredit, und wenn es
auch in den letzten Jahrzehnten außerordentlich geschätzt
wurde, so macht sich jetzt und mit Recht eine ent-
schiedene Gegenströmung geltend. Denn die Beachtung,
die es lange Zeit fand, ift eine übertriebene. Das
Werk leidet an schweren Mängeln: es ist unvollständig
und ungenau. Unvollständig, weil es, wie man an
dcr Hand von Goethes Tagebuch nachweisen kann, sehr
zahlrciche Gespräche ausläßt; ungenau, weil es in den
Daten willkürlich verfährt und vieles, gewiß Unrichtige,
Übertriebene, Mißverstandene enthält. Eckermann war
zwar im ganzen ein guter Iuhörer, aber er vernahm
oft manches, was er hören wollte, glaubte vernommen
zu haben, was zu seiner Konftruktion von Goethes
Art und Wesen paßte, nahm zu kritiklos slüchtig hin-
geworsene Außerungen als Bekenntnisse auf, ließ sich
von Gedächtnissehlern, sowohl eigencn als denen des
Meistcrö, beirren und arbeitete Wahres und Falsches zu
einem vollständigen Bilde aus, das dem Original ent-
weder nicht ganz gleicht, oder geradezu widerspricht.
Er war im ganzen ein schlichter Mensch und doch
drängte er ost genug seine Person über Gebühr vor,
gab daher nicht selten mehr Eckermann als Goethe,
sammelte mit allzugroßer Geflissentlichkeit die Lobsprüche,
die ihm zuteil wurdcn. Damit soll keineswegs der
Wert seiner Aufzeichnungen völlig in Abrede geftellt
werden; nur muß man sich hüten, daö von ihm Be-
richtete ohne Prüfung anzunehmen, noch mehr davor,
was man häufig genug getan hat, diese Gespräche als
den besten Kommentar zu dem Leben des Meisters
anzusehen.

Daö große Verdienst EckermannS bestand darin,
den Menschen zu schildern, den man über dcm Schrist-
steller faft vergessen hatte. Dieser Mensch trat in seiner
Eigenart und Größe leuchtend hervor, mit vcrständnis-
voller Verehrung und rührendcr Bewunderung an-
geschaut. Die Vielscitigkeit der Mitteilungen dieses ein-
fachen Berichterftatters ist außerordentlich. Man sieht
mit immer neuem Staunen, waö alles den Alten inter-
essiert: die kleinen Weimarer gesellschaftlichen Vorgänge
ebensosehr, wie die öffentlichen und literarischen An-
gelegenheiten: Chaussee- und Theaterbau, Vogelkunde
und Farbenlehre, englische Politik und Preßgesetzgebung,
französische Romantik und deutsche Schriftstellerfehden,
Malerei und bildende Kunst, bremischer Hasenbau und
amerikanische Freiheit. Über Goetheö eigene literarischen
und wissenschastlichen Pläne, über die Vorgänge seines
Lebens, über seine Freunde und Widersacher wird mit
Aussührlichkeit und Behagen geplaudert. Wirkt die
reiche Belehrung über so mannigfache Gegenftände er-
sreulich, so empfindet man eine wahre Herzenserquickung
bei den vielen menschlichen Iügen, die von dem guten
und großen Mann erzählt werden. Für Eckermann ift
und bleibt Goethe der hochherzige Gönner, dessen echt
menschlichcs Betragen immer hervorgehoben wird. Aber
 
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