GrandidierundScherz
vcrbinden, geben denr
Viertel seinen Reiz:
ein wenig Melancho-
lie und Verlassenheit
mischt sich heutc hin-
ein, und die prüch-
tigen gediegenen Häu-
ser an diesem Stück
des Stadens haben
eine rührende stille
Vornehmheit gewon-
nen.
Der Kahn treibt
uns weiter und schon
nähern wir uns einem
Viertel von anderer
Art, dem ältesten Tcil
der Stadt, der schon
Römeransiedlung
war. Es ist daö Viertet sür dic romantisch Empfind-
samen, und das „Kleine Frankreich" mit seinem durch-
dringendeu Gerbergeruch, die trotzigen Wachttürme und
dic „Gedeckten Brücken" wcrden immer wieder radiert
und gemalt. —
Zur Mittagsstunde gehen wir ins Herz der Stadt,
zum Kleberplatz. Man bcmcrke doch, welch schöne
Plätze Straßburg hat. Sie trcffen alle daö richtige
Wesen eines Platzes: wie cin rechteckiger Einsatz in das
Häusermeer gebettet, sind sie nicht zu groß, bleiben ge-
schlossen und intim und wollen nichts sein als natür-
liche Ruhepunkte in dcr Gleich-
heit der Straßenzüge. Der
Straßburger Kleber ist der
populärste Elsässer, ein natio-
naler Gencral. Während cin
paar „Kneckeö" auö der auf-
geweckten Zunst der Straß-
burger Straßenjungen am
Denkmal des Generals das
Erz seiner Heldcntaten buch-
stabiercn — und wie es tönt,
dies Wort Agyptcn und die
Ernwrdung in Kairo und dic
Anrede an die zur Ubergabe
ausgesordertenSoldaten: ,,8ol-
äats, ou U6 rsxoiiä » uus tslls
lusolouoo gus xur «lss vlo-
toirss. krsxursr: - vous L
oombuttrs!" — sitzen ringö-
herum die letzten der elsässi-
schen Veteranen, die in ihrem
kricgerischen Tcmperament
ganz im Wesen der französi-
schcn Gloire aufgegangen sind.
Sie rauchcn aus Franzoseu-
köpscn und denken an dcn
drittcn Napoleon, dcr ihnen
immerhin Magenta und Dol-
serino, das tapfere Abenteuer
der Krim und ein paar chine-
sische Händel gegeben
hat. DaS ist das alte
Elsaß, das ausftirbt:
dort die deutsche
Wache an der Ecke
deö roten Gebäudes
hat sie abgelöst. Sie
haben sich darein ge-
sügt und sind zufrie-
den, hier in der Sonne
sitzen und rauchen zu
könncn, in der Er-
innerung das Straß-
burg zwischen I8ZO
und I87O suchend,
das so ganz still und
idyllisch scinc sonnigen
Staden ausbreitete.
Ja, sie sind die alte
Garde und daö alte
Straßburg: inmitten von vielem Grün steht die Bronze-
gestalt des tapferen Kleber, ringöum auf den Dächern
hebcn sich die berühmten Storchennester ab und hintcn
taucht der Turm des Münsters aus.
Noch ein Platz ist da, von dem man erzählen muß.
Er ist nach dem Herzog von Broglie genannt, dessen
Koch die erste Erfindung dessen machte, was dann die
Straßburger Gänselebcrpastete wurde. Auch dieser Platz
ist ein längliches Viereck und auch er mit den ein-
schließenden Gebäuden ein Beispiel, wie glücklich und
imnier zeitgcmäß sranzösische Architel'ken zu bauen vcr-
standen, was von dcn deut-
schen der ncucn Viertel wahr-
lich nur selten gilt: — Hilde-
brands Brunnen sreilich mit
dem Vater Rhein, der der
LängSachse deö Platzes solgt,
hat das Stadtbild wirklich
verschöncrt. Der Broglie ist
ein historischer Platz: dort in
einem Gemach des Rathauseö
sang bei geöffneten Fenftcrn
der Leutnant Rouget de l'Zsle
zum crstenmal die Marseillaise,
und die Marseillaise ist cin
Ereigniö gewcsen wie Napo-
leon selbst.
Nebenan sind zwei Kaffee-
häuser aneinander gebaut, uud
wem es Spaß macht, kann
hier bcobachtcn, daß er sich
in einer Stadt der Gegen-
sätze befindet. Gewiß, die El-
sässer gehen nicht ausschließ-
lich in das eine, und die
„Schwowe", die Eingewan-
derten, in das andere Cafs,
und die studentischcn Korps
sitzen sogar ein wem'g osten-
tativ gerade dort, wo man
sie nicht erwarten würde —
Straßburg: Theatcr mit dem Poseidonbrunuen v. A. Hildebrand. — J.Manias, phot.
Straßburg: Alte Gerberei im Pstanzbad.
15)
vcrbinden, geben denr
Viertel seinen Reiz:
ein wenig Melancho-
lie und Verlassenheit
mischt sich heutc hin-
ein, und die prüch-
tigen gediegenen Häu-
ser an diesem Stück
des Stadens haben
eine rührende stille
Vornehmheit gewon-
nen.
Der Kahn treibt
uns weiter und schon
nähern wir uns einem
Viertel von anderer
Art, dem ältesten Tcil
der Stadt, der schon
Römeransiedlung
war. Es ist daö Viertet sür dic romantisch Empfind-
samen, und das „Kleine Frankreich" mit seinem durch-
dringendeu Gerbergeruch, die trotzigen Wachttürme und
dic „Gedeckten Brücken" wcrden immer wieder radiert
und gemalt. —
Zur Mittagsstunde gehen wir ins Herz der Stadt,
zum Kleberplatz. Man bcmcrke doch, welch schöne
Plätze Straßburg hat. Sie trcffen alle daö richtige
Wesen eines Platzes: wie cin rechteckiger Einsatz in das
Häusermeer gebettet, sind sie nicht zu groß, bleiben ge-
schlossen und intim und wollen nichts sein als natür-
liche Ruhepunkte in dcr Gleich-
heit der Straßenzüge. Der
Straßburger Kleber ist der
populärste Elsässer, ein natio-
naler Gencral. Während cin
paar „Kneckeö" auö der auf-
geweckten Zunst der Straß-
burger Straßenjungen am
Denkmal des Generals das
Erz seiner Heldcntaten buch-
stabiercn — und wie es tönt,
dies Wort Agyptcn und die
Ernwrdung in Kairo und dic
Anrede an die zur Ubergabe
ausgesordertenSoldaten: ,,8ol-
äats, ou U6 rsxoiiä » uus tslls
lusolouoo gus xur «lss vlo-
toirss. krsxursr: - vous L
oombuttrs!" — sitzen ringö-
herum die letzten der elsässi-
schen Veteranen, die in ihrem
kricgerischen Tcmperament
ganz im Wesen der französi-
schcn Gloire aufgegangen sind.
Sie rauchcn aus Franzoseu-
köpscn und denken an dcn
drittcn Napoleon, dcr ihnen
immerhin Magenta und Dol-
serino, das tapfere Abenteuer
der Krim und ein paar chine-
sische Händel gegeben
hat. DaS ist das alte
Elsaß, das ausftirbt:
dort die deutsche
Wache an der Ecke
deö roten Gebäudes
hat sie abgelöst. Sie
haben sich darein ge-
sügt und sind zufrie-
den, hier in der Sonne
sitzen und rauchen zu
könncn, in der Er-
innerung das Straß-
burg zwischen I8ZO
und I87O suchend,
das so ganz still und
idyllisch scinc sonnigen
Staden ausbreitete.
Ja, sie sind die alte
Garde und daö alte
Straßburg: inmitten von vielem Grün steht die Bronze-
gestalt des tapferen Kleber, ringöum auf den Dächern
hebcn sich die berühmten Storchennester ab und hintcn
taucht der Turm des Münsters aus.
Noch ein Platz ist da, von dem man erzählen muß.
Er ist nach dem Herzog von Broglie genannt, dessen
Koch die erste Erfindung dessen machte, was dann die
Straßburger Gänselebcrpastete wurde. Auch dieser Platz
ist ein längliches Viereck und auch er mit den ein-
schließenden Gebäuden ein Beispiel, wie glücklich und
imnier zeitgcmäß sranzösische Architel'ken zu bauen vcr-
standen, was von dcn deut-
schen der ncucn Viertel wahr-
lich nur selten gilt: — Hilde-
brands Brunnen sreilich mit
dem Vater Rhein, der der
LängSachse deö Platzes solgt,
hat das Stadtbild wirklich
verschöncrt. Der Broglie ist
ein historischer Platz: dort in
einem Gemach des Rathauseö
sang bei geöffneten Fenftcrn
der Leutnant Rouget de l'Zsle
zum crstenmal die Marseillaise,
und die Marseillaise ist cin
Ereigniö gewcsen wie Napo-
leon selbst.
Nebenan sind zwei Kaffee-
häuser aneinander gebaut, uud
wem es Spaß macht, kann
hier bcobachtcn, daß er sich
in einer Stadt der Gegen-
sätze befindet. Gewiß, die El-
sässer gehen nicht ausschließ-
lich in das eine, und die
„Schwowe", die Eingewan-
derten, in das andere Cafs,
und die studentischcn Korps
sitzen sogar ein wem'g osten-
tativ gerade dort, wo man
sie nicht erwarten würde —
Straßburg: Theatcr mit dem Poseidonbrunuen v. A. Hildebrand. — J.Manias, phot.
Straßburg: Alte Gerberei im Pstanzbad.
15)