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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Swarzenski, Georg: Eine deutsch-italische Künstlergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0408

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Abb- 7. Kopf von Ghibertis erster Bronzetür,
Florenz- (Nach Abguß-)

aber auch schon eine Tradi-
tion. Die vorhergehende
Künstlergeneration, die Mei-
ster des Überganges, durch
die die giotteske Überliefe--
rung in die Bahnen einer
realistischen Kunst geführt
wurde, ist durch die der Ent-
wicklungvorauseilenden nor-
dischen Werke und Meister
entscheidend bestimmt. So
wie man den Blick nicht ein-
seitig auf Florenz richtet,
sondern an die Summe künst-
lerischer Arbeit denkt, die die
übrigen italienischen Stadte
und Fürstensitze hierbei ge-
leistet haben, erscheinen die
neuen treibenden künstleri-
schen Gedanken des Nordens
sogar als ausschlaggebend.
Daß hierbei gerade die Mei-
ster des Kleinsten und Fein-

schmiede und Miniaturmaler, gewirkt haben, entspricht
nicht nur dem verfeinerten Stilgefühl dieser Aeit, son-
dern bedeutet zugleich für die vornehmlich auf monu-
mentale Iwecke gestellte italienische Kunst eine schöne
Bereicherung in technischer und geschmacklicher Be-
ziehung. Jm übrigen war die künstlerische Arbeits-
teilung jener Aeit gerade bei den bedeutenden Künst-
lern noch nicht zur Beschrankung auf bestimmte Arbeits-
gebiete gediehen. Goldschmiede- und Bildhauerkunst,
Miniatur- und Wandmalerei, sogar Plastik, Malerei
und Architektur werden ost von den gleichen Künst-
lern betrieben. Dennoch hat bei der Bewertung
nordischer Kunst durch die Jtaliener neben dem künst-
lerischen Gehalt die besondere Feinheit der Arbeit
eine große Rolle gespielt und zu einer Bevorzugung
ihrer tatsachlich unerreichten Kleinkunst geführt. Trotz-
dem findet man schließlich in Jtalien im 14. Jahr-
hundert noch eine zahlreiche Gruppe scheinbar ganz
andersartiger nordischer Meister: Unter den gotischen
Steinbildhauern, die am Schmucke der Kirchen arbeiten,
treffen wir neben ihren italienischen Arbeitsgenossen
verhältnismäßig viele „ultramontane". Ofsenbar sind
sie im Gefolge des Siegeszuges der gotischen Baukunst
nach dem Süden gekommen. Beim Mailänder Dombau
findet man eine ganze, kleine Kolonie von ihnen, in Sant
Ambrogio stehen auf einem Grabmal, im Dunkeln un-
beachtet, burgundische „Pleureurs", man begegnet
nordischen Künstlern in Venedig, Bologna, Neapel,
und selbst in Florenz, wo nur das Florentinische Geltung
hat, arbeitet als Dombildhauer neben den heimischen
Größen ein Deutscher aus Freiburg!

All dies erfährt man aus kurzen sachlichen Angaben,
wie sie in den geschäftlichen Aussagen einer Rechnung oder
den Mitteilungen einer Künstlerinschrift enthalten sind.
Neben diesen verstreuten, wortkargen Nachrichten, die
über so manchen gotischen Meister aus dem Norden in
Jtalien Kunde geben, gibt es einen breiteren, inhalts-

Abb. 8. Apostelkopf-

Vom Kreuzigungsaltar in Frankfurt a. M-

sten, die nordischen Gold-

reichen literarischen Bericht über ein en deutschen Meister
in Jtalien, stammend aus der Feder eines jüngeren
Aeitgenossen, der zugleich einer der größten Künstler
aller Aeiten ist.

Gegen Ende seines Lebens, um das Jahr 1450,
schrieb Lorenzo Ghiberti als ein Siebzigjähriger einen
künstlerischen „Kommentar", der neben einem kunst-
theoretischen Traktat und einer Darstellung der antiken
Kunsttradition die uns vor allem wertvolle Selbst-
biographie des Meisters enthält: die erstc Selbstbiographie
eines Künstlers, die wir besitzen. Gleichsam als Einleitung
zu dieser gibt Ghiberti einen Überblick über die be-
deutendsten Künstler, die ini 14. Jahrhundert in Jtalien
lebten: der erste Ansatz zu einer Kunst- und Künstler-
geschichte des Mittelalters.

Ghiberti schreibt dies nicht als Historiker, sondern als
Künstler; er gibt nicht eine chronikartige Ausammen-
stellung, sondern, im Ausammenhang mit dem Bericht
über sein eigenes Schaffen, eine Auslese, die nur die-
jenigen Meister aufnimmt, die ihm als die Bedeutendsten
erschienen, und deren Werke ihni den größten Eindruck
Hinterließen. Es ist eine Art Bekenntnis.

Unter diesen würdigt er nur fünf Bildhauer seiner
Betrachtung; einer von ihnen ist ein — deutscher
Meister! Ein Meister aus Köln, dessen Nanie in einer
Variante des Tertes in anscheinend verderbter Form als
Gusmin (Goswin?) angegeben ist.

Ghiberti weiß von dem sonst Unbekannten zu er-
zählen, der, wie Ghiberti selbst, als Bildhauer und
Goldschmied gleich hervorragend war. Er bespricht mit
fachmännischem Künstlerurteil seine Kunst und spricht
von seinem Leben, indeni er in schlichten, herzlichen
Worten ein ergreifendes Künstlerschicksal schildert: Wie
der Meister, der in Köln gelebt hatte, zum Herzog von
Anjou (nach Neapel) kam und für ihn eine goldeneTafel
von hervorragendster Arbeit schus. Wie der Herzog dann
für Staatsbedürfnisse die Tafel zu Geld macht, der

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