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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 1
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Reisiger, Hans: Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0040

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Jugend.

Der Geheimrat erhob sich und kam zu ihr. Das
Stück mißfiel ihm. Er suchte sie sanft vom Flügel weg-
zuziehen. „Du strengst dich viel zu sehr an," sagte er.
Und, zu Christian gewendet, fügte er hinzu: „Man darf
sie nicht allzusehr ermuntern, sonst geht sie durch."
Christian war von den letzten Klängen berauscht. Der
dunkle Jngrimm, der tief in der Kunst lebt, erfüllte sein
Herz. Er schalt den Vater innerlich mit höhnischen Worten.
j Man ging in den Garten. Christian verabredete
mit Maria einen Spaziergang für den nächsten Morgen.
„Jch stehe aber ziemlich spät auf," sagte sie lachenv.

Alle sprachen fröhlich und lebhaft, der junge Dohrn
erzählte von einer Reise nach Jndien, die er im vorigen
Winter unternommen, und begeisterte sich an der Aus-
sicht, möglichst bald nach China, vor allem nach Peking
zu fahren. Und nun sprach Christian über diese ocker-
farbene Lehmstadt, über dieses phantastisch-kaiserliche,
traumverschnörkelte Schmutznest so bildhaft und bewegt,
als ob er zehn Jahre dort gelebt und das unwider-
stehliche Stimmungsgift eingesaugt hätte, das dort dem
Europäer droht.

„Man könnte mit Jhnen gute Reisen machen, ohne
aus dem Lehnstuhl aufzustehen," sagte Maria lächelnd. —
Ja, dachte Christian plötzlich mit Jnbrunst, wenn du
auch todkrank gebunden lagest, so würde ich dich doch
in alle Pracht und Farben der Welt entführen.

Er sah in dem tieferen Lichte des Nachmittags das
lebhafte Mädchen mit heftiger Zärtlichkeit an, ihr Wesen
verlockte zur Liebkosung und verhieß holdeste Kamerad-
schaft. Aber wie traurig zu denken, daß sie nicht teil-
nehmen durfte an den wilderen Spielen, nicht am Berg-
steigen und Schwimmen und Tennisspiel, noch im Winter
an Schneeschuhlaufen und Schlittenfahrt. Sie war
dazu geboren! Jhr Lachen war geschaffen, um warm
und fröhlich durch stiebenden Schnee mitzuklingen, mit-
zufliegen, ihr goldenes Haar mußte der Wind zerwühlen,
und ihre Glieder die Sonne verbrennen, die über der
Brandung glüht.

Christian Holtz erfuhr, daß ihre Mutter südlicher
Rasse gewesen und dem nördlichen Klima erlegen war.
Es war immer ein Geschlecht zart-wilder Frauen in
dieser Familie gewesen, verhätschelte, eigenwillige und
doch weiche. Aur Liebe geboren, von der Sonne ihres
Landes heiß geküßt.

Als Christian ging, fühlte er mit stockendem Herzen
den hestigen Händedruck Mariens und sah das dunkle
Gold ihres Blickes in dem seinen. Der alte Geheimrat
lud ihn herzlich ein, recht bald wiederzukommen. Als
er sich von draußen noch einmal umwandte, sah er
durch das Gittertor, wie der junge Dohrn fürsorglich
ein Seidentuch um Marias Schultern legte. „Jhr ist
ja ganz warm!" dachte Christian ärgerlich.

Die folgenden Tage waren alle heiß und sonnig, sie
schlossen sich mit Paradiesesglut um den jungen Philo-
sophen und Weltverbesserer zusammen. Er versuchte
zu lesen, zu studieren, aber was ihm zuvor so lebendig
und dringend erschienen war, stand, wie von einem
Aauberstabe berührt, nun still. Er warf die Bücher
in die Ecke und stürmte verzweifelt und glücklich hinaus.

An dem Tage nach seinem ersten Besuche in dem
Bergmannschen Hause hatte er Maria zu einem Spazier-

gang abgeholt, zu einer schon ziemlich späten Stunde.
Sie war in einem weißen Kleide gekommen, das ihren
goldfarbenen Hals freiließ und mädchenhaft kurz war.
Jhr Haar trug sie unbedeckt, auch hatte sie nichts in
den Händen, weder Sonnenschirm noch Handschuhe, so-
daß etwas Unvermitteltes, Lebhaftes und sehr Freund-
schaftliches in ihrem Erscheinen war. Sie waren zu-
sammen an den grünen Höhen entlang gegangen, all-
mählich ein wenig emporsteigend. Christian hatte viel
von seinen Studien und Plänen erzählt, und plötzlich,
am Rande einer kleinen Wiese, durch die ein Bach
sprang, waren sie stillgestanden und hatten sich geküßt.

Christian war es zumute gewesen, als sei der Atem
des Sommers selbst über seine Lippen geglitten. Es
war etwas Begehrliches und Ungeduldiges in der Be-
wegung Marias gewesen, und sie hatte ihre Arme fest
um Christian geschlungen, gleich als ob er ihr seit langer
Aeit zugehörte. Sie hatten auch, ohne ein Wort zu
sprechen, sich sogleich wieder und wieder geküßt, glühend
und begierig, inmitten der Sonne stehend, von heißem
Grün umgeben.

Plötzlich aber hatte Maria ihn losgelassen, ihn fast
zurückgestoßen, aber doch seine Hände festhaltend, und
hatte mit leidenschaftlicher, tiefer Stimme gesagt: „Du
darfst mich nicht küssen. Jch bin —" dann hatte ihr die
Stimme versagt und sie war, sich wegwendend, in
Tränen ausgebrochen, gleich einem Kinde.

Christian, dem das Herz schmerzlich schlug, hatte sie
sogleich sehr zärtlich umfaßt und ihr Haar gestreichelt,
das warm und schimmernd glänzte, und hundertmal
gefragt, was ihr wäre und warum sie weinte. Sie
antwortete aber nicht, lächelte jedoch schließlich, trocknete
ihre Augen und sagte, sie wollten doch weiter spazieren
gehen und nur von ganz vernünftigen und ernsten
Sachen reden. Auch gab sie Christian nicht ihren Arm,
sondern ging ein wenig entfernt von ihm.

Christian dachte erregt: sie ist durch die ewige Aärt-
lichkeit und Angst des Alten und des Barons ganz
nervös gemacht. Das Herz zitterte ihm bei dem Ge-
danken, weshalb sie so plötzlich geweint. Aber er fühlte,
daß er darüber nicht sprechen könnte, und ging ratlos
neben ihr, voll heißen Verlangens, sie wieder in seinen
Armen zu halten. Sie gab ihm aber auch zum Abschied
nur die Hand, die er begierig küßte.

Die ganze Nacht hindurch träumte er von ihr. Die
kleine hölzerne Stube war von ihrem Hauch erfüllt,
es war, als dufteten die Fichtenbretter von einem
wunderbaren Gewürz.

„Was ist Krankheit?" redete er im finstern Erwachen
zu sich. „Eine Einbildung! Ein Austand des Geistes! —
Jch werde sie befreien von diesem bösen Traum, ich
werde die guten frischen Kräste in ihr wecken. Wenn
sie mich liebt und ihr Herz so warm und stark schlägt,
so wird es alles Feindliche aus ihrem Blute vertreiben!"—
Es war ihm, als könnte er die ganze Welt mit dieser
Auversicht durchdringen, dann aber kam ein süßes,
schwaches Gefühl in ihn: „Mag sie auch krank sein,"
dachte er, „um so tiefer werde ich sie lieben. Jhr Körper
wird mir nur um so heißer gehören, alles Leiden in
ihr wird sich noch viel zärtlicher an mich anschmiegen,
Hilfe suchend, Leben suchend vor der Finsternis des

rs
 
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