Aus der Werkstatt.
wohl er stets nach unsern Arbeiten sah, nicht mit unS
ab, ja er schmiedete sogar ein größeres Stück, statt
emen von uns an den Vorhammer zu kommandieren,
allein, und dabei lief ihm der Schweiß übcrs Gesicht
und tropfte zischend aus den Amboß. Uns war ums
Herz wie im Theater vor einer Schreckensszene, oder
wie vor einem Erdbeben.
Um vier Uhr, während wir unser Vcspcrbrot aßen,
tat der Meister etwas Sonderbares. Er ging zu Hans
Bastels Platz an der Werkbank, nahm zwei Schrauben-
schlüssel und machte mit vieler Mühe des Hansen
Schraubstock los, der seit vielen Jahren dort scine
Stelle gehabt hatte. Was dachte er sich bei dieser selt-
samen, unnützen Arbeit? Es sah sast aus, als wollte
er den Gesellen überhaupt nicht mehr in der Werkstatt
haben; aber das war jetzt bei der vielen Arbeit rein
nicht möglich. Mir machte es einen fast schauerlichen
Eindruck, zu sehen, wie dieser praktische, jeder Spielerei
bitter abholde Mann in seinem stillen Grimm aus eine
solche symbolischc Handlung verfiel.
AbendS um fünf Uhr suhren wir ordentlich zusammen,
alö die Werkstattür langsam aufging und der Hans
Bastel behaglich eintrat, noch in Sonntagskleidern und
den Hut im Genick, die linke Hand im Hosensack und
leise pfeifend. Wir erwarteten mit Angst, daß der
Mcister ihn nun anreden, ausschelten und anbrüllen,
ja vielleicht schlagen würde. Der tat aber nichts davon,
sondern blieb stehcn wo er war, sah sich nicht nach
dem Eintretenden um und biß sich nur, wie ich deut-
lich sah, krampsbast auf die Unterlippe. Jch begriff
beide nicht, am wenigsten den Bastel, bis ich bemerkte,
daß dieser ein wenig angctrunken war. Dcn Hut aus
dem Kopf und die Hand im Sack bummclte er herein
bis vor seinen Platz. Da blieb er stehen und sah, daß
sein Schraubstock weggenommen war.
„Der ist ein Lump, der das getan hat," sagte er.
Abcr nicmand gab Antwort. Daraus rcdete er einen
von uns an, erzählte ihm einen Witz, aber der hütete
sich natürlich und wagte nicht aufzusehen oder gar zu
lachen. Da ging Hans Bastcl in die freigehaltene Ecke
der Werkstatt, wo die kleine vom Meister und ihm ge-
machte neue Maschine stand; sie war bis auf Kleinig-
keiten scrtig und provisorisch an eine Eisenschiene an-
geschraubt. Er nahm die darüber gebreitete Sackleinwand
ab und betrachtete daö Werklein eine Weile, spielte mit
den zwei zicrlichen Hebcln und fingerte an ein paar
Schrauben herum. Dann wurde es ihm langweilig,
er ließ die Maschine unbedeckt stehen, ging an die Effe,
ließ einen Hobelspan aufflackern und zündete sich cine
Iigarette an. Die behielt er qualmend im Munde und
verließ die Werkstatt mit demselben behaglichen Bummler-
schritt, mit dem er gckommen war.
Als er draußcn war, ging der Meister hin und
breitete daö Tuch wieder sorgsältig über die Maschine.
Er sagte kein Wort und war mir an diesem Abend ein
Rätsel. Daß Hans Bastels Angelegenheit nun damit
erledigt sei, wagte keiner von uns zu hoffen, mir aber
passierte vor lauter Erregung ein böses Ungeschick: es
brach mir ein feiner Gewindebohrer im Eisen ab, und
von diesem Augenblick an fürchtete ich nur noch für
meine eigene Haut und dachte an nichts andcres mehr.
Es war eine O.ual, wie träg die Ieit bis zum Fcier-
abend verging, und so oft der Meister an dem Regal
vorüberkam, in dem die Gewindebohrer sauber nach
den Nummern geordnet lagcn, wurde mir heiß und
elend. Doch blieb mein Vergehen an jenem Abend
unbemerkt und ich glaube, ich habe nie die Feierabend-
stunde mit so erlöstem Aufatmen begrüßt wie damals.
* *
*
Andern TagS, obwohl ich um den zerbrochencn
Bohrer noch cin schlechtes Gewissen hatte, überwog
auch bei mir wieder der ängstliche Gedanke, wie es mit
dem Bastel gehen würde. Ein wenig frischer und besser
ausgeruht als gestern kamen wir inö Geschäft, aber
die Schwüle war nicht gewichcn, und die sonst üblichcn
Morgcngespräche und Scherze blieben uns in der Kehle
stecken. Hans war zur gewohnten Stunde gekommen,
nüchtern und im blauen Schlofferklcid, wie es sich gc-
hörte. Seinen Schraubstock hatte er unter der Werk-
bank gefunden und ruhig wiedcr auf dem alten Platz
befestigt. Er zog die Muttern an, klopfte und rüttelte,
bis alleS wieder richtig saß, dann holte er Schmiere
und salbte die Schraube gut ein, ließ sie zur Probe
ein paarmal spielcn und begann alödann seine Arbeit.
Es dauerte keine halbe Stunde, so kam der junge
Meister.
„Tag," sagten wir, und er nickte. Nur der Hans
hattc nicht gegrüßt. Iu diesem trat er nun, schaute
ihm eine Weile zu, während er ruhig weiter feilte, und
sagte dann: „Seit wann ist denn der Schraubstock
wieder da?" .
„Seit einer halben Stunde," lachte der Geselle.
Aber eö war künstlich gelacht, voll Trotz und vielleicht
auch Besorgniö.
„So," sagte der Meistcr, „wer hat denn dich ge-
heißen, ihn wieder hinzumachen?"
„Niemand. Ich weiß allein, was ich zu tun hab."
„In dieser Werkstatt hast du nichtö zu tun," rief
der Meister nun ctwaö lauter, „von heut an nichts
mehr. Verstandcn?"
Hans lachte.
„Meinst, du kannst mich rausschmeißen?"
Da ballte der Meister die Fäuste.
„Seit wann sagst du denn Du zu mir, du Lump?"
„Selber Lump —"
Ein Schlag und ein kurzer Scbrei klang auf, dann
wurdc es totenstill in der ganzen Werkstatt, denn nun
ließcn wir alle die Arbeit liegen und hörten entsetzt zu.
Der Meister hatte dem Bastel eincn Faustschlag inö
Gesicht gegeben. Nun standen sie dicht voreinander,
minutenlang regungslos, und dem Gesellen schwoll die
Haut ums Auge bläulich an. Beide hatten die Fäuste
ein wenig vorgestreckt, und beide zitterten ein wenig,
der Meister am sichtbarsten. Wir rissen die Augen auf,
und keincm fiel es ein, ein Wort zu wagen.
Da geschah es wie ein Blitz, daß der Geselle, am
Meifter vorbei, zur Effe stürzte und mit beiden Händen
den schwersten Vorhammer an sich riß. Noch im selben
Augenblick stand er vor dem Meifter, den Hammer
hochgeschwungen, und blickte ihn auf eine Weise an,
daß uns todesangst wurde.
wohl er stets nach unsern Arbeiten sah, nicht mit unS
ab, ja er schmiedete sogar ein größeres Stück, statt
emen von uns an den Vorhammer zu kommandieren,
allein, und dabei lief ihm der Schweiß übcrs Gesicht
und tropfte zischend aus den Amboß. Uns war ums
Herz wie im Theater vor einer Schreckensszene, oder
wie vor einem Erdbeben.
Um vier Uhr, während wir unser Vcspcrbrot aßen,
tat der Meister etwas Sonderbares. Er ging zu Hans
Bastels Platz an der Werkbank, nahm zwei Schrauben-
schlüssel und machte mit vieler Mühe des Hansen
Schraubstock los, der seit vielen Jahren dort scine
Stelle gehabt hatte. Was dachte er sich bei dieser selt-
samen, unnützen Arbeit? Es sah sast aus, als wollte
er den Gesellen überhaupt nicht mehr in der Werkstatt
haben; aber das war jetzt bei der vielen Arbeit rein
nicht möglich. Mir machte es einen fast schauerlichen
Eindruck, zu sehen, wie dieser praktische, jeder Spielerei
bitter abholde Mann in seinem stillen Grimm aus eine
solche symbolischc Handlung verfiel.
AbendS um fünf Uhr suhren wir ordentlich zusammen,
alö die Werkstattür langsam aufging und der Hans
Bastel behaglich eintrat, noch in Sonntagskleidern und
den Hut im Genick, die linke Hand im Hosensack und
leise pfeifend. Wir erwarteten mit Angst, daß der
Mcister ihn nun anreden, ausschelten und anbrüllen,
ja vielleicht schlagen würde. Der tat aber nichts davon,
sondern blieb stehcn wo er war, sah sich nicht nach
dem Eintretenden um und biß sich nur, wie ich deut-
lich sah, krampsbast auf die Unterlippe. Jch begriff
beide nicht, am wenigsten den Bastel, bis ich bemerkte,
daß dieser ein wenig angctrunken war. Dcn Hut aus
dem Kopf und die Hand im Sack bummclte er herein
bis vor seinen Platz. Da blieb er stehen und sah, daß
sein Schraubstock weggenommen war.
„Der ist ein Lump, der das getan hat," sagte er.
Abcr nicmand gab Antwort. Daraus rcdete er einen
von uns an, erzählte ihm einen Witz, aber der hütete
sich natürlich und wagte nicht aufzusehen oder gar zu
lachen. Da ging Hans Bastcl in die freigehaltene Ecke
der Werkstatt, wo die kleine vom Meister und ihm ge-
machte neue Maschine stand; sie war bis auf Kleinig-
keiten scrtig und provisorisch an eine Eisenschiene an-
geschraubt. Er nahm die darüber gebreitete Sackleinwand
ab und betrachtete daö Werklein eine Weile, spielte mit
den zwei zicrlichen Hebcln und fingerte an ein paar
Schrauben herum. Dann wurde es ihm langweilig,
er ließ die Maschine unbedeckt stehen, ging an die Effe,
ließ einen Hobelspan aufflackern und zündete sich cine
Iigarette an. Die behielt er qualmend im Munde und
verließ die Werkstatt mit demselben behaglichen Bummler-
schritt, mit dem er gckommen war.
Als er draußcn war, ging der Meister hin und
breitete daö Tuch wieder sorgsältig über die Maschine.
Er sagte kein Wort und war mir an diesem Abend ein
Rätsel. Daß Hans Bastels Angelegenheit nun damit
erledigt sei, wagte keiner von uns zu hoffen, mir aber
passierte vor lauter Erregung ein böses Ungeschick: es
brach mir ein feiner Gewindebohrer im Eisen ab, und
von diesem Augenblick an fürchtete ich nur noch für
meine eigene Haut und dachte an nichts andcres mehr.
Es war eine O.ual, wie träg die Ieit bis zum Fcier-
abend verging, und so oft der Meister an dem Regal
vorüberkam, in dem die Gewindebohrer sauber nach
den Nummern geordnet lagcn, wurde mir heiß und
elend. Doch blieb mein Vergehen an jenem Abend
unbemerkt und ich glaube, ich habe nie die Feierabend-
stunde mit so erlöstem Aufatmen begrüßt wie damals.
* *
*
Andern TagS, obwohl ich um den zerbrochencn
Bohrer noch cin schlechtes Gewissen hatte, überwog
auch bei mir wieder der ängstliche Gedanke, wie es mit
dem Bastel gehen würde. Ein wenig frischer und besser
ausgeruht als gestern kamen wir inö Geschäft, aber
die Schwüle war nicht gewichcn, und die sonst üblichcn
Morgcngespräche und Scherze blieben uns in der Kehle
stecken. Hans war zur gewohnten Stunde gekommen,
nüchtern und im blauen Schlofferklcid, wie es sich gc-
hörte. Seinen Schraubstock hatte er unter der Werk-
bank gefunden und ruhig wiedcr auf dem alten Platz
befestigt. Er zog die Muttern an, klopfte und rüttelte,
bis alleS wieder richtig saß, dann holte er Schmiere
und salbte die Schraube gut ein, ließ sie zur Probe
ein paarmal spielcn und begann alödann seine Arbeit.
Es dauerte keine halbe Stunde, so kam der junge
Meister.
„Tag," sagten wir, und er nickte. Nur der Hans
hattc nicht gegrüßt. Iu diesem trat er nun, schaute
ihm eine Weile zu, während er ruhig weiter feilte, und
sagte dann: „Seit wann ist denn der Schraubstock
wieder da?" .
„Seit einer halben Stunde," lachte der Geselle.
Aber eö war künstlich gelacht, voll Trotz und vielleicht
auch Besorgniö.
„So," sagte der Meistcr, „wer hat denn dich ge-
heißen, ihn wieder hinzumachen?"
„Niemand. Ich weiß allein, was ich zu tun hab."
„In dieser Werkstatt hast du nichtö zu tun," rief
der Meister nun ctwaö lauter, „von heut an nichts
mehr. Verstandcn?"
Hans lachte.
„Meinst, du kannst mich rausschmeißen?"
Da ballte der Meister die Fäuste.
„Seit wann sagst du denn Du zu mir, du Lump?"
„Selber Lump —"
Ein Schlag und ein kurzer Scbrei klang auf, dann
wurdc es totenstill in der ganzen Werkstatt, denn nun
ließcn wir alle die Arbeit liegen und hörten entsetzt zu.
Der Meister hatte dem Bastel eincn Faustschlag inö
Gesicht gegeben. Nun standen sie dicht voreinander,
minutenlang regungslos, und dem Gesellen schwoll die
Haut ums Auge bläulich an. Beide hatten die Fäuste
ein wenig vorgestreckt, und beide zitterten ein wenig,
der Meister am sichtbarsten. Wir rissen die Augen auf,
und keincm fiel es ein, ein Wort zu wagen.
Da geschah es wie ein Blitz, daß der Geselle, am
Meifter vorbei, zur Effe stürzte und mit beiden Händen
den schwersten Vorhammer an sich riß. Noch im selben
Augenblick stand er vor dem Meifter, den Hammer
hochgeschwungen, und blickte ihn auf eine Weise an,
daß uns todesangst wurde.