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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 8
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Avenarius, Ferdinand: Rokoko
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0119

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S.Ltück.

Lrscbeint

Derausgeber:

zferdinand Rvenarius.

Kestellpreis:
vierteljährlich 2 1/2 Ulark.

2. Zabra.

Nokoko

^-«^^slso: es lebe das Nokoko! „Erst schüchtern,
da und dort in kleinen, mehr anmutiaen
dann immer selbstbewußter, kühner
und nun auf einmal im ganzen
und großen j)rogramme einer nationalen Ausstellung
entfaltet ein während langer Zeit verkannter, ja ver-
pönter ^>til, entfaltet der prachtliebende Barocko, im
verein mit dem goldglänzenden Nokoko, aufs Neue
sein jdanier und verkündet das kViedererwachen seiner
Macht und Lserrschast auf deutschem Boden, gehoben
und belebt von deutschen Meisterhänden." So schrieb
s)aul von Salvisberg im ersten kfefte der (übrigens
sehr guten) „Lhronik der deutsch-nationalen Runstge-
werbe-Ausstellung in Alünchen t888." Also: es lebe
das Nokoko!

Wie herzlich hab ich mich oft an seinen Schöpf-
ungen erfreut. Dieses Blatt hier erscheint ja in seiner
Lsauptresidenz in Deutschlands Gauen: ich hatte es
gut und bequem, mit ihm bekannt zu werden. Nun
lauf ich im Dresdner „Zwinger" herum, ordentlich
angesteckt vom Übermut all dieses Laune, Mitz, Geist-
reichigkeit gewordenen Steins. Wie lustig, den liebens-
würdigen Späßen der Figuren drunten zuzusehen.
Und wie das Rokoko an den Wänden aufs Dach
hinaufklettert und mit dem ehrsamen Gebälk und Ge-
steine droben in ausgelassener Anmut seinen Scherz
treibt, es auseinander und zusammen und durchein-
ander biegt und steckt, umdreht, verlängert, köpft,
verschnörkelt, toll macht. Dann geh ich wieder durch
die Säle eines stolzen Nokokoschlosses. Welche flim-
mernde j)racht in den stolzen, hohen Näumsn mit
ihrem Gold, mit ihren ^piegeln! Die Liguren auf
den geschweiften Nonsoletischen und die Tische und
Tischelchen selber samt den andern feinen Möbeln
ringsum sind Zeugnisse zierlichster Lormenkoketterie
und spielend leichter Überwältigung aller tschnisL '"

Schwierigkeiten. Lange aber halt ich's nicht zwischen
ihnen aus. Nach und nach beschleicht mich ein eigen-
tümlich anfremdendes Gefühl — und Räume, in denen
wir wohnen möchten, sollten uns doch anheimeln.
Zch kenne gothische, romanische und Nenaissance-
Räume, die mich anheimelten, sogar antike, ergänzte
mir die fchantasie nur erst ihre einstige Ausstattung
— merkwürdig, nur Rokokoräume, in denen ich
dauernd hausen möchte, kenne ich nicht.

Wlerkwürdig. Za, in der That: es regt doch
an, drüber nachzudenken.

Was ist es eigentlich für ein sonderbares Ding,
dieses „Anheimeln" und „Anfremden"? Woher
kommt dieses Beseelen der toten Natur aus uns selber
heraus, daß wir's gar nicht lassen können, ist unsre
vorstellungskrast nur einigermaßen rege? Zst es gar
etwas, das zum Wesen des lebendigen Geschöpfes
gehört?

Lür das Tier ist Bewegung und Leben dasselbe;
was sich vor ihm bewegt, das scheint ihm zu leben,
nimmt es nicht wahr, daß es von etwas Anderm be-
wegt wird. Aber auch für den Naturmenschen, dem
sich chonne, Wond und die ganze Trde mit Allem,
was auf ihr ist, zu Geschöpfen gleich ihm oder zu
Gottheiten oder zu Zeugnissen ihrer Thätigkeit beseelt.
chollen doch nach Tylor sogar die alten Griechen noch
einen Gerichtshof für leblose Gegenstände gehabt
haben, „zuständig" für solche, durch die ein Rlenschen-
leben verloren ging. Tin geistooller Rlann, Du prel,
hat die Lyrik eine „paläontologische weltanschauung"
genannt. Zn der Naturbeseelung erblickt er „eine
Disposition des menschlichen Geistes, die durch Zahr-
tausende so sehr befestigt ist, daß sie die moderne
Vorstellung, welche die Trscheinungen auf Naturkräfte
zurückführt" — übrigens ja auch eiue nur etwas
verstecktere Beseelung — „sAbst innerhalb der Ne-





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