Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

DOI Heft:
Heft 8
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Rokoko
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0122

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Wächst das Äokoko zwischen uns wieder zur
herrschenden !Nacht herauf, so wird es mehr als einen
Unsegen mit sich bringen. Die Schönheit des Um-
risses, der „s)rofilirung", einer der wesentlichsten vor-
züge, welche die vornehm ruhige wirkung edler
Renaissancewerke erzeugen, wird in Zukunst Gott weiß
wo zu suchen sein, nur nicht bei unserm Nokoko: sie fehlt
selbst den allerbesten unter seinen Ltücken, z. B. den mit
Necht so gerühmten Tafelaufsätzen aus dem Silber
des Aaisers. Die tiefen, satten, kraftvollen Farben,
die zu genießen die Benaissance unser Auge wieder
stark genug machte, sie werden abermals den zarten,
blutarmen, blassen den j)latz räumen. Uut Änn
für schöne jDrofilirung und kraftvolle Farben hatten
wir doch was gewonnen vor Lseranbildung eines
eigenen n euen kunstgewerblichen Ausdrucks unserer
Zeit — nun wollen wir's wegwerfen. was aber
das Schlimmste ist: das, was wir mit allen Mühen
als Grstes feder Thätigkeit auf diesem Gebiete wieder
in uns erwecken, pflegen und erziehen sollten, das
verständnis dessen, was Stil ist, und die toten Dinge
aus Stein, Lsolz und Metall um uns her beseelt zu
Organismen, die durch ihre Lrscheinung leise zu uns
sprechen — dies verständnis wird durch das Nokoko
unterdrückt.

Zst ihm doch dieses Unterdrücken dereinst so gut
gelungen, daß es seitdem zu Lnde war mit wahrhaft
bodenwüchsigem Runstgewerbe, daß an Stelle der Tnt-
wicklung von Formensprachen, die der Ausdruck des
wesens der Zeiten waren lNomanismus, Gothik, Re-
naissance bis zum Rokoko), fortan nur ein Lsetzen
von Nachahmung zu Nachahmung, von Niode zu
Ukode eintrat. Denn das kennzeichnet die nun folgende
Zeit: der Sinn für das Grganische, Lebendige, der
Sinn für den Stil war nicht mehr da, man hörte
uicht mehr, was alle die Formensprachen sagten, man
hielt ihre vokabeln und Sätze, ich meine: ihre künst-
lerischen Ausdrucksformeln schon sür das, was sie aus-
drückten. Durch Bemühungen tüchtiger Männer und
durch die eigene Übung kam man seit der Untte dieses
Zahrhunderts doch wieder so weit, tiefer ins wesen
zu sehen. wir haben aus den letzten Zahrzehnten
und sogar in großer Anzahl kunstgewerbliche Schöpf-
ungen, die den Lrfordernissen des Stils als der inneren
wahrheit und Beseeltheit im besprochenen Sinne durch-
aus genügen. wär' es so fort gegangen, vielleicht
wäre das Stilgefühl wieder wie im Handwerk der

— SfT

alten Zeiten Gemeingut geworden, und wir hätten
damit die Grundbedingung für das so warm Lrsehnte
gewonnen: für die Ausbildung einer eigenen, uns
selber kennzeichnenden Ausdrucksweise, für einen
deutschen Stil des t9. Zahrhunderts. Und nun
rupfen wir die jungen ssflänzchen wieder aus.

Rein Tinzelner kann's aufhaltel'. Auch wir Alle,
die wir dem Runstgewerbe denkend gegenüberstehen,
könnten es selbst dann nicht, wenn wir einer Nleinung
wären, was wir ja leider nicht sind. Denn das Runst-
gewerbe ist nicht von uns abhängig und nicht von
den wenigen Neichen und vornehmen, die mit innerer
Teilnahme ihm gegenüberstehen, sondern vom protzen-
tum hier und von der gedankenlos nachtrottenden Mehr-
heitsheerde dort. Die scheren sich den Teufel um Ge-
schmack: sie wollen das Neueste, heute das Altdeutsche,
morgen das Nokoko, übermorgen das Zapanische, weil's
Niode, weil's „fein" ist, weil es der und jener auch
hat und weil's ja die Mittel erlauben. An und für
sich war's belustigend, dem friedliebenden Börsianer
zuzusehen, der sich unter der altdeutschen Nlode Nlorgen-
sterne und Hellebarden in's Zimmer pflanzte, und be-
lustigend wird der Nkann der Touponscheere sein, wenn
er sich von den Satyrn und Nymphen des Nokoko
in seiner eigenen wohnung Gesichter schneiden läßt.
Schade nur, daß es damit nicht abgethan ist. Schade
nur, daß unsere Nunsthandwerker immer noch auf
solche N'läzene angewiesen sind. Hätten wir mehr ein-
fache Arbeiten, wir würden über Schön und bjäß-
lich ungleich schneller ins Rlare kommen. So geht
es der Wenge wie den Nindern, die jede geputzte
Frau für schön halten.

vielleicht erleben wir doch noch einmal ein volks-
tümliches Runstgewerbe. Lin Nunstgewerbe, das
nicht in der Nostbarkeit des Nkaterials, noch im
Neichtum des Schmucks, sondern in der einfachen
Nennzeichnung der Gegenstände durch sinn- und lebens-
volle Gliederungen, gute verhältnisse und schöne
LÜnien seine Aufgaben sieht — Aufgaben, deren künst-
lerische Lösung keinen Groschen mehr kostet, als die
unkünstlerische. An Ansätzen und versuchen dazu hat
es nicht gefehlt und fehlt es, Gott sei Dank, selbst
jetzt nicht. Solch ein Runstgewerbe würde der Lnt-
wicklung des Stilgefühls dienen und damit sich und
der Baukunst den festen Boden im Volksempsinden
schaffen. zf. N.

Tbeater. IKundscllUU.

* Die körperlicbe Weredsamkeit. — Der

Lrste, welcher die körperliche Beredsamkeit als ein
Grundgesetz der Schauspielkunst erkannt hat, war
^essing. Tr hatte sogar die Absicht, ein tverk über
dieseit Gegenstand zu schreiben und darin die Grund-
sätze zu entwickeln, nach welchen ein Lchauspieler die
verschiedenen Tmpsindungen durch entsprechende Nörper-
bewegungen und den Gesichtsausdruck wiedergeben
tollte. Das versprochene tverk ist nie zu Ltande ge-
rommen; daß sich Lessing aber ernstlich mit der Frage
beschäftigt hat, würden wir nicht nur daraus schließen,
daß er dem publikum ein solches werk vorzulegen
versprach, sondern auch aus dem nur allgemeine

Gesichtspunkte enthaltenden Lntwurf, der sich in seinem
dramaturgischen Nachlaß vorgefunden hat. Lessing
war der Ansicht, daß sich das Äußere der Schauspiel-
kunst auf ganz bestimmte Gesetze zurückführen lasse,
die sich dann jeder zu eigen machen könne, der von
der Natur mit einem gewissen darstellerischen Talente
begabt ist.

Tessings Beispiel genügte, um die Frage nach der
Niöglichkeit einer syftematischen Behandlung der 5chau-
spielkunst anzuregen. Aber bis in die jüngste Zeit
hinein war die Zdee einec ^ehre von der körperlichen
Beredsamkeit noch nicht verwirklicht. wlit großer
Linseitigkeit haben alle Lehrer und Zünger der Schau-

— u^ —
 
Annotationen