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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0124

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leicht ließe es siä) auch m dieser lockercn Form gestalten, aber so
wie sie hier ist, gleicht die Erzählung einer Tafel mit sieben
Henkeln an den sieben Seiten, sodaß man nicht weiß, wie man
sie aufhängen soll. Doch was auch in der Geschichte „Das ge-
stohlene Bäumchen" noch zu sehr inL Lehrhafte gerät, der Aus-
gleich zwischen breit-realistischer und symbolisch-geistiger Darstel-
lung, das gelingt dann in der lehten Geschichte „Ausblick auf das
Meer"; auch hier hebt sich aus der Ebene realistischer Malerei
die Darstellung, wie von einem Aeroplan emporgetragen, an einer
Stelle plählich zu der HLHe kosmischen, transzendentalen, religiösen
Gesanges, ohne doch die epische Form zu durchbrechen.

Das Thema ist das von der irdischen und der himmlischen
Liebe: Ein Mann hat mit einer Frau ein Liebeserlebnis gehabt,
aus dem sie, die ihm, und nicht nur ihm, die überhaupt so viel
war, für sein Auge rnoralisch in etwas schuldig, erniedrigt durck
ihre Haltlosigkeit hervorgeht. Er will diese Seele vor Gott nicht
verlieren, also ringt er um eine Auffassung, wo ihre Cxistenz
ihm neu erhöht wieder geschenkt wird, und seine allumfassende
Gesinnung findet diesen Standpunkt. Aber damit ist für ihn das
Thema vom Gegensatz irdischen Trieblebens und seelenhafter
Reinheit überhaupt aufgerollt; zwei anekdotenhafte Creignissc
führen ihm den Gegensatz mit der Symbolik der frühercn Prosa-
skizzen sichtbar vor, und es kommt die Stunde, wo er sehnsüchtig
nach reiner Geistigkeit der Gestorbenen nack freiwillig in den Tod
geht. Die Darstellung beginnt ganz realistisch mit der Fahrt des
Liebenden nach Jerusalem, bis mit Posaunenton bibelworthaft
der Satz aufschreit: „Unter Zehntausenden werden sie cinander
mit einem LLcheln wiedererkennen"; von da steigt sie auf bis zu
der Dityrambik der Schlußanrede: „Gestalt der Braut, die geopfert
wird; Gestalt der Sünderin, die von der Welt sich abwendet.
Leidende Schwester Christi . . . Wesen, an dessen Knien die
Einsamkeit der Welt zerbricht". . . .

Das ist Transzendentalismus, wohl auch Christentum und
sogar Romantik, und wenn man eincm Buche wie Julius Babs
„Fortinbras" glauben dürfte, hätte es damit kaum noch Daseins-
berechtigung. Allein da es dcm Dichter auch weiterhin erlaubt
sein muß, Symbole für jede Stimmung zu finden, die im Menschen
ist, da dieser Dichter ein Wirklichkeitsbcwußtscin hat wie heutc
kaum ein Tatmensch, und Poesie doch ihrem Wesen nach Zurück-
bindung des Individuums ans All ist, wird man auch dies gelten
lassen müssen. Alfons Paguet gehört zu jcnen Geistern, um die
Iulius Bab mit eigcncr Verlcgenhcit hcrumgeht, zu den Novalis
und Dostojewsky, denen er nicht mehr mit eincm begrifflichen,
nur noch mit einem historiscben Maßstab beikommen kann. — Bei
der großen, bei dcr menschlich wahrhaft bedcutenden Umwand-
lung und Vertiefung, die die Malerei hcute durchmacht, kommt
einen manchmal die Skepsis an, ob unsere Zeit demgegenüber im
Literarischen nicht unbedeutend sei. Aber wer unter der depri-
mierenden Masse dcssen, was erscheint, das wahrhaft Lebendige
zu finden weiß, der kann auch an der Hand von Dichtungen heute
im neuen Geiste wandeln: Alfons Paquets Dichtungen, zugleich
tropische Riesengewächse und neue Kristallbildungen, zugleich
Schwemmflüsse und neuc Hinimclsblickc darüber, beweisen cs
mit anderen. Ioachim Benn.

örike-MiSzellen

stellt Hans Wvlfgang Rath zusammen in einem Buche,
das, in einer Ausgabe der Orplidpresse, bei Karl Friedrich Schulz
in Frankfurt a. M. erschienen ist. Cs heißt: „Von innerm Gold
ein Widerschein" und veröffentlicht zum erstenmal: ernste und
heitere Musterkärtlein von und über Mörike.

Musterkärtlein nannte Mörike seine Briefe: das Wort spiegelt
seine zärtliche Liebe für alles Merliche. Bernhard Suphan hat
einmal ein Buch zusammengestellt,, Zierliches von der alten Epzellenz"
(Goethe); so könnte dies Buch heißen „Iierliches vom Pfarrer
zu Cleversulzbach". Wir finden aber nicht nur allerlei Briefe,
die von dem beschränkten Bezirk der Lußeren Mörikeschen Existenz
berichten, wertvoller sind allerlei Dinge und Dinglein aus dem
MörikeschenUmkreis, dichterliche Reliquia, lieb, weil sie aus
seiner Existenz stammen, und wertvoll, weil sie manches Licht
auf sein Wesen streuen.' Mörike ist unter unsern großen Lyrikern -
das Wort natürlich nicht historisch genommen — der Iüngste,
und wird cs bleiben: der Benjamin, das Kind, spielend, verspielt.
Seinem Leben fehlt es an eigentlicher Zentration und Konsistenz,
es scheint wie aus Arabesken und Ornamenten zusammengesetzt.

Und solcher Schnörkel aus lieblichem Schnick und Schnack, — wie
sie aus sciner natürlichen Aindhaftigkeit mit graziöser Natürlichkeit
gleich Zierblüten erkeimen, gleich Zierbrünnlein erspringen — hat
Rath ein ganzes Bündchen gesammelt. Da findet sich abgebildet
ein Notenblatt: sauber mit rosa Tinte die Liniatur gezogen und
so rein die Noten eines Liedes von Iean Iacques Rousseau auf-
gemalt, daß man danacb wie nach einem Stich die Melodie spielen
kann; cin mit gotischer Schrift in goldenen Lettern lithographiertes
Gedicht, das nur im Spiegel von den Schönen, an die es gerichtet
war, gelesen werden konnte; der Griffel, mit dem er auf seinc
Schiefertafel die Mozartnovelle schrieb: mit Messer und Stichcl
ornamentiert und cingraviert darauf das Wort, das viel Mörikesches
Wesen in sich gesammelt birgt, wie eine Traube Saft: „Mozärt-
lein". Mit Aärtlichkeit denkt man: „Möriklein".

Diese Bemerkung, daß die anmutigen Arabesken die Mörikesche
Existenz überwuchern, soll gewiß nicht in dem Sinne einer phili-
sterischen Kleinlichkeit aufgefaßt werdcn, die von dem Dichter
immer nur gesammelte Fülle und konzentrierte Produktivität
verlangt. Davon kann gar keine Rede sein. Im Gegenteil ver-
missen wir an manchen Dichtern — z. B. Konrad Ferdinand
Meyer — eine gewisse Unbefangenheit, wie sie aus der spen-
denden Fülle strömender Natur von selbst erquillt; aber auf der
andern Seite muß ausgesprochen werden, daß bei Mörike unter
diesem Sonntäglichen und Sonntagskindlichen seiner Lebens-
führung der Werktag seines Werkes an Kraft und Fruchtbarkeit
Einbuße erlitten hat.

Und es besteht bei Veröffentlichungen von der Art dieses
liebenswürdigen Buches, immerhin die Gefahr, daß diese Elemsnte
in Mörikcs Wesen zu stark betont werden, wie ja lange Ieit Mörike
ausschließlich oder doch vornehmlich als der Dichter der Jdyllen
gegolten hat. Uns heute aber ist er vornehmlich der Dichter
zugleich zart- und starkfädiger, weit ausgeflochtener Natur- und
Welthymnen.

Sehr willkomnien ist, neben vielen Silhouctten aus dem
engeren und weiteren Kreise Mörikes, eine Lese von Worten
schwäbischer Dichtcr über Mörike, die Rath zusammengestellt hat.
Cs sind darunter außerordentlich präzise und bildhafte Erkennt-
nisse. Lohbauer, ein Iugendfreund, sagt: „Mörike ist, als wäre
er ein Sohn Goethes, geistig aus geheimnisvoller, wilder Ehe";
David Friedrich Strauß schreibt an Vischer: „MLrike nimmt eine
Hand voll Crde, drückt sie ein wenig, und alsbald fliegt ein Vöglein
davon". Uhland hat, tiefer als in den etwas nüchternen Worten,
die Rath aus einem Briefe an den Dichter abdruckt, »nbewußt daS
Wesen der Mörikeschen Lyrik abgebildet, vorausgebildet in dem
linden Gedichte: „Der Sommerfaden":

„Da fliegt, als wir im Felde gehn,

Ein Sommerfaden über Land,

Ein leicht und licht Gespinst der Feen."

Dies ist der Mörikesche Klang: „Aus Duft gewebt, von Luft
zerhaucht". Gottfried Keller schreibt in einem Briefe an Emil
Kuh, den Rath aus der Bächtoldschen Biographie Kellers wieder-
holt, nach Mörikes Tode: „Es ist gewissermaßen wie beim Ab-
scheiden eines stillcn Zauberers im Gebirge, oder bcim Ver-
schwinden eines Hausgeistes, das man erst später inne wird".

Lissauer.

udolfinische Drucke.

In Offenbach a. M. erscheinen seit einiger Zeit in zwang-
loser Folge Liebhaberausgaben von Büchern, die sich dadurch von
anderen Bibliophilen-Ausgaben unterscheiden, daß sie keine ver-
schollenen Werke ausgraben, sondern lebendige, viel gelesenc Bücher
ncu auflegen, und daß sie auf Lesbarkeit und Gediegenheit hin-
arbeiten, anstatt auf äußerste buchkünstlerische Verfeinerung.
Dennoch stellen sie, nach Erscheinung und Preis, wirkliche Lieb-
haberausgaben dar, indem der ungemein schöne und klare Druck
auf kostbarcm Bütten odcr Pergament und dcr handgearbeitete
Einband mit nngewöhnlicher Sorgfalt und künstlerischem Fein-
gefühl angeordnet sind. Es ist das persönliche Werk zweier um
die neue deutsche Buchkunst hochverdienter Männer: Rudolf
Gerstungs, in dcssen Offizin der Druck besorgt wird, und Rudolf
Kochs, der die Bücher künstlerisch ordnet und überwacht.

Diese beiden Namen bürgen für ein hohes Maß gleichermaßen
künstlerischer wie handwerklichcr Solidität. Man kannt die ausge-
zeichneten Akzidenzien und vor allcm die Weinetiketten, welche
den Ruf der Wilh. Gerstungschen Druckcrei begründet haben;
und lennt die prächtigen Drucktypen und Handschriften Rudols

IL8
 
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