Das Jenabild von Hodler im Zürcher Kunsthaus.
als ein Bild für sich ablösen könnte. Man würde
dann viellcicht findcn, daß in dcm untercn Stück der
naive bitdnerische Gedanke und in dem oberen das künst-
lerische Prinzip des ParallcliomuS zum Ausdruck käme.
Es inuß hier noch cünnal an cinem Beispicl crklärt
wcrdcn, was Hodlcr mit diescm scinem vielgcnannten
Prinzip bczwcckt: Die cinzclnc Meercswclle ist sür sich
ein inalerisches Schauspicst wie der Schaum auS ihrcn
glattqezogcnen Wänden oben wie einc Blüte auobricht;
abcr von der übcrwältigcnden Größe dcS MeereS gibt
sie allcin kcinen Bcgrist. Erst wenn dcr Blick über die
hundcrst tausend Schaumkämmc hinsühlt biS zum Hori-
zont, wo sich Millioncn solcher Wellen in einen ciserncn
Rcis zu vcreinigcn scheinen: überschauert ihn die Größe.
Der Maler kann sich trotzdem aus ciner einzelnen
Wclle, aus dcr Brandung mchrcrer, aus cincm Teil-
ausschnitt odcr aus der ganzcn Fläche farbigc und
zeichnerische Motivc holen und schönc Bildcr daraus
machcn. Will cr abcr das Meer monumental malen,
d. h. scinc überwältigcndc Größc: so muß er aus diese
ungeheurc Viclhcit in eincm zurückgchcn. Und weil cr
die Millioncn nicht altc cinzwingcn kann, muß cr in
dcm wenigcn, waS er gibt, die Ubcrcinstimmung dcut-
lich machcn; cr müß die parallelcn Erscheimmgcn untcr-
sircichen: das ist ParallelismuS.
Hodlcr ist Monumcntalmalcr, viclleicht mehr alö cs
in der ncuercn Malcrei jcmand war. Wenn er ctwas
aus den FrcihcitSkriegcn malcn soll, gibt eS sür ibn —
wo anderc sich mit eincr Szenc, ciner Jllustration be-
gnügcn können — kcine andere Ausgabc als dic, uns
dcn Drang jencr Ieit in sciner innercn Größe zu ver-
deutlichen. Was aber anders macht unS heute noch
das Herz warm, wenn wir an diescn Aufschwung
denken, als daß sich damals unscr Volk in eincr großcn
Leidenschaft zusammen tat, daß Bauern und Künstlcr,
Philosophen und Studcntcn ihrc persönliche Erschcinung
vergaßcn und nichtS sein wolltcn alS gleiche Kämpfer
eines HccrcS, das sich auö dcm Volk erhob wic die
Schaumkämme aus dcm bcwegtcn Mecr. Wie auö
den einzelncn Jünglingen der Takt dcr Scktioncn, die
Wucht der Bataillone und Heere wurde: daö war scin
Thcma.
ES ift kaum sraglich, daß ihm alö Vcrkünder deS
Parallelismus (d. h. dcr Verstärkung deö Eindrucks
durch den Gleichklang) die Scktioncn und dic hämmcrndc
Wucht ihrcS TaktcS sagcn wir tbeorctisch näher lagcn
alö dic cinzelncn Jünglinge davor, obwohl cr sic —
als die cinzelnen Wellen im Vordcrgrund — wcder
bildncrisch noch sonst entbehren konnte. Was er in der
bekannten Schlacht bei Marignano im Schweizerischen
LandeSmuseum zu Zürich in einem gab: die Gleich-
mäßigkeit ciner Gruppcnbewegung und die notwcndigc
Unterbrechung durch Einzelne — damit die beabsichtigte
monumentale Wirküng nicht monoton und lahm wird —
das konntc cr hicr aufteilen: im obcrcn Teil deö Bildes
dcr ungcbrochcne Takt, die völlige Untcrordnung dcS
Einzelnen, und im untcrn Tcil dic sprühend cigcmvilligc
Lebcndigkcit der Iünglinge, anö dcncn der Takt dcr
ausmarschicrenden Sektionen die unerhörte Wucht bckam:
kcine im Parademarsch gedrillten Soldatcn sondern eine
frciwitlig sich einordncnde Lcidcnschaft. Denn um daö
Formale daran allcin zu bctoncn: die Wirküng des
ParallelismuS liegt nicht darin, daß sich die glcichcn
Linien, Bewcgungen, Farben und Töne verviclsachcn,
sondcrn daß verschicdcnc, also ursprünglich widerstrebcnde
Linien und Bcwcgungen daS gleiche tun. Diese scchs
marschiercnden Gruppcn, obwohl jeder einzelncn einc
leicht abweichende Gcstalt gegcbcn ist — man wird dieS
sclbst aus dcr klciuen Abbildung nocb crkcnncn — sind
im ganzcn doch zu gleich, als daß der oberc Tcil deö
Bildes, ivic man aus dcn crsten Blick meincn möchte,
für sich bestchcn könntc. Scine Wucht wird crst wirk-
sam, wcnn man sich in dcn Takt der Scktionen die
sprübcnde Lebcndigkcit dcr Jünglingc da vorn im Bild
gcbundcn dcnkt, die zunächst unvercinbar mit ibr schcint.
Wer nun srcilich diesc vordcrcn vier Jünglings-
gcstalten einzeln durchgeprüft und die ornamentale Ver-
wertung ihrcr moussicrcnden Bcwegung durchgckostct
hat, wird bald die bcwußtc Hand spüren, dic jcdc Arm-
und Beinstcllung untcrcinandcr in strcngcrc Bcziehuug
brachte, als cö zucrst schcint: wic sie in gleichcr
Distanz voin Beschauer nebencinandcr in ciner Flächc
stehcnd gleichsam in cin breiteö Band cingcordnet
schcincn, darauf dic schwarzgrüncn Uniformcn zu raffi-
nicrtc» Fleckcn cingewcbt sind, mit den noch sichtbarcn
TschakoS und Bcinen dcr bcidcn Iurückstehenden obcn
und untcn glcichmäßig abschncidend. Gcrade diesc Ein-
ordnung aus dcn lustighellcn Farben der beidcn Pserde-
paarc' (goldhclle Füchse und Schimmel) ist vo» crstaun-
licher llbcrlcgung, und wenn man dazu bemcrkt, ivie
der aufstcigende Jüngling mit dcm qucrftchendcn
Schimmcl daö Bild links abschließt, während der
Ekstatische rcchts in dic Höhe weist, aus der die andcrn
schon marschiercn, sieht man daö untere Band mit dem
obcren aus einmal verknüpst, gleichsam in ciner Schlcise,
die man fühlt, trotzdcm sie abgeschnitten ift. (Daß in
dcr linken Hand dcs Iünglings, wie sie vor dem Halö
deö PfcrdeS sitzt, viellcicht das cinzige ungelöste Stück
des Bildes stcckt, übcrsicht man gcrn bci der ungcwöhn-
lichcn Schönhcit seiner Haltung, die im höchstcn Schwung
dcr Aufregung ruhig wie eine Statuc wirkt.)
Gcrade dic crstaunliche Bedcutimg und Ruhe jcder
Gcste bei dcn vier Jünglingcn ist das an dcm Bild,
waö auf dcn ersten Blick wie cin srcudigcr Schreck
übersällt und die schärsstc Betrachtung sicgreich über-
daucrt. Wie der links ausstcigt, dcr andere dcn
Tornister ausschnallt, dcr drittc den Rock anzicht und
der vierte seinc überströmendc Begeistcrung in cincm
Schwur auslöst: darin ist die Sicdcbitze der Jugend
auf dic einsachstc Form gczwungcn; dicse vier schönen
ZünglingSkörpcr blcibcn unverwischbar im Gedächtnis
wie auö einer Vision.
Wenn wir so diesc zuckcnde Bewcgung ornamcntal
in Ordnung gcbracht schcn, beginnt auch im untereu
Teil des Bildes dic taktgcmäße Einigkcit in dcr sclbcn
Sache, dic obcn so wuchtig schreitct. Der Marsch dcr
Scktionen rcißt dic llnruhe der Vordcrcn in sich hincin,
aber wir würden ihn nicht in dicser Gewalt sühlen,
wcnn wir ihn nicht von diesen Jünglingcn aus-
marschiercn sähcn: das Marschlied klingt, daö alle
Iünglinge gleich mitsingcn werdcn, wcil der Takt davon
schon in ihrcm Blut fiebert. W. Schäser.
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als ein Bild für sich ablösen könnte. Man würde
dann viellcicht findcn, daß in dcm untercn Stück der
naive bitdnerische Gedanke und in dem oberen das künst-
lerische Prinzip des ParallcliomuS zum Ausdruck käme.
Es inuß hier noch cünnal an cinem Beispicl crklärt
wcrdcn, was Hodlcr mit diescm scinem vielgcnannten
Prinzip bczwcckt: Die cinzclnc Meercswclle ist sür sich
ein inalerisches Schauspicst wie der Schaum auS ihrcn
glattqezogcnen Wänden oben wie einc Blüte auobricht;
abcr von der übcrwältigcnden Größe dcS MeereS gibt
sie allcin kcinen Bcgrist. Erst wenn dcr Blick über die
hundcrst tausend Schaumkämmc hinsühlt biS zum Hori-
zont, wo sich Millioncn solcher Wellen in einen ciserncn
Rcis zu vcreinigcn scheinen: überschauert ihn die Größe.
Der Maler kann sich trotzdem aus ciner einzelnen
Wclle, aus dcr Brandung mchrcrer, aus cincm Teil-
ausschnitt odcr aus der ganzcn Fläche farbigc und
zeichnerische Motivc holen und schönc Bildcr daraus
machcn. Will cr abcr das Meer monumental malen,
d. h. scinc überwältigcndc Größc: so muß er aus diese
ungeheurc Viclhcit in eincm zurückgchcn. Und weil cr
die Millioncn nicht altc cinzwingcn kann, muß cr in
dcm wenigcn, waS er gibt, die Ubcrcinstimmung dcut-
lich machcn; cr müß die parallelcn Erscheimmgcn untcr-
sircichen: das ist ParallelismuS.
Hodlcr ist Monumcntalmalcr, viclleicht mehr alö cs
in der ncuercn Malcrei jcmand war. Wenn er ctwas
aus den FrcihcitSkriegcn malcn soll, gibt eS sür ibn —
wo anderc sich mit eincr Szenc, ciner Jllustration be-
gnügcn können — kcine andere Ausgabc als dic, uns
dcn Drang jencr Ieit in sciner innercn Größe zu ver-
deutlichen. Was aber anders macht unS heute noch
das Herz warm, wenn wir an diescn Aufschwung
denken, als daß sich damals unscr Volk in eincr großcn
Leidenschaft zusammen tat, daß Bauern und Künstlcr,
Philosophen und Studcntcn ihrc persönliche Erschcinung
vergaßcn und nichtS sein wolltcn alS gleiche Kämpfer
eines HccrcS, das sich auö dcm Volk erhob wic die
Schaumkämme aus dcm bcwegtcn Mecr. Wie auö
den einzelncn Jünglingen der Takt dcr Scktioncn, die
Wucht der Bataillone und Heere wurde: daö war scin
Thcma.
ES ift kaum sraglich, daß ihm alö Vcrkünder deS
Parallelismus (d. h. dcr Verstärkung deö Eindrucks
durch den Gleichklang) die Scktioncn und dic hämmcrndc
Wucht ihrcS TaktcS sagcn wir tbeorctisch näher lagcn
alö dic cinzelncn Jünglinge davor, obwohl cr sic —
als die cinzelnen Wellen im Vordcrgrund — wcder
bildncrisch noch sonst entbehren konnte. Was er in der
bekannten Schlacht bei Marignano im Schweizerischen
LandeSmuseum zu Zürich in einem gab: die Gleich-
mäßigkeit ciner Gruppcnbewegung und die notwcndigc
Unterbrechung durch Einzelne — damit die beabsichtigte
monumentale Wirküng nicht monoton und lahm wird —
das konntc cr hicr aufteilen: im obcrcn Teil deö Bildes
dcr ungcbrochcne Takt, die völlige Untcrordnung dcS
Einzelnen, und im untcrn Tcil dic sprühend cigcmvilligc
Lebcndigkcit der Iünglinge, anö dcncn der Takt dcr
ausmarschicrenden Sektionen die unerhörte Wucht bckam:
kcine im Parademarsch gedrillten Soldatcn sondern eine
frciwitlig sich einordncnde Lcidcnschaft. Denn um daö
Formale daran allcin zu bctoncn: die Wirküng des
ParallelismuS liegt nicht darin, daß sich die glcichcn
Linien, Bewcgungen, Farben und Töne verviclsachcn,
sondcrn daß verschicdcnc, also ursprünglich widerstrebcnde
Linien und Bcwcgungen daS gleiche tun. Diese scchs
marschiercnden Gruppcn, obwohl jeder einzelncn einc
leicht abweichende Gcstalt gegcbcn ist — man wird dieS
sclbst aus dcr klciuen Abbildung nocb crkcnncn — sind
im ganzcn doch zu gleich, als daß der oberc Tcil deö
Bildes, ivic man aus dcn crsten Blick meincn möchte,
für sich bestchcn könntc. Scine Wucht wird crst wirk-
sam, wcnn man sich in dcn Takt der Scktionen die
sprübcnde Lebcndigkcit dcr Jünglingc da vorn im Bild
gcbundcn dcnkt, die zunächst unvercinbar mit ibr schcint.
Wer nun srcilich diesc vordcrcn vier Jünglings-
gcstalten einzeln durchgeprüft und die ornamentale Ver-
wertung ihrcr moussicrcnden Bcwegung durchgckostct
hat, wird bald die bcwußtc Hand spüren, dic jcdc Arm-
und Beinstcllung untcrcinandcr in strcngcrc Bcziehuug
brachte, als cö zucrst schcint: wic sie in gleichcr
Distanz voin Beschauer nebencinandcr in ciner Flächc
stehcnd gleichsam in cin breiteö Band cingcordnet
schcincn, darauf dic schwarzgrüncn Uniformcn zu raffi-
nicrtc» Fleckcn cingewcbt sind, mit den noch sichtbarcn
TschakoS und Bcinen dcr bcidcn Iurückstehenden obcn
und untcn glcichmäßig abschncidend. Gcrade diesc Ein-
ordnung aus dcn lustighellcn Farben der beidcn Pserde-
paarc' (goldhclle Füchse und Schimmel) ist vo» crstaun-
licher llbcrlcgung, und wenn man dazu bemcrkt, ivie
der aufstcigende Jüngling mit dcm qucrftchendcn
Schimmcl daö Bild links abschließt, während der
Ekstatische rcchts in dic Höhe weist, aus der die andcrn
schon marschiercn, sieht man daö untere Band mit dem
obcren aus einmal verknüpst, gleichsam in ciner Schlcise,
die man fühlt, trotzdcm sie abgeschnitten ift. (Daß in
dcr linken Hand dcs Iünglings, wie sie vor dem Halö
deö PfcrdeS sitzt, viellcicht das cinzige ungelöste Stück
des Bildes stcckt, übcrsicht man gcrn bci der ungcwöhn-
lichcn Schönhcit seiner Haltung, die im höchstcn Schwung
dcr Aufregung ruhig wie eine Statuc wirkt.)
Gcrade dic crstaunliche Bedcutimg und Ruhe jcder
Gcste bei dcn vier Jünglingcn ist das an dcm Bild,
waö auf dcn ersten Blick wie cin srcudigcr Schreck
übersällt und die schärsstc Betrachtung sicgreich über-
daucrt. Wie der links ausstcigt, dcr andere dcn
Tornister ausschnallt, dcr drittc den Rock anzicht und
der vierte seinc überströmendc Begeistcrung in cincm
Schwur auslöst: darin ist die Sicdcbitze der Jugend
auf dic einsachstc Form gczwungcn; dicse vier schönen
ZünglingSkörpcr blcibcn unverwischbar im Gedächtnis
wie auö einer Vision.
Wenn wir so diesc zuckcnde Bewcgung ornamcntal
in Ordnung gcbracht schcn, beginnt auch im untereu
Teil des Bildes dic taktgcmäße Einigkcit in dcr sclbcn
Sache, dic obcn so wuchtig schreitct. Der Marsch dcr
Scktionen rcißt dic llnruhe der Vordcrcn in sich hincin,
aber wir würden ihn nicht in dicser Gewalt sühlen,
wcnn wir ihn nicht von diesen Jünglingcn aus-
marschiercn sähcn: das Marschlied klingt, daö alle
Iünglinge gleich mitsingcn werdcn, wcil der Takt davon
schon in ihrcm Blut fiebert. W. Schäser.
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