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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 6
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Edschmid, Kasimir: Der Soldat: eine Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0235

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er Soldat.

Eine Novelle von Kasimir Edschmid.

Nun schloß Ceczle die Augen, denn sie wußte, daß der
Weg nun biegen werde, und sie ging mit gesenkten Lidern
auf den plötzlichen Genuß der Grasebenen zu mit den
vielen zerstreuten Beeten aus Pensöes, Schiefblatt und
schlanken, hochgezüchteten Geranien.

Dann sah sie auf. Die Sonne schien mild über die
Anlagen und bereitete einen feierlichen Abend vor.
Um das helle Haus des Orangeriegebäudes schlangen
Glyzinen feine Bogen. Auf den gehüteten Rasen-
flächen lagen die Beete wie Sterne und erotische
Blumenmosaike. Ein ganz schwacher Wind lief durch
die Fächerpalmen, und sie sah lächelnd auf und dachte,
wie sie als Kind diese Bäume geliebt hatte und jedes-
mal zu Hause im Buch sie noch einmal aufschlug und
dabei vor größerer Sehnsucht, sie wieder zu sehen,
verzehrt ward.

Hatte nicht Mutter seltsam gelachelt, als sie ging und
log, sie wolle Eniy besuchen? Doch Mutter konnte nichts
wissen. Sie holte die Briefe an der Münsterpost, und
das war weit von ihnen, und kaum konnte sie jemand
dort sehen, der sie kannte.

Sie griff hastig nach dem Gürtel. Jhre tastenden
Finger fingen an nervös zu zittern. Sie nestelte rasch,
mit ungewissen Bewegungen an ihrer Bluse, ließ die
Hände dann leblos herunterfallen und blieb stehen.

Der Brief war fort.

Cecile wußte, daß sie ihn vor dem Tee zu sich gesteckt
hatte. Sie hatte ihn ganz klein zusammengelegt, denn
voni vielen Lesen war er schon zerknittert. Ganz rasch
und sich überhastend flog eine Kette Mutmaßungen
durch ihren Kopf. Ob Maman den Brief gefunden
hatte und ob sie deshalb lächelte. Ob der Brief aus
dem Gürtel gefallen war, wie sie sich nach Rose bückte,
die mit ganz leisem Schnurren die Milch aufsog. Auch
daran, daß sie sich schämen müsse über ihre Lüge, mußte
sie denken.

Aber all dies ging nur über sie hin wie das Streicheln
einer ungeliebten Hand.

Sie dachte daran, aber sie empfand nichts.

Sie sah, den einen Fuß nach rückwärts auf die Spitze
gestellt, mit großen Augen auf eine Buchengruppe, in
die überall ansteigende Kletterrosen eine heiße Welle von
Rot hineinschlugen.

Dann löste sie, erst langsam, dann hastig die Er-
schlaffung ihres Körpers und dachte nur an Laurenze.
Sie dachte daran, welche Schuhe er tragen würde, ob
er braun sei, sie stellte sich ihn vor beim Abschied vor einem
Jahr, als er von seinem Diplom sprach, das er er-
arbeiten wolle mit einer Komposition, bei der er stets
an ihren Kopf in einem Katarakt von blühenden Clematis
denken wollte.

Einmal hatte er geschrieben (sie konnten sich nur so
selten schreiben), es sei diffiziler in Paris als sonstwo.
Aber Laurenze würde schon diplomicrt sein. Ob er ihr
Noten für ihre Geige mitbrachte?

Sie ging immer rascher, fühlte, wie ihre Finger
brannten, ihre Hüften ein Pulsen hinauflief, und hätte

sie sich nicht besonnen, sie hatte einen kleinen Jungen
geküßt und einem Herrn mit würdigem, weißem Bart
die Hand geschüttelt, obwohl sie beide nicht kannte.

Aber sie freute sich.

Als sie um den See schritt, auf dem ein paar Schwäne
sehr langsam ruderten, fiel die Angst über sie, ob sie
die Stunde des Wiedersehens nicht verwechselt hatte.
Die Sonne rollte schon über die Spitzen von ein paar
Birken. Doch! Sieben Uhr hatte Laurenze geschrieben.
Als sie an ihn dachte, verlor sich auch das Gefühl der Un-
ruhe. Sie bog einen schmalen Weg ein, der von Bäumen
bedunkelt war und ihr mit feuchtem Geruch des Bodens
und herber starker Kühle entgegenschwoll. Hier war der
Abend schon weiter vorausgegangen. Sonne und Lärm
prallten an den hütenden Bäumen ab. Der Pfad führte
auf eine kleine Halbinsel, die in den See hineinlief.
Awei dunkle Striche, zogen die Wege an den Mauern.
Awischen ihnen lag ein blinkender Wasserstreifen. Jn
einer ovalen Biegung trafen sich die Wege wieder und
gingen ineinander auf. Man war hier hoch über dem
See, der an die schweren Steinwände schlug. Alles
war vermoost, bewachsen mit Bäumen, Weiden, Pappeln,
Birken, durchdrungen und überschüttet von Schling-
pflanzen, Blumen und ehrwürdigen Gerüchen.

Eine Steinbank schmiegte sich in die Mauer. Awei
ausgehauene Greife schlossen sie ab. Vor der Bank
tanzte ein Springbrunn durch den Abend. Es war
sehr still. Cecile schaute durch die Aste der Weide, die
wie eine Glocke um die Bank floß, suchte das entschwebende
Blau des Himmels, lauschte dem banger werdenden
Schlag ihres Blutes, fuhr auf, als still eine ältere Danie
vorbeiging, und lag ganz leblos an den Stein geschmiegt,
als sie drüben über der Brücke einen bekannten Schritt
vernahm.

Das Echo des Ganges lief vor, es schien, als gehe
der Schritt vorbei, dann bog er ein. Ceciles Kopf war
bleich und ohne Ausdruck, ihre Brust bewegte sich kon-
vulsivisch. Schwach, zärtlich und wie hingeweht lag ihre
kleine Hand auf dem Kopf des Greifen.

Sie fühlte durch tausend dunkle Dinge, die in dieser
Sekunde sich über sie türmten, daß Laurenze langsam
ging, und es schien ihr, daß es sie schmerze. Jn dem gelben
Anzug spannte sich seine starke Figur, doch die Schultern
hingen leicht nach vorn und der Kopf war ohne Stolz.
Er trug einen riesigen Strauß roter Blumen.

Dann vernahm Cecile nur noch das Rauschen des
Springbrunns und sah deutlich, wie die Wellenstreifen
ini Wasser auffuhren, weiterschnellten und sich am Ufer
zerstörten. Es schien ihr, daß Laurenze sie mit seinen
Augen umfasse.

Vielleicht sah er auch nur über ihren Kopf in die
Weite.

Jhr Blick sog sich fest an den Strauß.

Da legte er ihn in ihren Schoß, setzte sich neben sie
und nahm ihre Hände und küßte sie. Einen Augenblick
lag sie noch leblos. Dann brach ihr stehengebliebenes
Blut los, ihre Hände faßten seine Schultern, sie grub
ihren Mund in seine Lippen. Nach einer Weile schlug sie
die Augen dicht unter seinen auf. Jhre Augen waren
viel größer wie die seinen, umringten sie mit einem
strahlenden Kreis, der feucht schimmerte. Dann ließ

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