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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 3
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Fontana, Oskar Maurus: Karl Gustav Vollmöller
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0113

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Karl Gustav Dollmöller.

sollte die Funken selbft durch die Nacht regnen sehen.
Und so kam er zum Drama und, wieviel und wie sehr er
auch ansangs sehltc, er folgte seineni Lichtc beharrlich, bis
es endlich ob einem Hause still ftand und verschwand.

II.

Mit „Catherina, Gräfin von Armagnac", begann
dieser Weg. Die Vcrbrüderung von Eros und Thanatos
durch atmende Menschen geftaltet zu sehen, nicht durch
feftprunkende Verse beschrieben, mag ihm diesen Mythos
im erftcn Augenblick ganz besonderS liebenswcrt haben
erscheinen lassen. Der grauenvolle unheimliche Ab-
schluß dieseö Frauenlcbens, dem, ftändig umlauert,
ftändig von Spähern umgeben, der tötende Dolch so
nahe ift wie sein eigen Blut, daö aber an all diesen
Abgründen und Tiesen mit traumhaster, durch nichts
gcftörter Iielsicherheit zu scinem Ende wandelt, zum
Liebesiode, dieser graucnvolle unheimliche Abschluß eines
Frauenlebens mag dcn lebenötrunkencn Jüngling be-
rauscht haben. Und wie jcder Lyriker, dem sein Stern zu
neuen Iielen leuchtet, trug er so einen rein balladischen
Stoff in die neuc Kunstform; so entstand dic Ballade:
Catherina, Gräfin von Armagnac, und ihre beidcn
Licbhaber.

Wäre von Vollmöller nur dieses Scheindrama vor-
handen, könnte man ihm jede Berechtigung zum Dra-
matiker absprechen. Es ift vollkommen hoffnungslos.
Was lyrisch an sich schön wirken würde, wirkt im
Drama peinigend und geftreckt. Man hat von dieser
Gräfin und diesem Triftan gesagt, sie sprächen zu viel.
Ich möchte daö nicht sagen, ich möchte es noch ver-
zeihen, wenn die Gräfin und Tristan zu viel sprächen.
Wenn sie nur sprächen! Jch finde hier nur Strophen,
erlesen (manchmal auch nicht) gereimt, sonst nichts.
Ein Drama ohne Menschen, ohne jede, auch die kleinste
Geftaltung, aber mit viel, viel Strophen — das Fazit

bleibt hoffnungslos. Bei Gott, ein Spielen mit Blut,

Mord und Pseilen, das macht noch lange nicht ein

Drama. Es ift darum das Beste, schlcunigst 'die Catherina
zu vergeffen und von ihr nicht weiter zu sprechen.

Um so eher, da ja Vollmöller nicht dabei stehen
geblieben ist, sondcrn in eiuer sehr bemcrkenöwert
schönen Weise gleich darauf emporgestiegen ist. Denn
„Affüs, Fitne und Sumurud" ift aus jeden Fall ein
bedeutender Fortschritt. Namentlich in den erftcn zwei
Akten, wo sich die Fäden in der Hand Vollmöllers
noch nicht wirren. Es ist auf jeden Fall ein Fort-

schritt. Denn in dieser seltsamen Landschaft, „einer
großen östlichen Stadt zur Zeit des Kalisats" wandeln
Menschen. Von den lyrischen Marionctten der Catherina
zu diesen blutvollen Gestalten des Knaben Assüs, der
traut-trcuen Fitne und der liebesengcnden Herrin Su-
murud ift ein solch weiter Weg, daß dessen schnelle
Zurücklegung durch Vollmöller nicht hoch genug ein-
geschätzt werden kann.

Wenn im übrigen nicht alles nach Wunsch geht,
so schadet das für mein Empfinden nicht wcitcr. Hier
leben Menschen, hier wurde ein Schicksal zu runden
wcnigftenS versucht. Das sind für einen werdenden
Dramatiker so große Vorzüge, daß man die Fehler
und Mißgriffe nicht zuerft nennen soll. Aber man

dars sie auch nicht verschweigen. Hier liegen sie vor
allem in der abgerissenen sprunghaften Szenenführung,
die ohne Rücksichtnahme auf die Drameneinheit sich
selbft genug ist- Es ist Shakespearomanie, nichts
weitcr, es ift Szencnkunst, wie sie Grabbe am voll-
endctften geschaffen hat, eö ist ein Weg zum Drama,
aber noch kein Drama. Der Lyriker bemächtigt sich
der dramatischen Ausdruckömöglichkeiten. Er füllt die
Form nicht aus, sondern sein Hauptbestreben wird, ein-
zelne Szenen zu kristallisieren.

Vollmöller mußte erft auch dieses übcrleiden lernen,
ehe sich ihm das Drama erschloß. Aber noch aus einem
andern Grunde scheint mir „Assüs, Fitne und Sumurud"
unorganisch, uneinheitlich zu sein. Aus seinen Ent-
stehungszeiten. Angefanqen wurde es zu Athen 1898,
vollendct zu Florenz I9OZ. Die Jahre werden manchen
Gedanken des BeginnS verwischt und verschleiert haben,
Ursache sein, daß die blausunkelnde Märchensülle dcö
Orients hier nicht zu eigenem Leben erwachte.

Denn es ift sür mich durchaus nicht zweiselhaft,
daß dieses Trauerspiel ansangs ein Traumspiel werden
sollte in der Art deö „Traum ein Leben" (das Koftüm
bleibt überraschenderweise fast daöselbe), und das erst
später, im Verlause der Monate, den preziösen Unter-
titel: „Die Geschichte der drei unglücklich Liebenden"
erhielt. Jch glaube, es reizte Vollmöller, einen Knaben
im Beginn der Pubertät zu zeigen, der im Traume
vom Knaben zum Jüngling reift. Ein stürmischer
Morgen.

„Cin Knabe lernt das unbekannte Zittern
beim Frauenschleppenrauschen, scidnen Knittern,
weil einer fremden Dame es gefiel, ^
ein wenig mit verliebtem Blick zu winken,
ein wcnig nur ihr Nackentuch zu lösen,
ein wenig ihre Arme zu entblößen,
und einen Trmck aus seiner Hand zu trinken."

Und wieder dröhnen in diesen Szenen die ehernen
Becken und schmetternden Posaunen eines heldischen
Lebens, wicder mag nur das Reiche, Schwelgcrische,
Lebenögierige am Oriente mit seiner Verbrüderung der
bciden gewaltigen Gottheiten Eros und Thanatos Voll-
möller in diese Märchen und Traumszenen geführt
haben.

Vollmöller scheint aber nicht den Mut gehabt zu
haben, zu enden, wie er begonnen. Darum verwirren
sich dann die Fäden in seiner Hand, der tiesfte Sinn
des StoffeS entgleitet, und es wird eine untragische
Geschichte dreier unglücklich Liebenden, er verliert den
Boden des Natürlichen, d. h. Wesentlichen. Durch einen
Iufall sallen alle drei. Vollmöller kommt zu der
Stelle, die Robert Walser sehr schön also beschrieben
hat: „Man darf beim Träumen nie den Boden des
Natürlichen aufgeben, auch bei Menschen nicht, denn
sonft gelangt man sehr leicht zu dem Punkt, wo man
eine der Figuren sprechen läßt: ,Geh, töte dichft Und
dann muß einer Miene machen, und das Machen einer
Miene ift lächerlich und geeignet, den schönften Traum
zu verderben."

Danach erschien „Der deutsche Grafift und auch
Grabbe war damit überwunden, der Weg zum Drama
lag frei. Was heute noch fehlt, ist bloße Ansgestaltung,
völlige Besitznahme des neuentdeckten Landes. Denn

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