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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 10
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0158

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Ikundsckau.

Dicdtung.

wollte man auch bei NcUlbellN ZordNN, der
am achten d. M. seinen siebenzigsten Gebnrtstag
seierte, nach dem „Temperamente" suchen, als nach
dem wichtigsten Lrklärungsgrunde einer schriststelle-
rischen Bethätigungsart, man würde vielleicht als
innersten Lrreger seines Bewußtseins ein ungewöhn-
lich mächtiges und schier ununterbrochen anhaltendes
Rrastgesühl bezeichnen. Lin „Nassemensch", kernge-
sunder Nachkonnne eines kerngesunden Geschlechts,
körxerlich größer und stärker als Andre, geistig sest,
ohne „Nervosität", zäh, ruhig, dabei aber so feinge-
schaffenen Gehirns, daß er seiner Ausnahmepersänlich-
keit nicht nur empfindet, sondern ihrer bewnßt genießt:
so entwickelt er in sich das dauernde stolze Glücksge-
fühl der Überlegenheit. Gs ist was andres, als zum
Größenwahn führende Selbstüberschätzung: diese bildet
sich leichter in jenen „Nervösen" ans, die bald
himmelhoch jauchzen, bald zmn Tode betrübt sind,
als in jenen Lsärteren, die gelassen und zweisellos
aus ebener Lwhe schreiten. Die ersteren empfinden
im wechsel der Stimmungen den wert des beglücken-
den Zustandes lebendiger, deshalb pflegen sie bewnßt
oder unbewußt jene ^elbstschätzung; eine Natur voll
gleichinäßigen Araftgefühls wie etwa Goethe und wie
auch Zordan, pfiegt fie so wenig, wie der nnbesangene
Gesnnde seine Gesundheit pfiegt.

Aber sie giebt zu seiner weltbetrachtnng die
Grundfarbe. Sie sondert aus „der Trscheinungen
Llucht" für sich, gleich jeder Stiimnung, was sie bekräftigt,
aus, also hier, was zum Gptimismus führt.
Zordan beurteilt die Nkenschheit nach sich. Und während
die deutsche Llotte unter den bfammer kommt, prophezeit
er aus vollster Überzeugung die Nähe der deutschen
wiedergeburt. Taugt die Gegenwart wenig, nun,
die vergangenheit taugte was, nnd was damals
lebte, kann nnr schlafen, nicht tot sein: es muß ge-
weckt werdcn — wir brauchen die „Nibelungen". Tr
sieht das Dasein des Bösen in der Melt, aber er
ruht und rafiet nicht, bis er sich die Notwendigkeit
des Bösen zum Gcdeihen des Guten zurechtgedacht —
und im „Deminrgos" klargedichtet hat. Darwin
kommt. Die Tausende wollen ihn nicht hören, der
sie „erniedrigt zu Affenkmderu", Zordan nimmt
ihn anf als Megweiser zur Trhähung des Aienschen-
geschlechts, den gewaltigen Optimismus der englischen
Lehre als einer der Trfien erkennend.

2lber er ist durch und durch Aristokrat. Lr hat's
ja gesühlt, er fühlt's ja fortwährend nnd sieht es
bewiesen, daß er, die Nraftnatnr an Leib und ^eele,
mehr leistet, als andere und zu deren cheile wirkt, wo
er sie lenkt, weil er weiter sieht, als sie. Und blickt
er zurück aus Lltern und Ahnen, so erkennt er in
ihren altwerdenden, markgesunden Geschlechtern die
Murzeln seiner Araft. Das deutsche Dolk ist ihm
zwar innner noch das erste und beste auf der Melt,
— aber was würde erst daraus, hätt es in all seinen
Gliedern so gute Nasse, wie er hat! Darum: setzt
gesunde Buben und Niädel in die Melt, das ist die
höchste Meisheit. Und die NÜllionen, deren Nasse
nun einmal nicht gut ist? Ze nun, aus ihnen wird
nicht viel zu machen sein, sie müssen wohl zu Grunde
gehn — und übrigens, offen herausgesagt, ihr Geschick

geht uns Nasseleuten eigentlich auch gar nicht recht
nahe. Mas Zordan trotz all seines naturwissenschaft-
lichen Denkens, trotz all seiner „Modernität" in hundert
Beziehungen von der jüngeren Schriftstellerschule
Deutschlands, Lrankreichs, Bkandinaviens und Nuß-
lands trennt mit einer tiefen Nluft: das ist die Ab°
wesenheit jedes sozialistischen Tropsens in seinem Blut,
ist die Thatsache, daß einer der Nttttelpunkte, um
welche das Denken Zener sich bewegt, das „Rapital"
und seine Herrschaft, ziemlich seitab im Neiche seiner
Gedanken liegt. Tr sieht als Darwinist überall einen
Nainpf ums Dasein, aus dem der ^-tärkere zum Vor-
teil des Geschlechtes siegend hervorgeht. Aber nnr
einen Nampf ums Dasein von Nkensch gegen Nkensch,
nicht einen solchen von Nkensch gegen Nkensch plus
Geld, bei dem etwa die Verbindnng der beiden Glieder
rechts anch den Nkenschen links besiegen könnte, der
an und für sich stärker ist, als der mit dem Rapital
verbundene rechts. N)ir hätten ja keine reine „natür-
liche Zuchtwahl" mehr, wenn dem so wäre; Zordan
der Gptimist ist überzeugt, daß wir sie haben auch
im Nulturleben der Dölker, wie der Tinzelwesen.

Als Dichter ist er „Gedankenpoet". Öielleicht zeigt
er sich in den „Nibelungen" — wenn wir jedes
seiner Merke als Ganzes betrachten und von einzelnen
Teilen derselben absehen — am reinsten als Dichter,
wenn Dichtung eine Bildnerei mit geistigen vorstell-
ungen, ein Anschaulich-Nwchen, ein Gestalten ist: klar
und plastisch schieben sich hier am häufigsten die
Nkassen- und Tinzelerscheinungen neben- und zwischen-
einander. Zm Übrigen erlahmt seine fichantasie beim
Ningen mit der Gedankenmasse doch ost. Ls ist nicht
heiß genug, dieses Feuer, um all das schwerflüssige
N'letall zu schmelzen, das die Missenschaft unserer
Zeit in den Tiegel warf, nnd so ergiebt der Guß
kein vollendet gelnngenes Merk. Nkan denke zuinal
an die „Sebalds" und die „Zwei Miegen": wie ost
nüchtern lehrhaftes poetisch Totes neben erwärmen-
dein poetisch Lebendigen! Mir brauchen aber nicht
gnädig zur „Lntschuldigung" Zordans das geliebte
Mort herzusprechen vom löblichen Millen, wenn anch
die Nräfte fehlen — es ist anch mit diesen Dich-
tungen Viel erreicht: sie sind die ersten verarbeit-
ungen einer ob irrigen oder falschen jedenfalls hoch-
bedeutsamen Meltanschauung zu umfassenden Daseins-
schildernngen, die ersten, die wir in Deutschland haben,
und sie bedeuten so eine Gebietserwerbnng sür unsere
Dichtung von noch unübersehbarer Michtigkeit. <Ls
hat noch Neiner einein Lntdecker den Nnhm verkleinert,
weil er das zuerst betretene Land nicht zngleich voll-
ständig ur- nnd nntzbar machte.

wenigstens noch eines verdienstes Zordans muß
bei dieser Festbetrachtung gedacht werden, die doch
nur das mit wenigen Morten berühren konnte, was
Zordans größte Bedeutung für unser Volk und
seine Dichtung ansmacht, die deshalb seine Leistungen
als die des Dramatikers, Lyrikers, ästhetischen Theo-
retikers und als die eines der ansgezeichnetsten und
eines nicht genug gekannten Übersetzers nicht be-
sprechen kann. N)ir meinen: seine Thätigkeit als
Rhapsode. N7an weiß ja, daß Zordan mit seinen
Vorlesungen etwas der Art, nicht nur dem Grade

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