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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 1
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Reisiger, Hans: Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0042

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Iugend.

recht, wie er sich dem jungen Dohrn gegenüber benehmen
sollte, der immer gleich freundlich und zuvorkommend
war und keinen Schatten von Eifersucht bemerken ließ.
Nur einen Hauch jener unbestimmten Besorgtheit glaubte
Christian auch an ihm deutlich zu gewahren. Dies
machte ihn aufs höchste ungeduldig.

Er kam^an diesem Nachmittag in eine sehr'fröhliche
Gesellschaft. > Eine jugendliche alte Dame war anwesend,
eine einst sehr schöne Kommerzienrätin, die mit tiefer,
humoristischer Stimme laut sprach, sowie ein junges
Ehepaar, ihr Sohn mit seiner Frau. Diese beiden waren
braun und kraftvoll, sie hatten Grübchen in den Wangen
und schneeweiße Aähne. Ein Strom von Gesundheit
ging von ihnen aus, den Christian freudig aufnahm,
als etwas ihm Verwandtes.

Maria war fröhlicher denn je. Die Besucher wunder-
ten sich alle über die auffallende Besserung ihres Iu-
standes. Niemand hätte vermuten können, daß sie
jemals schwer krank gewesen sei. Sie trug ein helles,
seegrünes Kleid und eine einfache Perlenkette um den
Hals. Christian schlug das Herz vor Entzücken, als er
sie sah und ihren warmen Blick auffing.

Die alte Rätin erzählte mit tiefem Lachen Geschichten
aus dem großen Seebade, in dem sie soeben geweilt hatte.
Sie nahm kein Blatt vor den Mund und nannte die Dinge
beim richtigen Namen. Christian sah oftmals ihre scharf
geschnittene Nase, ihren Mund und ihre Augen an und
dachte, wie schön sie einmal gewesen sein müsse.

Plötzlich stürzten die drei Kinder, die er zuvor auf
der Wiese gesehen hatte, herein, mit halb unterdrücktem
Lärm, lachend und rot. Christian sah mit Entzücken,
daß es die Kinder der jungen blonden Frau waren.
Er gab seiner Freude Ausdruck, sagte, wie herrlich doch
solche Kinder seien. Jn demselben Augenblick aber hatte
er ein Gefühl, als ob er Maria verletzt habe, obwohl
er das sogleich als lächerliche Übertreibung zurückwies.

Maria war übrigens besonderer Gegenstand der
Zärtlichkeit der Kinder. Sie hängten sich an sie, hielten
ihre Hände und die Falten ihres Kleides krampfhaft
gefaßt und redeten unaufhörlich auf sie ein.

„Jetzt marsch!" kommandierte ihre Mutter. „Jetzt
habt ihr die gute Tante Maria genug gequält!"

Es wurde von Musik gesprochen und der Wunsch
leise und fragend geäußert, etwas zu hören. Maria
schien nur darauf gewartet zu haben. Sie sprang
fröhlich auf, dem Hause zu, die andern folgten ihr.

„Wird es sie nicht zu sehr anstrengen?" fragte die
alte Rätin leise den alten Bergmann. — „O nein,"
antwortete dieser, mit der Hand über die hohe, zarte
Stirn streichend, „sie spielt in letzter Aeit wieder mehr. —
Auch kann ich sie nicht davon zurückhalten."

Christian öffnete den Flügel, die schwarze, blanke
Holzdecke, die wie eine dunkle Schwinge sich erhob.

„Was wirst du spielen?" fragte er leise, ihrem gol-
denen Haare sich zuneigend. Sie antwortete nicht, sah
ihn nur lächelnd und mit glänzenden Augen an. Er
ging ein wenig beiseite. Gleich darauf begann sie ein
strahlendes Stück, in einer vollen, durchleuchteten Ton-
art, langsam und leidenschaftlich.

Der Raum verschwand vor Christian Holth. Er sah
nur ein grenzenloses Gold, darin dieses leicht geneigte,

geliebte Haupt. Ein wortloses, entzückendes Weh ging
durch sein Herz. — „Du bist ihrer nicht wert! Sie ist
hoch über dir! Sie gehört Gott zu." — Aber indes
er noch lauschte, verdunkelte sich das Licht; die Kraft der
Spielenden schien den Glanz nicht mehr halten zu
können, er entglitt ihren Akkorden, ihren Händen; ihr
Haupt neigte sich tiefer, und weiche, finstere Klänge
quollen aus der Tiefe empor. Sie übergriffen die
anderen, breiteten sich wie gewaltige, samtne, schwarze
Schwingen durch den Raum. — Christian fühlte, ge-
beugt, indes innerliche Tränen durch ihn rannen, nur
den einen Wunsch, daß diese Klänge schweigen möchten,
daß sie mit einem erlösenden Akkord abscheiden möchten
in ihre heimatliche Tiefe, — sollten sie auch das erloschene,
zarte Haupt mit sich zichen, das sie umgaben.

Als die Musik schloß und Christian die Augen auf-
schllig, war es ihm wie ein Traum, Maria noch leib-
haftig vor sich zu sehen. Sie war blaß und schloß den
Flügel, lächelte dann den Gasten zu und setzte sich in
einen Lehnstuhl.

Der Geheimrat stand mit ernstem Gesichte auf und
sagte mit großer Bestimmtheit: „Nun hast du aber für
heut genug gespielt, Kind!" Man beschloß, wieder ins
Freie zu gehen, auf einen kleinen Hügel, der mit zu dem
Garten gehörte und von dem aus man den kleinen
See sehen konnte, in dessen Nähe das Haus stand, wo
der junge Holth wohnte.

Christian fühlte sich unablässig von einem grund-
losen, dumpfen Schuldgefühle gequält. Warum hatte
Maria so gespielt?

Man stieg den Hügel hinan, um sich ins Gras zu
lagern. Der See glänzte bläulich zwischen den Tannen
und Birken herüber. Die alte Rätin äußerte sich ent-
zückt über die Aussicht. „Jetzt müßte man hier, von
einem unsichtbaren Orchester gespielt, Musik aus dem
,Parsifal^ hören!" rief sie. „Es ist ein gewisser wonni-
ger Ernst in dieser Landschaft!" Diese Äußerung gefiel
ihr selbst sehr. Sie wandte sich lebhaft an den jungen
Dohrn und wiederholte eindringlich: „Ein wonniger
Ernst, nicht wahr?"

Maria war etwas zurückgeblieben. Sie ging zwischen
Christian und dem jungen Dohrn. Die lustige junge
Frau kam an ihnen vorübergerannt, von sämtlichen
Kindern verfolgt, und verlockte Christian ihr nachzu-
setzen.

^ Als er wieder innehielt und sich nach Maria um-
wandte, sah er, daß sie stillstand und sehr blaß war.
Sie hiclt ihr kleines Taschentuch gegen den Mund ge-
preßt, mit der andern Hand hielt sie den Arm des jungen
Dohrn gefaßt. Christian sprang herzu. Sie suchte sich
gewaltsam zu fassen, damit ihr Vater und die andern
nicht beängstigt wurden. Jhre Augen blieben in denen
Christians haften. Als sie das Taschentuch sinken ließ,
sah Christian, daß Blutflecken daran hafteten.
lj Er fühlte sich bis ins Herz erschüttert. Sie ver-
suchte zu lächeln, indes sie ihn immer ansah. Christian
sah den Ausdruck in den feinen Aügen Dohrns: einen
Ausdruck so voll heißer Hingabe und zartester Hüter-
schaft, daß es ihn schmerzlich durchfuhr.

Iugleich aber wuchs der Blick Marias in dem seinen.
Etwas wie eine leidenschaftliche Frage war darin, in
 
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