Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

DOI issue:
Heft 17
DOI article:
Rundschau
DOI article:
Vom Tage
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0269

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
sT

klassischen Normalkonzerten neben der großen sympho-
nischen Literatnr vorherrschen müßte, wäre, nach
unserem Dafnrhalten, das bedeutende kirchliche
Lhorwerk von mäßigem Umsange. Sieht
man von der Oper, von den Musterbeispielen ihrer
wichtigen frnheren und späteren Lntwickelungsstufen
ab, so ist das den Instrumentalwerken der musikalischen
wiener Dreifaltigkeit an Stilhoheit einzig Lbenbürtige
auf dem Felde der religiösen Tonkunst geschaffen
worden. Wir haben die Bachsche Rantate Tingangs
neben die Beethovensche Symphonie gestellt: sie sollte
der andere Lckpfeiler des Konzertwesens der Zukunft
werden! Man kann, wie bei der Lseranbildung von
Berufsmusikern, so auch bei der öffentlichen musika-
lischen Lrziehung der rblassen im Bach-Rultus über-
haupt nicht weit genug gehen. Zumal gegenwärlig.
In einer Zeit, in welcher es noch an allen kffmmels-
ecken von abziehenden Gewittern künstlerischer Nevo-
lutionen zuckt und wetterleuchtet, ist nichts so sehr
darnach angethan, die in den Nachwehen starker Tr-
regungen noch zitternden Gemüter zu ruhigem Nach-
denken und Genießen zurückzuleiten, als die Bachpflege.
Für das volk, ja für viele Rünstler ist Bach immer
noch mehr der traditionelle Säulenheilige, als der
befruchtende, lebenspendende Gott. Gs ist hoch an
der Zeit, daß dieser Ainderglaube der richtigen Gr-
kenntnis weicht. Außer Bach hätte man für diesen
Teil unserer jDrogramme vornehmlich die alten italie-
nischen und niederländischen B"leister der Thorkompo-
sition ünd nächst diesen bsändel zu berücksichtigen."
„Derletzt es Niemand, daß in einer Galerie eine
Areuzabnahme neben einer Landschaft von bedeuten-
der Anlage hängt, so hat auch die Bachsche Rantate
neben der Beethovenschen Symphonie einen ihr an-
gemessenen sslatz."

Nun redet der verfasser als über „hochwichtige
programmbestandteile" über die s)ausen. Unter
allen Umständen sollten sie lang sein, „nicht zwischen
den einzelnen Abschnitten desselben Merkes, aber
zwischen den verschiedenen Aompositionen. Dem Zu-
hörer muß reichlich Zeit gewährt werden, um die in
seinem Znnern angeschlagenen Tmpfindungssaiten
austönen zu lassen, um aus den gewonnenen Tin-
drücken die Smnme zu ziehen."

Zwei weitere der sechs bis sieben Abende des
betreffendenden Abonnementsz^klus sollten dann, so
meint Marsop, ausgesprochenermaßen Novitäten-
abende sein — das wäre für das Publikum wie
für die lebenden Romponisten gleich vorteilhaft, denn
„jenem würde es erspart bleiben, abwechselnd in

klassischen und unklassischen Gefilden umhergescheucht
zn werden, und diese kämen nicht in den Fall, mit
Mozart und Beethoven, sondern nur in den, mit
Zhresgleichen einen wettstreit einzugehen." „Ohne
vergleich, ohne Abschätzung kann sich Niemand eine
vorstellung davon bilden, was er, was man für schön
oder unschön, für bedeutend oder nnbedeutend hält.
Daher unser vorschlag, Nooitäten mit Novitäten zu
paaren. warum aber denselben überhaupt so viel
Naum bewilligen? . . . Dem s)ublikum, welcher Ge-
stalt auch seine Sympathien und vornehmlich die der
Runstverständigen seien, muß die Möglichkeit offen
stehen, sich über das Aönnen der lebenden Rompo-
nisten ein Nrteil zu bilden. Desgleichen soll
ausgiebig dafür gesorgt sein, daß der nur einiger-
maßen begabte Rünstler, selbst wenn man ihn auf
Abwegen begriffen glaubt, Gelegenheit habe, auch
seine eigenen werke zu hören. Nicht nur um des
etwa zu zollenden Beifalls willen, der ihm nicht selten
ein kräftiger Antrieb zu neuem Schaffen wird. Son-
dern hauptsächlich darum, weil er sich erst bei und
nach der öffentlichen Vorführung seiner Arbeit über
das relativ Gelungene und Mißlungene in derselben
recht klar zu werden fähig ist. <Lr kann, mag seine
ß)hantasie noch so reich und lebhaft sein, in seiner
Studirstube nur vermutungen darüber hegen, wie
seine Romposition klingen dürfte. Durch nichts lernt
er hingegen so viel als durch die Feuerprobe vor dem
s)ublikum, als durch das dieser vorangehende ^tudiren
mit dem Grchester."

„Für die noch übcigen Abende des Zyklus mache
man vorderhand den Gewohnheiten und Neigungen
des s)ublikums einige, für die Zukunft nicht schlechthin
moralisch bindende Zugeständnisse. An ihnen käme
also fürs erste noch die Virtuosenmusik von mehr
aristokratischer Haltung zu wort. An ihnen wäre
ferner den Spätromantikern, deren werke nicht mehr
als Novitäten gelten, eine Lllelle frei zu halten; an
ihnen hätte man von den weniger formvollendeten
oder gedankenschweren, selten gehärten aber immerhin
kennenswerten Rompositionen älterer Meister den
Bibliothekenstaub abzustreifen. ^xäter könnten diese
verschiedenen Nücksichten dienenden Ronzerte gegen
die mit klassischem Normalprogramm ganz zurücktreten
— falls nämlich im Laufe der Zeit mit jenem auch
die breite Wehrzahl der heute noch einer ergötzlich
bunten Abwechselung zugethanen Wusikfreunde nähere
Fühlung gewinnen sollte. Den Dirtuosen müßte es
alsdann überlassen bleiben, ihr bseil außerhalb der
Aufführungen vornehmeren Stiles zu suchen."


Voin Tage.

» Line vergleichung derRriegslyrik von >(870—7>(
mit derjenigen der Befreiungskriege veröffentlichte j)aul Baehr
(ksalle, ksendel). Das Lrgebnis seincr Untersuchung faßt er
fo zusammen: „Rein äußerlich unterfcheiden sich die Dichtungen
dadurch, daß die Ukasse der lyrischen Lrzeugnisse von (8(3 bei
weitem nicht so umfangreich ist, wie die von (870; ferner
zeichnet sich die Lyrik von (870 dnrch große Mannigfaltigkeit
in Bersmaß und 5trophenbau und dnrch den Reichtum ihrer
Dialekte aus. Bemerkenswert dürfte sodann auch die That-
fache sein, daß die Dichter von (870/7( kein einziges melo-
diöses Aunstlied geschaffen haben, welches mittels fchwungvoller

Romposition zum unveränßerlichen Volksgute, zu einem auf
alle deutschen ^erzen mächtig einwirkenden Nationalliede ge-
worden wäre. Zahlreich sind dagegen die herrlichen Lieder
aus den Befreiungskriegen, welche selbst heute noch, nament-
lich von der aufstrebenden Iugend, gesungen werden, z. B.
Schenkendorffs «Freiheit die ich meine»; Zlrndts «lvas ist des
Deutschen vaterland», «was blasen die Trompeten»; Rörners
N)as glänzt dort vom IValde im Sonnenschein» ufw. lVäh-
rend anderfeits das xatriotische Lied der Befreiungskämpfe
fast stets die Physiognomie der einzelnen Dichter widerspiegelt,
dadurch einen ernsteren, wärmeren Tharakter trägt und zum

is

'S


263 —
 
Annotationen