HEFT 12
HANS MÜTZEL f: DIE DALMATIKA.
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Altertum der Dalmatikaschnitt in Europa verbreitet
war, wissen wir nicht, ebensowenig warum das Ge-
wand gerade Dalmatika oder beXgariKr] heißt. Ge-
genwärtig findet sich dieser Schnitt auf dem
Balkan in Dalmatien, Bosnien, Bulgarien, Serbien,
Makedonien, Walachei, nicht in der Ukraine und in
Mittelrußland, wohl aber an den Wolgaufern an
Hemden und Kitteln und bei Pelzkitteln der fin-
nischen Samojeden und Ostjaken5); ferner bei den
Turkmenen und im Kaukasus, in Syrien, Ägypten
und Abessinien und in Vorder-Indien, ja bis nach
Formosa6)- Wenn auch unter den Berliner wolle-
nen antiken Stücken keine Dalmatiken vorkommen,
so hat doch das Viktoria-Albert-Museum in London
eine für die Beweisführung ausreichende Anzahl
leinener Stücke profanen Charakters.
Für die abendländische liturgische Dalmatika ist
die ursprüngliche geradlinige Form maßgebend ge-
blieben, wie das älteste erhaltene Originalstück in
der Kirche zu Moyen-Moutier von ca. 700 (Braun,
Abb. 260) zeigt. Es ist der in karolingischer Zeit
festgesetzte allgemeingültige Schnitt. Es wäre nach
alledem seltsam, wenn er im Rom der Kaiserzeit
gefehlt hätte, wo alle Kleider der damaligen Welt
getragen wurden. Wir können denselben Schnitt
also mit guten Gründen auch für die profanen und
geistlichen Dalmatiken der Katakomben- und anderer
Darstellungen gelten lassen. Das Stück an sich
ist im Verein mit dem Pallium als „Philosophen-
tracht“ traditionelles Gewand der Apostel und der
Person Christi selbst.
Was ist nun das Colobium? Beide Gewänder
wurden ungegürtet getragen und zeigten in den
meisten Fällen auch die senkrechten, die Nähte ver-
deckenden über beide Schultern verlaufenden Clavi,
welche auch die priesterliche Dalmatika beibehalten
hat. Servius (ad Aen. IX. 606) sagt: „Das Colobium
ist ohne Ärmel und ähnelt der alten Tracht“ (der
klassischen Tunika). Auch St. Epiphanes, de haeres.
I. 15, spricht von einem jüdischen Gewände, dais dem
römischen ähnelt. An anderer Stelle heißt es, daß
die Dalmatika mit ihren engeren Ärmel die nack-
ten Arme besser verhüllt, als das Colobium. Isidor
von Sevilla (ca. 600) fügt hinzu, das Colobium sei
lang, was der Tunika nicht zukommt. Cassian, de
coenob. instit. I. 5, beschreibt das Colobium der
ägyptischen Mönche und sagt, daß es nur kurze
5) Gutnumi Hatt, Ärktiske Skindragder Kjobenhaven
1914.
6) Nach eigenen Feststellungen in europäischen Mu-
seen; ferner auch Max Tilke, Orientalische Kostüme
1923; Ders.: Osteuropäische Volkstrachten 1925.
Ärmel hat, die kaum die Ellbogen erreichen7 8).
In .allen diesen Merkmalen sehe ich Hinweise auf
ein nach dem Dalmatika-Schema konstruiertes Ge-
wandstück, das heut noch in Ägypten und Palästina
weit verbreitet ist, die Tob oder Sebleh der Fella-
chenfrauen s) (vgl. Z. H. W. K. N. F. 2, 213
Abb. 6b). Das Mittelteil mit Halsloch ist dasselbe
wie bei der Dalmatika; doch die Ärmel haben eine
außerordentliche Breite angenommen9). Auf anti-
Abb. 2. Probianus. Diptychon. IV.—V. Jahrh. Berlin, Staatsbibliothek.
ken Darstellungen findet man das Gewand sehr
häufig; doch während die Dalmatika stets an den
ausgeprägten Ärmeln kenntlich ist, verschwinden
die weiten Armöffnungen des Colobiums unter dem
darüberliegenden Pallium (Abb. 2) 10).
7) Literaturstellen nach Saglio, Dictionn. des anti-
quites grecques et romains. Wort „.Dalmatica“, 1892.
Cabrol, Dictionnaire de l’Art chretien.
8) Mützel, Vom Lendenschurz zur Modetracht 1925.
S. 86; Tilke, Orientalische Kostüme 1923. Taf. 1317.
9) Nach demselben Schema ist auch die von den Ära-
bern nach dem Sudan gebrachte sog. Tob der Haussa-
Neger konstruiert.
lö) Beispiele sind: Statue eines Aedilen des IV. Jahrh.
Rom. Museo Capitol. Christus auf dem Mosaik in der
Kirche Cosmas und Damian in Rom. 526—30. Probianus
Diptychon des 4.-5. Jahrh. Berlin, Staatsbibliothek.
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HANS MÜTZEL f: DIE DALMATIKA.
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Altertum der Dalmatikaschnitt in Europa verbreitet
war, wissen wir nicht, ebensowenig warum das Ge-
wand gerade Dalmatika oder beXgariKr] heißt. Ge-
genwärtig findet sich dieser Schnitt auf dem
Balkan in Dalmatien, Bosnien, Bulgarien, Serbien,
Makedonien, Walachei, nicht in der Ukraine und in
Mittelrußland, wohl aber an den Wolgaufern an
Hemden und Kitteln und bei Pelzkitteln der fin-
nischen Samojeden und Ostjaken5); ferner bei den
Turkmenen und im Kaukasus, in Syrien, Ägypten
und Abessinien und in Vorder-Indien, ja bis nach
Formosa6)- Wenn auch unter den Berliner wolle-
nen antiken Stücken keine Dalmatiken vorkommen,
so hat doch das Viktoria-Albert-Museum in London
eine für die Beweisführung ausreichende Anzahl
leinener Stücke profanen Charakters.
Für die abendländische liturgische Dalmatika ist
die ursprüngliche geradlinige Form maßgebend ge-
blieben, wie das älteste erhaltene Originalstück in
der Kirche zu Moyen-Moutier von ca. 700 (Braun,
Abb. 260) zeigt. Es ist der in karolingischer Zeit
festgesetzte allgemeingültige Schnitt. Es wäre nach
alledem seltsam, wenn er im Rom der Kaiserzeit
gefehlt hätte, wo alle Kleider der damaligen Welt
getragen wurden. Wir können denselben Schnitt
also mit guten Gründen auch für die profanen und
geistlichen Dalmatiken der Katakomben- und anderer
Darstellungen gelten lassen. Das Stück an sich
ist im Verein mit dem Pallium als „Philosophen-
tracht“ traditionelles Gewand der Apostel und der
Person Christi selbst.
Was ist nun das Colobium? Beide Gewänder
wurden ungegürtet getragen und zeigten in den
meisten Fällen auch die senkrechten, die Nähte ver-
deckenden über beide Schultern verlaufenden Clavi,
welche auch die priesterliche Dalmatika beibehalten
hat. Servius (ad Aen. IX. 606) sagt: „Das Colobium
ist ohne Ärmel und ähnelt der alten Tracht“ (der
klassischen Tunika). Auch St. Epiphanes, de haeres.
I. 15, spricht von einem jüdischen Gewände, dais dem
römischen ähnelt. An anderer Stelle heißt es, daß
die Dalmatika mit ihren engeren Ärmel die nack-
ten Arme besser verhüllt, als das Colobium. Isidor
von Sevilla (ca. 600) fügt hinzu, das Colobium sei
lang, was der Tunika nicht zukommt. Cassian, de
coenob. instit. I. 5, beschreibt das Colobium der
ägyptischen Mönche und sagt, daß es nur kurze
5) Gutnumi Hatt, Ärktiske Skindragder Kjobenhaven
1914.
6) Nach eigenen Feststellungen in europäischen Mu-
seen; ferner auch Max Tilke, Orientalische Kostüme
1923; Ders.: Osteuropäische Volkstrachten 1925.
Ärmel hat, die kaum die Ellbogen erreichen7 8).
In .allen diesen Merkmalen sehe ich Hinweise auf
ein nach dem Dalmatika-Schema konstruiertes Ge-
wandstück, das heut noch in Ägypten und Palästina
weit verbreitet ist, die Tob oder Sebleh der Fella-
chenfrauen s) (vgl. Z. H. W. K. N. F. 2, 213
Abb. 6b). Das Mittelteil mit Halsloch ist dasselbe
wie bei der Dalmatika; doch die Ärmel haben eine
außerordentliche Breite angenommen9). Auf anti-
Abb. 2. Probianus. Diptychon. IV.—V. Jahrh. Berlin, Staatsbibliothek.
ken Darstellungen findet man das Gewand sehr
häufig; doch während die Dalmatika stets an den
ausgeprägten Ärmeln kenntlich ist, verschwinden
die weiten Armöffnungen des Colobiums unter dem
darüberliegenden Pallium (Abb. 2) 10).
7) Literaturstellen nach Saglio, Dictionn. des anti-
quites grecques et romains. Wort „.Dalmatica“, 1892.
Cabrol, Dictionnaire de l’Art chretien.
8) Mützel, Vom Lendenschurz zur Modetracht 1925.
S. 86; Tilke, Orientalische Kostüme 1923. Taf. 1317.
9) Nach demselben Schema ist auch die von den Ära-
bern nach dem Sudan gebrachte sog. Tob der Haussa-
Neger konstruiert.
lö) Beispiele sind: Statue eines Aedilen des IV. Jahrh.
Rom. Museo Capitol. Christus auf dem Mosaik in der
Kirche Cosmas und Damian in Rom. 526—30. Probianus
Diptychon des 4.-5. Jahrh. Berlin, Staatsbibliothek.
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