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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 1
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Reisiger, Hans: Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0041

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Jugend.

Todes. — Wie kurz ist auch das längste Leben. Wenn
die größere Nähe des Todes alles Lebensgefühl so heiß
erhöht — ist sie dann nicht ein Element des Lebens? —
Wonach ringen wir allezeit, wenn nicht nach irgendeiner
Möglichkeit, unser Jnnerstes leidenschaftlich zum Aus-
druck zu bringen, irgendwie sühlbar zu machen?" —
Und das alte Dichtergleichnis von der Flamme, die sich
im Brennen verzehrt, stieg ihm glühend in der kleinen
Dunkelheit des Aimmers empor.

Er traf Maria Bergmann wieder am folgenden und
allen den nächsten Tagen. Sie war lange Aeit sehr
scheu und zurückhaltend, sie wolltc nur als Freund niit
ihm zusammen sein. Sie brachte einmal sogar den
jungen Dohrn mit. Sie erzählte Christian auch, daß er
beinahe die Ansprüche eines Verlobten an sie habe,
ohne daß man je davon gesprochen, nur durch seine
immerwährende Treue und Fürsorge. Sie machte sich
selbst heftige Vorwürfe darüber, daß sie sein reines
Empfinden mißbrauche und betrüge.

Christian wollte das garnicht anerkennen. Wenn
Dohrn sie liebe, so sei das seine Sache und er könne
glücklich sein, überhaupt in ihrer Nähe leben zu dürfen.

Maria Bergmann wurde allmählich vertrauter gegen-
über Christian und zurückkehrende Leidenschaftlichkeit
verband sich damit. Sie fühlte den reinen und innigen
Willen in ihm. Sie begann mit ihm von den Dingen
zu sprechen, die insgeheim ihre Brust erfüllten. Er
glaubte sich immer klarer darüber zu werden, daß er
dieses Mädchen zu seiner Frau haben müsse. Wie tief
und leuchtend spiegelte sich in ihrem Geiste alles, was
er sagte, wie tönte sein ganzes Wesen in dem ihren
wohllautend wieder, wie berauschend klang in ihrer
Aartheit und Begehrlichkeit der herrische Ton, der ihrer
Kunst entsprang und dem Christian immer wieder mit
Sehnsucht lauschte.

Maria Bergmann gab sich dem Strome hin, der um
sie flutete. Jhr Wesen war so lange Zeit im Tiefstcn
gelähmt gewesen, die Musik war die einzige, wahrhaft
lebendige Bewegung ihrer Seele gewesen, sie hatte sich
tot genannt und unrein, von Gott und der gesunden
Natur verworfen: so hatte sie sich einsam unter heißen
Tränen gebrandmarkt. „Jn den herrlichsten Ländern,
wo die große Sonne strahlt, habe ich mich herum-
geschleppt," so hatte sie sich zugerufen; „mich zu töten
wäre das beste, was ich tun könnte."

Nun löste sich diese übertriebene Spannung. Sie
begann wieder Hoffnung zu schöpfen, wieder Liebe zu
sich, zu ihrem Körper und seiner Schönheit zu fühlen.
Sie machte Pläne, was sie unternehmen würde, um
vielleicht doch noch der Krankheit Herr zu werden.
Ja, manchmal wollte es ihr scheinen, als sei die Ver-
derbnis schon ganz und gar von ihr gewichen. Sie
fühlte sich so kräftig und froh, wie seit langen Jahren
nicht.

Christian hörte freilich Stimmen in sich, die seiner
Liebe widersprachen. — Wenn du sie zu deiner Frau
machst, wird sie fähig sein, dir gesunde Kinder zu schen-
ken? — Jst dies die Gattin, die du dir erträumt? —
Wird sie dir eine Erhöhung all deiner Kräfte bringen
oder aber durch die süße Macht des Mitleids an dir
zehren? — Aber er verlachte das. „Was sind Kräfte

auf Erden?" rief er sich zu. „Sind es äußere oder
innere, auf die es ankommt? — Ein Hauch von ihrem
Wesen ist mir mehr als alle Evaskraft des Paradieses!"

Eines Morgens, an einem der vertrauten Hügel,
begann Christian von seinen Hoffnungen zu reden. Es
kam ihm plötzlich zum Bewußtsein, daß er bisher in
seinen Gedanken immer nur an sich gedacht und über
Maria gleichsam verfügt hatte. Nun befiel ihn plötzlich
die Frage, ob sie selbst wohl jemals damit einverstanden
sein werde, ihn zu heiraten.

Maria saß still. Das Blut stieg in ihre Wangen
und sie wußte nicht, wie sie antworten sollte. Sie wußte
wohl, was sie sagen wollte, aber sie fand nicht die Worte.

Christian dachte an den jungen Dohrn. Er sprach
auch von ihm. Er redete auch von seinem Vater, seinem
Studium, seinen Vermögensverhältnissen, kreuz und
quer durcheinander. Er sprach ganz wie zu einem guten
Kameraden und dennoch wie vor etwas glutvoll Frem-
dem und Bedrohlichem.

Endlich stand Maria auf, ergriff seine Hände und
sah ihn lange an. — „Soll ich ihm glauben?" rief ihr
Herz. „Soll ich sein Leben, das so voller Hoffnung und
Aukunft ist, mit dem meinen belasten?" — Dann sagte
fie, indem ihr die Tränen in die Augen drangen, mit
leiser, leidenschaftlicher Stimme: „Du weißt alles." Da
sprang er auf und schloß sie heftig in seine Arme.-

„Jch siege über den Tod!" schrie Christian Holth,
als er einsam die Berge hinaufstieg. Die Wände der
Schneehöhen leuchteten ihm wie Engelsschwingen. —

Am Tage danach war eine kleine Nachmittags-
gesellschaft bei den Bergmanns. Einige Bekannte, die
ebenfalls im Gebirge zu Besuch waren, hatten sich an-
gesagt. Die Reihe der schönen Tage fchien kein Ende
nehmen zu wollen; seit nahezu vier Wochen war der
Himmel blau und weiß.

Christian war auch eingeladen. Sein Verhältnis zu
dem alten Geheimrat war immer gleich herzlich und
lebhaft geblieben. Sie hatten miteinander diskutiert
und sich an der Natur erfreut und Christian durfte wohl
glauben, daß es nicht gegen den Willen des Geheimrats
sein würde, wenn er ihn um die Hand seiner Tochter
bäte, obwohl er sich über seine Stellung gegenüber dem
jungen Dohrn nicht ganz klar war.

Nur konnte er zuweilen nicht umhin, eine gewisse
unerwartete Zurückhaltung des alten Herrn zu bemerken,
in der etwas wie Furcht lag. — Furcht vielleicht vor
der großen Heftigkeit der Empfindungen Christians und
vor seinem allzu lebhaften Einfluß auf Maria?

Christian hatte sich an diesem Tage einen leichten,
weißen Anzug angezogen, er fühlte sich jung und kräftig
und wohlgcstaltet, er spürte Lust zu springen und herum-
zutoben. Auf dem Wege zu dem Bergmannschen
Hause sah er auf einem Rasenplatz drei schöne Kinder,
blond, braungebrannt, von Leben glühend, die wie
toll fich gegenseitig jagten, übereinander purzelten,
schrieen und lachten. Er rief sie an, winkte mit der
Hand; er hätte zu ihnen laufen, sie ans Herz drücken
mögen, das ihm wundersam und stark klopfte.

Er war mit Maria übereingekommen, vorläufig noch
niemandem etwas von ihrer Verlobung zu sagen. Das
beglückte und bedrückte ihn zugleich. Er wußte nicht

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