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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 11
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Krauss, Ernst Emanuel: Aufzeichnungen zu einer Lebenslehre
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0393

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Aufzeichnungen zu einer Lebenslehre.

Den Werdenden gewidmet von Georg Stammler.

Ein Lied von den Bergen.

Wo soll man euch anfassen und schütteln, ihr
junges Volk, daß ihr wieder einmal den Atem
verliert und die Augen zornig wundernd herum-
schlagt! Daß ihr dann merkt, wie lackend euch
das Leben anblickt und welch feine, göttliche Ver-
heißung aus diesem Lachen ftrahlt!

Daß ihr den bequemen Trott auf der ebenen
Straße unbegreiflich findet und den königlichen
Odem spürt, der von Waldhöhen und Felsen-
kuppen herunterwogt in die Hitze und in den
Staub, in die sich euer Wesen mit soviel müder
Genügsamkeit gefunden hat!

Jn die Haare möchte euch daS liebe Wesen
greifen, euch den Kopf leise hintüberbeugen und
euch zeigen, daß eS noch andere Ziele gibt, als
da weiter kriechen, dcn Blick am Boden und die
Augen hungrig nach den Kilometersteinen gerichtet.

Da fteigt eine Welt in starrer Größe hinan,
und wo sie in den eiftgen Himmel taucht, da
schwimmt cine zweite Welt auf fte zu: lockend,
ftlberglänzcnd, auS duftigem Nebel gcwoben,
scharfe Streifen und wirre, getürmte Haufen, so
als wollten fte hier Zwiesprach halten über die
Bedingungen von Kraft und Größe irdischer
Dinge.

Wen von euch drückt da nicht ein tiefer Atem-
zug und durch die Glieder geht ein Straffen
und Spannen, geht ein Sturm der Sehnsucht,
den ganzen Menschen dem nachznschicken, in was
ftch die Augen so selig da droben verankert haben!

Hinauf! Nur noch dieser eine Gedanke flammt
in der Seele — er betäubt uns faft mit dem
grenzenlosen Glück, das er um unö breitet. Hin-
auf, teilzunehmen an jener göttlichen Zwicsprache!

Und sieh, wohin schwand plötzlich alle die müde
und feige Besonnenheit! Steil im Gerölle arbeitet
sich schon der Fuß hinan, über Felsenplatten helfen
ihm die Hände, durchs Dickicht. Die Straße
sinkt zur Tiefe, die Wolken quellen nieder, und
Schmer; und Schweiß wird zur Bestätigung
dessen, daß man emporsteigt.

Ach! Wohl lernen wir diese Berge in den
Büchern. Aber von der Schwindelkraft, mit der
sie unS hinanführen, und vom Wachstum der
Seele an ihrer Größc lernen wir nichts. Diesen
Unterricht haben sie sich selber vorbehalten.

Von Ziel und Bahn.

Es gibt nur Eines, was sein muß auf der
Welt, und daS bist du. Aber du in einer
Ferne, in der Leben und Glück bedeutungSloö
werden und zu der du nur auf der ewigen
Wanderung bift. Auf dieser Wanderung fort-
schreiten: das ist die Erfüllung deineS DaseinS,
daö hebt dich aus dem Reich des Namenlosen,
daö ift der Wert und daS ewige Glück, die du
gewinnen kannst.

Ieder muß den bitteren Weg zu sich selber
gehen: Hunger und Durst, Pein und Kälte,
Dornen, Sümpse, Erdlasten — das ist alleS
einerlei. Es wird unS nicht erspart und ift im
Grunde genommen auch nicht so wichtig. HatS
einer leichter, daS ift beneidenswcrt, ist ein schönes
Geschenk; aber eS ändert nichtS am Grundver-
hältnis der Dinge.

Seinem Leben muß man nachspringen in den
Bergstrom, man muß es verfolgen über die Eiö-
hänge, man muß mit ihm um die Wette tauchen
und fliegen und in brennende Wälder stürmen,
sonst holt man cs nicht ein — und man hat es
nur, wenn man stch mit ihm an den Händen
faßt und so mit ihm seine blitzschnellen Kehren
durchstürmt, oder an einc Felsenschroffe gelagert
über die ewigen Lande hinunterschaut.

Die ganze Welt lärmt und senfzt und rechnet
heute und renommiert wieder und belustigt sich —
und behauptet dann, das sei Ernst und Freude.
Der richtige Ernst schweigt aber, wenn er nicht
singen kann, und die richtige Freude ftrömt aus
und saugt ein und braucht keinen Kitzel, um zu
lachen. Für sie liegt schwer und leicht nicht oben
in der Welt, sondern im Herzen der Dinge, und
da hat es einen ganz anderen Sinn und Gehalt.
Alles aber, was oben atmet, wird leicht durch
den Ernst dieser Tiefe und eS bekommt erst daö
richtige Gewicht durch ihre Freude.
 
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