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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 5
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Flake, Otto: Straßburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0180

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Sandsteinfigur auf der Dogescnbrücke von
A. Marzolff. — F. ?uib, Straßburg, phot.

und rcichlichen Lebensführung um cincn Grad näher.
Dieser KaffeehauSplatz ist — daS crkennt man erst, wenn
man viel gereist ist und nach einem behaglichcn Caft
gesucht hat — einer der schönsten, die man finden kann.
Schon an Aprilnachmittagen beginnt er seinen Reiz
auszuüben. Die Stadt steht in der Kastanicnblüte,

wie etwas Lebendes, das im Frühling crwacht. Aus
allen Plätzen und in so vielcn Straßen bauschen sich
die jungen, vollen Kroncn, die die Menge der roten
und wcißen Kerzen tragen. Aber sind blühende Kasta-
nien nicht auch für Paris charakteristisch? Straßburg
gibt im Frühling eine Erinnerung an den Glanz von
Paris; wie dort merkt man in ihr dcn Frühling.
Wie sür die elsässischen Gärtcn auf den Hängen und in
der Ebene die rosige, schnceige Blüte der Pfirsichbäume
ein Wahrzeichen ist, so die Kasta-
nienblüte sür Straßburg.

Und wenn wir an Sommer-
nachmittagen hier im Schatten der
Bäume sitzen, weht plötzlich aus
der heißen Luft, die über den Platz
streicht, das Geheimniö Straß-
burgs uns unmittelbar an. Es
ist eine sonnige und lebcnssrohe
Stadt, zu der Kältc und trüber
Himmel nicht passcn. Irgendwie
ist nian plötzlich an viele Farbcn
erinnert, an moderne Bilder, an
leuchtende Wärmc.

und doch besteht in der
Führung ein Gegensatz: das
eine hat dcn Zuschnitt und
die dcutliche Stimmung cincö
richtigcn großen Cafss in
der französischen Provinz, in
dcm dic Altercn, von den
Geschästen auöruhend, beim
schwarzen Kaffee im Glas,
der Meerschaumpseise und
den Karten beinahe wie in
ihrem Klub leben. Abcr
lassen wir den Glasvorbau
und die Spielzimmer und
setzen wir uns ins Freie
hinaus, unter die blühen-
dcn Kastanicn. Das Lob
dieser Stadt verlangt jetzt
am lautesten gepriescn zu
werden.

Sie ist um ein Stück
westlicher als andere deutsche
Städte. Sie ist dem ewig
Französischen aller guten

Sandsteinfigur auf der Vogesenbrücke von
A. Marzolff. - F. Luib, Straßburg, phot.

Noch aber gibt es eine Steigerung, das ist an
Sommertagen die Stunde gegen Abend, wenn die Luft
mit einem feinen, zärtlichen, goldigen Dunst gesättigt
ist, der alle Farben miteinander verschmilzt. Abend-
warm, leuchtend und von allen geliebt liegen jetzt die
Staden da — wie ost ging man sie entlang und fühlte
mit einer ganzen Bevölkerung die südlichc Freude, aus
der Straße zu scin: die Häuser haben ihre Kinderscharen
aus die Stege entleert und unten unmittelbar am Rand
dcr Jll steht die halbe männliche Bevölkerung und gibt
sich der Lieblingsbeschästigung, die der Elsäffer mit dem
Franzosen teilt, dem Angeln hin. Um diese Stunde
der gelösten Stimmung leben die Sandsteinquader der
Straßburger Häuser erst ganz, und der Staub des
Tages, der in dcr Luft zittert, wird zu einem sarbigen
schönen Dunst, einer goldigen Hülle
der Stadt. Dann wird es dunkler
und nun wollen wir noch einmal
von den Staden aus den Blick
auss Münster richten: welche Ver-
wandlungen des Lichtes vollziehen
sich da! Der Turm, der sich so
hoch und schlank vom warmcn
Westen abhebt, wird blaupurpurn,
je mehr sein Hintergrund sich auf-
lichtet, und zuletzt ist er erftarrt in
Dunkelheit und Größe wie ein Ge-
birge, um das die Kühle der heraus-
ziehenden Nacht weht.

Sandsteinfigur auf der Dogesenbrücke von
A. Marzolff. — F. Luib, Straßburg, phot.

(Aus Otto Flakes „Straßburg und das
Elsaß". Besprechung im letzten Teil
des Heftes.)
 
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