§1
Dichters und Rünstlers, sagt er, wird um kein Gramm
leichter, selbst wenn von seiner Nachfolge nichts Besseres
zu sagen wäre, als das römische Ickeronm ülü ne^nnm.
Neben dieser Bedeutung der Aünstlerindividualität
weiß er auch den wert der historischen Runstbe-
trachtung zu schätzen. Der Neiz der alten Denkmäler,
sagt er (I, t o) liegt in der hier niedergelegten be-
sonderen Lrscheinung der Nlenschheit, der geistig-
körperlichen, die durch gewisse verhältnisse von Zeit,
Bildung und Nace bedingt, so wenig wie diese ver-
hältnisse, je wiederkehren wird. — Die Grientirung
in dem Zeitalter eines solchen Mannes muß man
freilich suchen, nicht in Geschichtswerken, um bauale
kulturhistorische Linleitungen zu schreiben, sondern in
Tagebüchern, Depeschen und Romödien der Zeit <1, 20);
wobei sreilich archivalische und dergleichen Studien
nur Nuhepausen bilden neben der eigentlichen Arbeit
des Studiums der Bilder, der Negeln und der Technik
der Runst (ss). S. S.
(Schluß solgt.)
Vom
Die bekaunte Schriststellerin ^an ny Lewald ist während
eines varübergehenden dlusenthaltes in Dresden iin Alter von
78 Iahren gestorben. Sie sührte seit 50 Iahren die ^eder
nnd war eine der srnchtbarsten nnd gelesensten Schriststeller-
innen Deutschlands. Ihre Leistungen überragen, ohne indeß
exocheinachend zu sein, oder an die N)crke ihrer besten niänn-
lichen Mitarbeiter gleichen Alters heranzureichen, bei weitem
diesenigen ihrer gleichzeitigen Bernssgenossinnen, zeichnen sich
dnrch gnten Geschmack und reine Sprache ans. Fanny Lewald
ist in UAesbaden an der Seite ihres Gattcn Adols Stahr be-
graben worden.
Die rnssischen Mnsikkonserv ato r ie n wurden von
der „Now. wr." abfällig benrteilt. Das Blatt knüpst an Be-
merknngen über die dentschen Kapellmeister in der russischen
Armee an nnd meint, die Musikinstitute hätten sich wie Bier-
bnden vermehrt, bildeten aber keine Rapellmeister aus. Und
zwar deshalb nicht, weil Mufiker, nicht jdädagogen an der
Spitze ständen. Der eigentliche Zweck der Mnsik-chochschulen
müsse sein: Utusiker von Fach 5" bilden, Künstler, Sänger,
ausübende Mnsiker. Statt dessen erhalten Tausende von
jungen Leuten, in der ksossnung, daß ans der Ulasse der
Dilettanten einige Talente hervorspringen werden, eine ober-
flächliche mufikalische Bildnng. Das Blatt sieht darin das
System des allgemeinen Unterrichts ans die Ulnsik angewandt,
ein Spstem, das auch in anderen Gebieten der jdädagogik
einen schädlichen Einfluß ausübe. Dieses Unterrichtssystem
erzeuge keine Talente, wenn sie nicht zusällig gefunden wer-
den, sondern vermehre in Rnßland nnr die Iahl nervöser
Leute mit psychopathischein Temperament. Unter Berusung
aus Arafft-Tbing sagt die „Now U)r." dcm Fortepiano nach,
es wirke auf die Gesundheit der Franen schlimmer, als ver-
schiedene ansteckende Utikrobcn. Die moderne Uiusik wirke,
im Gegensatz zur klassischeu, schlecht aus die Nerven, besonders
Richard wagner vcrursache Nerveukrankheiten. Die russischen
Ronservatorien hätten nichts dazn gethan, den nationalen
Tharakter der russischen Musik ausrecht zu erhalten. In
alter Zeit gab es rnssische Romponisten, dercn Lieder Bolks-
lieder wnrden. Scit die rnssische Ulusik mit Logarithmentaseln
ausgcrechnet wird, kann keine russische Romposition populär
werden. Auch die Deutschen halten die Ainder unserer jüngsten
russischen Utusik, obwohl sie von ihnen stammen, nicht sür
legitim. In jdaris erweckten die Ronzerte des Lserrn Rimski-
Rorssakow Langeweile, und die galanten sranzösischen Aritiker
begnügen sich mit der Bemerkung, die vorgesührten Rompo-
sitionen seien wohl nicht das Beste, was die russische Schule
geleistet habe. Die cherren Glasunaw, Lui, Borodin, Ulnssorski,
blieben ungewürdigt. Die Ronservatorien haben die russische
Ulusik nicht gesördert und selbst die Aoryphäen der sogenannten
„neuen russischen Schule" haben ihre Ausbildung nicht in
russischen Fachschulen erhaltcn. Für die Leitung des Lsos-
, orchesters mußte cin Ausländer bernsen werden. Das gleiche
Trlge.
gilt sür die kaiserlichen Theater. An den jdrivatbühnen sind
alle Rapellmeister Ansländer oder deutsche und jüdische russische
Unterthanen. Bon russischen Birtuosen hört man nichts.
Für die Szene hat das Ronservatorium nnr einige künstlich
gereiste Talente erzogen, ohne Ausländer kommt man nicht
aus. wer singen lernen will, muß doch nach Mailand gehen.
Auf den lyrischen Bühnen sinkt der jdrozentsatz russischer Sänger
beständig. Der Utißersolg lehre, daß man der Ronservatorien
nicht bedars. Nicht durch dcn Bau prachtvoller Gebäude sür
die Aonservatorieu könne man der Sache aushelsen, sondern
durch eine gründliche Beränderung des Spstems der Ausnahme
nnd des Unterrichts und des ganzen Tharakters dieser Fach-
schulen. Anton Rubinstein, einer der Ulitbegründer der russi-
schen Aonservatorien, verteidigte diese nun in einer langen
Zuschrist an die „Nowoje IDremja". Lr nennt eine Ntenge
Namen bekannter Rünstler, die aus den Anstalten hervorge-
gangen scien, er wcndet sich gegen die Behauptung, daß die
russischen Ronservatorien nur ein Abklatsch der sranzösischen
seien („da das j)rogramm unserer Ronservatorien in seinen
Ansorderungen weit strenger gehalten ist, als es die programme
nicht bloß der französischen, sondern überhaupt sämtlicher auslän-
dischen Ronservatorien sind"), er spricht gegen die Ansicht, daß
Ronservatorien überhaupt sür den nationalen Lharakter einer
Ulusik etwas thun könnten. „Line nationale Aussührung
eines Stückes kann schwerlich bestehen; ein nationales Lr-
zeugnis aber hängt von der jdersönlichkeit des Romponisten
ab. Sache des Konservatoriums ist es, eiue regelrechte Aus-
bildung zu geben, d. h. die Theorie der Ulusik zu lehren
(und damit hat die Nationalität gar nichts zu thun), ferner
die Schüler mit den Formen und dem Inhalte klassischer Lr-
zeugnisse bekannt zu machen (hiermit hat wiederum die
Nationalität nichts zu schaffen). U)as aber die Bekanntschast
mit den vaterländischen Lrzeugnissen anbetrifft, so wird in
den Ronservatorien alles, was nötig, gethan. Den Lernen-
den werden Logen in der Oper zur Berfügung gestellt, man
gewährt ihnen sreien Lintritt zu Repetitionen und Ronzerten,
in den Alassen werden die bemerkenswertesten vaterländischen
Aompositionen sür Gesang und Instrumentalmnsik vorgetragcn.
«In srüheren Iahren gab es wirklich russtsche Uomponisten.»
Ia, in srüheren Iahren gab es auch eiuen jduschkin, Ler-
montow, Rrylow, Gogol, die Brüllows, Rlodts und andere
mehr. Sind nun wohl die Lehranstalten daran schuld, daß
solche heutzutage nicht da sind? Die Schule unterstützt die
Genies, aber sie bringt sie nicht hervor." „Die Runst des
Gesanges steht heutzutage nicht mehr aus ihrer srüheren
lhöhe. Diese Frage bildet überall das Böse des Tages, und
es ist schwer, gerade in j?etersburg ein Aufblühen dieser
Runst zu verlangen, wo zu allen anderen kjindernissen noch
schädliche klimatische Bedingungen hinzutreten. Daß es Fehler
nnd Sünden in den Konservatorien giebt, das sieht und be-
greist Niemand so klar, wie gerade ich; doch wo ist die An-
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Dichters und Rünstlers, sagt er, wird um kein Gramm
leichter, selbst wenn von seiner Nachfolge nichts Besseres
zu sagen wäre, als das römische Ickeronm ülü ne^nnm.
Neben dieser Bedeutung der Aünstlerindividualität
weiß er auch den wert der historischen Runstbe-
trachtung zu schätzen. Der Neiz der alten Denkmäler,
sagt er (I, t o) liegt in der hier niedergelegten be-
sonderen Lrscheinung der Nlenschheit, der geistig-
körperlichen, die durch gewisse verhältnisse von Zeit,
Bildung und Nace bedingt, so wenig wie diese ver-
hältnisse, je wiederkehren wird. — Die Grientirung
in dem Zeitalter eines solchen Mannes muß man
freilich suchen, nicht in Geschichtswerken, um bauale
kulturhistorische Linleitungen zu schreiben, sondern in
Tagebüchern, Depeschen und Romödien der Zeit <1, 20);
wobei sreilich archivalische und dergleichen Studien
nur Nuhepausen bilden neben der eigentlichen Arbeit
des Studiums der Bilder, der Negeln und der Technik
der Runst (ss). S. S.
(Schluß solgt.)
Vom
Die bekaunte Schriststellerin ^an ny Lewald ist während
eines varübergehenden dlusenthaltes in Dresden iin Alter von
78 Iahren gestorben. Sie sührte seit 50 Iahren die ^eder
nnd war eine der srnchtbarsten nnd gelesensten Schriststeller-
innen Deutschlands. Ihre Leistungen überragen, ohne indeß
exocheinachend zu sein, oder an die N)crke ihrer besten niänn-
lichen Mitarbeiter gleichen Alters heranzureichen, bei weitem
diesenigen ihrer gleichzeitigen Bernssgenossinnen, zeichnen sich
dnrch gnten Geschmack und reine Sprache ans. Fanny Lewald
ist in UAesbaden an der Seite ihres Gattcn Adols Stahr be-
graben worden.
Die rnssischen Mnsikkonserv ato r ie n wurden von
der „Now. wr." abfällig benrteilt. Das Blatt knüpst an Be-
merknngen über die dentschen Kapellmeister in der russischen
Armee an nnd meint, die Musikinstitute hätten sich wie Bier-
bnden vermehrt, bildeten aber keine Rapellmeister aus. Und
zwar deshalb nicht, weil Mufiker, nicht jdädagogen an der
Spitze ständen. Der eigentliche Zweck der Mnsik-chochschulen
müsse sein: Utusiker von Fach 5" bilden, Künstler, Sänger,
ausübende Mnsiker. Statt dessen erhalten Tausende von
jungen Leuten, in der ksossnung, daß ans der Ulasse der
Dilettanten einige Talente hervorspringen werden, eine ober-
flächliche mufikalische Bildnng. Das Blatt sieht darin das
System des allgemeinen Unterrichts ans die Ulnsik angewandt,
ein Spstem, das auch in anderen Gebieten der jdädagogik
einen schädlichen Einfluß ausübe. Dieses Unterrichtssystem
erzeuge keine Talente, wenn sie nicht zusällig gefunden wer-
den, sondern vermehre in Rnßland nnr die Iahl nervöser
Leute mit psychopathischein Temperament. Unter Berusung
aus Arafft-Tbing sagt die „Now U)r." dcm Fortepiano nach,
es wirke auf die Gesundheit der Franen schlimmer, als ver-
schiedene ansteckende Utikrobcn. Die moderne Uiusik wirke,
im Gegensatz zur klassischeu, schlecht aus die Nerven, besonders
Richard wagner vcrursache Nerveukrankheiten. Die russischen
Ronservatorien hätten nichts dazn gethan, den nationalen
Tharakter der russischen Musik ausrecht zu erhalten. In
alter Zeit gab es rnssische Romponisten, dercn Lieder Bolks-
lieder wnrden. Scit die rnssische Ulusik mit Logarithmentaseln
ausgcrechnet wird, kann keine russische Romposition populär
werden. Auch die Deutschen halten die Ainder unserer jüngsten
russischen Utusik, obwohl sie von ihnen stammen, nicht sür
legitim. In jdaris erweckten die Ronzerte des Lserrn Rimski-
Rorssakow Langeweile, und die galanten sranzösischen Aritiker
begnügen sich mit der Bemerkung, die vorgesührten Rompo-
sitionen seien wohl nicht das Beste, was die russische Schule
geleistet habe. Die cherren Glasunaw, Lui, Borodin, Ulnssorski,
blieben ungewürdigt. Die Ronservatorien haben die russische
Ulusik nicht gesördert und selbst die Aoryphäen der sogenannten
„neuen russischen Schule" haben ihre Ausbildung nicht in
russischen Fachschulen erhaltcn. Für die Leitung des Lsos-
, orchesters mußte cin Ausländer bernsen werden. Das gleiche
Trlge.
gilt sür die kaiserlichen Theater. An den jdrivatbühnen sind
alle Rapellmeister Ansländer oder deutsche und jüdische russische
Unterthanen. Bon russischen Birtuosen hört man nichts.
Für die Szene hat das Ronservatorium nnr einige künstlich
gereiste Talente erzogen, ohne Ausländer kommt man nicht
aus. wer singen lernen will, muß doch nach Mailand gehen.
Auf den lyrischen Bühnen sinkt der jdrozentsatz russischer Sänger
beständig. Der Utißersolg lehre, daß man der Ronservatorien
nicht bedars. Nicht durch dcn Bau prachtvoller Gebäude sür
die Aonservatorieu könne man der Sache aushelsen, sondern
durch eine gründliche Beränderung des Spstems der Ausnahme
nnd des Unterrichts und des ganzen Tharakters dieser Fach-
schulen. Anton Rubinstein, einer der Ulitbegründer der russi-
schen Aonservatorien, verteidigte diese nun in einer langen
Zuschrist an die „Nowoje IDremja". Lr nennt eine Ntenge
Namen bekannter Rünstler, die aus den Anstalten hervorge-
gangen scien, er wcndet sich gegen die Behauptung, daß die
russischen Ronservatorien nur ein Abklatsch der sranzösischen
seien („da das j)rogramm unserer Ronservatorien in seinen
Ansorderungen weit strenger gehalten ist, als es die programme
nicht bloß der französischen, sondern überhaupt sämtlicher auslän-
dischen Ronservatorien sind"), er spricht gegen die Ansicht, daß
Ronservatorien überhaupt sür den nationalen Lharakter einer
Ulusik etwas thun könnten. „Line nationale Aussührung
eines Stückes kann schwerlich bestehen; ein nationales Lr-
zeugnis aber hängt von der jdersönlichkeit des Romponisten
ab. Sache des Konservatoriums ist es, eiue regelrechte Aus-
bildung zu geben, d. h. die Theorie der Ulusik zu lehren
(und damit hat die Nationalität gar nichts zu thun), ferner
die Schüler mit den Formen und dem Inhalte klassischer Lr-
zeugnisse bekannt zu machen (hiermit hat wiederum die
Nationalität nichts zu schaffen). U)as aber die Bekanntschast
mit den vaterländischen Lrzeugnissen anbetrifft, so wird in
den Ronservatorien alles, was nötig, gethan. Den Lernen-
den werden Logen in der Oper zur Berfügung gestellt, man
gewährt ihnen sreien Lintritt zu Repetitionen und Ronzerten,
in den Alassen werden die bemerkenswertesten vaterländischen
Aompositionen sür Gesang und Instrumentalmnsik vorgetragcn.
«In srüheren Iahren gab es wirklich russtsche Uomponisten.»
Ia, in srüheren Iahren gab es auch eiuen jduschkin, Ler-
montow, Rrylow, Gogol, die Brüllows, Rlodts und andere
mehr. Sind nun wohl die Lehranstalten daran schuld, daß
solche heutzutage nicht da sind? Die Schule unterstützt die
Genies, aber sie bringt sie nicht hervor." „Die Runst des
Gesanges steht heutzutage nicht mehr aus ihrer srüheren
lhöhe. Diese Frage bildet überall das Böse des Tages, und
es ist schwer, gerade in j?etersburg ein Aufblühen dieser
Runst zu verlangen, wo zu allen anderen kjindernissen noch
schädliche klimatische Bedingungen hinzutreten. Daß es Fehler
nnd Sünden in den Konservatorien giebt, das sieht und be-
greist Niemand so klar, wie gerade ich; doch wo ist die An-
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