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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 2
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Spitteler, Carl: Literarischer Hader
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0024

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s_.

verständigen, ob ein Mensch dadurch, daß er ein
Theaterstück aufführen läßt oder ein Buch veröffent-
licht, die Micht übernimmt, wenigstens zwanzig Iahr-
hunderte zu erleuchten. wenn sa, gut, dann schließe
man unsere literarischen verkaufs- und Schaubuden
nnd erlabe sich fortan einzig an der philologischen
Textkritik der Rlasfiker; der Alexandrinismus, welchem
wir entgegensteuern, wird dann rasch eine vollendete
Thatsache werden. kVenn aber nein, dann begreife
ich nicht, was uns hindern sollte, an jedem Talent
in seiner Art Freude zu empfinden und ihm seinen
Lrfolg zu gönnen, selbst wenn der letztere weit über
das Verdienst hinausreichen würde. Das publikum
hat seine Launen und seine Lieblinge und wird dieses
Vorrecht bis ans Tnde der Tage behalten; ich gebe
zu, daß es sich seine Lieblinge nicht nach ihrem
literarischen wert auszusuchen pflegt, ich gebe ferner
zu, daß es besser wäre, wenn es anders wäre; allein
ich vermag in diesem Übelstand keinen passenden An-
laß zu unpassenden Streitschriften zu finden, welche
oft einem s)amphlet verzweifelt ähnlich sehen; ja noch
mehr, ich kann jenen Übelstand nicht einmal für
wichtig halten. Indem ich das sage, wird mich schwer-
lich Iemand der s)arteilichkeit verdächtigen, da ich
wahrlich nicht zu den Lieblingen des jDublikums ge-
höre. „Aber die falschen Tagesgötzen versperren ja
dem wahren Talent den weg!" Lfierüber erlaube
ich mir abermals, eine abweichende Ansicht zu äußern
und vielleicht bin ich befugt, über das Rapitel vom
wegabsperren mitzureden, da ich hierin keine geringe
Lrfahrung besitze. was den Neulingen den N)eg
versperrt, das ist keineswegs der Nuhm der „Tages-
götzen" oder, anständig gesprochen, der Nlitstrebenden
und voranstrebenden, sei ihr Nuhm ächt odsr falsch,
sondern vielmehr Lolgendes. Trstens die Noutine
der Geschäftsleute, mit andern Worten das zum System
erhobene Niißtrauen der verlagskönige und Theater-

konsuln gegen alles Neue und Iunge, zweitens die
Vorherrschaft der literarhistorischen Interessen vor
den literarischen bei den Gebildeten und Gelehrten,
drittens die Ratechismen der ästhetischen Schulmeister.
Wohl uns Unbekannten, wenn uns nichts anderes im
wege stände, als die zwanzigste Auflage eines Baum-
bach oder die hundertste Aufführung eines Blumeii.
thal! Aber selbst angenommen, dergleichen stände
uns im weg, so würde es sich immer noch fragen,
ob es schön und wohlanständig sei, die Bahn mittelst
Lsetzjagden und literarischer Resseltreiben frei zu
machen.

Rurz, je länger ich den Tifer gegen die „falschen
Tagesgötzen" beobachte und überdenke, desto mehr be-
festigt sich meine Überzeugung, daß das ü^ilmittel
schlimmer sei, als die Rrankheit. Den Geschmack des
j)ublikums hat noch Niemand durch Rnüttel gebessert,
sondern mittelst schöner Werke; übrigens wäre es ein
Glück, wenn es keinen schlechteren Geschmack gäbe, als
denjenigen des ssublikums, denn ich wüßte schlimmere
Geschmackssorten zu nennen. ksingegen thut der heftige
Üader von Schriftstellern gegen Schriftsteller, selbst
wenn er eine prinzipielle Fahne schwingt, unfehlbar
der würde des Standes Abbruch. wie können wir
denn verlangen, daß uns Zemand achte, wenn wir
einander selber nicht achten, wenn es bald keinen
einzigen lebenden Schriftsteller mehr giebt, dem nicht
schon von irgend einem Landsknecht der Nlusen „die
Nlaske heruntergerissen" worden ist? — Ls giebt
ein altes bewährtes Nlittel gegen den Ärger, welchen
Linem die angebliche Unzulänglichkeit eines Andern
verursacht: beffer machen. wem dieses Nlittel zu
teuer ist, der darf und soll zwar an den Lieblingen
des jDublikums Rritik üben, wie er es versteht, und
wie er es für gerecht hält, allein im Tone der Höf-
lichkeit, ja, ich wage sogar zu fordern, der Achtung*

Larl Spttteler.

Mlgemeineres.

* ZurFrage einerDeutscbenLpracbakademie
nahm G t t o Lyon in Ausführungen Stellung (T. N.
65, 5 6), von denen wir nur deshalb erst jetzt Rennt-
nis geben, weil wir vorher die „Fremdwörterfrage"
im „Runstwart" besprochen zu hören wünschten —
was wenigstens von einem Standpunkte aus nun im
vorvorigen Lsefte geschehen ist. Lyon giebt in seiner
Abhandlung zunächst eine knappe Geschichte des Aka-
demiegedankens in Deutschland, der in der Gegenwart
wieder auf so fruchtbaren Boden gefallen ist. Der Ver-
fasser, ein kräftiger Bekämpfer des Fremdwörterun-
wesens, erblickt darin doch „eine große Gefahr für
unsere Sprache und Literatur." Das Streben nach
politischer Linigung Deutschlands sei es vor Allem
gewesen, was in der Vergangenheit die Lserzen großer
wlänner für die Gründung einer Akademie der be-
sprochenen Art erwärmte: nun haben wir ohne Aka-
demie erreicht, was jene ersehnt. „Denken wir uns,
daß im vorigen Zahrhundert eine Akademie entstanden
wäre, so würde vermutlich in ihr der Geist Gottscheds,
Adelungs und Lampes die Herrschaft geführt haben:
für die jungen Feuergeister und ihre werke, die im
Ausgange des vorigen Zahrhunderts eine Neugeburt

IKundscbau.

unserer Dichtung herbeiführten, wäre sicher in ihr
kein platz gewesen." Sie hätten unmöglich erst ihre
Gedanken und Ausdrücke dem Nichterstuhl einer
Akademie unterbreiten können, dem Gedanken würde
wenigstens durch ein solches Verfahren alle Rraft
und aller ^aft genommen worden sein. „Trocken,
dürr, leer, steif und unbelebt wäre er dann an die
Gffentlichkeit getreten. Doch, wird mir hier Mancher
einwenden, Goethe und Schiller hätten wohl Rraft
genug gehabt, aus dem Rampfe mit der, Akadenne
siegreich hervorzugehen. Und wenn dem so wäre —
giebt es denn immer Geister von dem Range eines
Schiller und Goethe, welche, wie ein mächtig dahin-

* Die vorstehenden Ausführungen weisen auf eine fo
unzweifelhaft kranke Stelle in unserm Schrifttum hin, daß es
fchon eben deshalb Recht und Pflicht des „Kunstwarts" ge-
wesen wäre, sie seinen Lesern zu vermitteln. Doch fcheint es
uns, daß einige Seiten des besprochenen Übelstands von
anderem Standxunkte aus doch etwas leidlicher aussehen, als
von dem des kserrn Verfassers. Nimmt kein Berufenerer das
N)ort, so wird der bserausgeber dieser Blätter im „Sprechsaal"
auf die altera pars hinzuweifen fuchen. R.-L.

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