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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 9
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Spitteler, Carl: Aus dem Zirkus: eine Faschings-Betrachtung
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0137

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an antike Statuen erinnert zu werden, einerlei wie?
Da erhalten wir denn ein liebliches Gleichins: Die
2llten ahmten mit ihren Statuen den menschlichsn
Rörper nach, im edelsten ^toff und in den idealsten
Formen denselben verschöuernd; wir äsfen dnrch den
menschlichen Rörper die antiken Statuen nach, mit
den abscheulichsten Leibern und mit den gemeinsten
Stoffen dieselben verballhornend. Noch ein Schritt
weiter, so werden unsere Bildhauer die Blehlakrobaten
des Zirkus in Marmor ausführen, mn auf diesein

wege zur Natur und zur Autike zu gelangen. Der
Gipsel des Geistes wird es indessen sein, wenn nun
die gescheckten Filzvirtuosen, von Neid über den Lrfolg
ihrer gypsernen Rollegen erfüllt, den letztern ins Hand-
werk pfuschen, sich in ihren roten Fräcken in die
Narrenbrust werfen, martialische Gesichter schneiden
wie ein Fechter oon Bologna und die Faust erheben wie
ein s)atriarch, der seinen Sohn verflucht. Auch das
kommt vor und erregt einen wahnsinnigen Beifalls-
sturm. Larl SpittelLr.

Allgemeineres.

* „NAas erwartet die deutscbe Ilvunst
uou Ikuiser 'eelildelm II. ist eine Frage, welche
gar sehr der Grörterung wert ist. Gin Schriftchen,
wie das, welches unter vorstehendem Titel bei
N). Friedrich in Leipzig anonym erschienen ist, wird
daher geeignet sein, das Interesse weiterer Areise
in Anspruch zu nehmen. Bringen die „zeitgemäßen
Anregungen", die es enthält, auch nicht durchweg
solche IVünsche zum Ausdruck, welche die deutsche
Aunst überhaupt zu den ihrigen zu machen geneigt
wäre — was z. B. über die Literatur einschließlich
des Theaters gesagt wird, entspricht nur dem j)ro-
gramme einer kleinen literarischen s)artei, nämlich
dem der sogenannten Neuen Dichterschule — so unter-
ziehen sie- doch viele der bestehenden Tinrichtungen
einer Rritik, welche auch an maßgebender Stelle Be-
achtung gefunden zu haben scheint

Angefangen wird mit der Baukunst. IVenn
da gewünscht wird, daß die Beamten der Baupolizei
eine gründliche ästhetische Ausbildung erhalten möchten,
so ist das nur zu billigen. Auch verdient die An-
regung, neue Stadtteile, wie solche gerade fetzt in
fast allen größeren Städten erstehen, in einheitlichem
Tharakter durchzuführen, Beachtung. Bedenklich da-
gegen wäre es, wenn der Staat, wie der Verfasser
es wünscht, darauf ausgehen wollte, alle öffentlichen
Bauten in einheitlichem Geist errichten zu lassen.
Der Staat, meint er nämlich, solle erkunden, welcber
Baustil dem Wesen des nationalen Geistes am meisten
entspreche; die Antwort hierauf bietet er dann sreilich
gleich selbst: nur die Gothik und die sogenannte
deutsche Nenaissance seien für solchen Zweck geeignet,
„wenn schon die moderne Architektur auf einen eigenen
Stil verzichten will". Aber will sie denn das, soll,
muß, darf sie das?

Zn Bezug auf die Malerei steht der Verfasser
auf einem Standpunkte, der bereits etwas veraltet
zu werden beginnt. Tr meint nämlich, die Ankäufe
und Bestellungen seitens des Staats dienten nament-
lich zur Unterstützung der Runst, d. h. der Rünstler,
während sie nur auf die Trhaltung einer kräftigen
Runst und eines gesunden Runstgesühls abzielen.
Darüber, daß er infolge einer solchen Auffassung für
Altertums-Riuseen gar kein Verständuis hat, wollen
wir nicht sprechen. Wenn er von der Riode-Runst
meint, dieselbe stehe mit wenigen Ausnahmen auf
der Lsöhe der Rinderstube, so ist ihm darin nicht so
ganz Unrecht zu geben; was er aber an die Stelle
dieser Runst gesetzt wissen möchte — die „Schilderungen
des Familienglücks, der Barmherzigkeit oder des Un-

IKundscbAU.

glücks, welches Lüderlichkeit und Leichtsiun über
ganze ^äuser bringt" (^>. 3-^), die statt in Uluseen
aufgespeichert zu werden über die verschiedenen großen
Ltätten des öffentlichen Lebens verteilt werden sollen
— riecht etwas stark nach Tendenzmalerei, über
deren künstlerischen U)ert oder Unwert zu verhandeln,
heute freilich zu weit führen würde. Lin guter
Rern ist ja in dem Gedanken enthalten. Die Aka-
demien, deren Rünstlerbeamtentum drastisch geschildert
wird, möchte der verfaffer durch Tlementarschulen
für bildende Rünstler ersetzt, im Zusammenhange damit
auch die Bildung freier Schulen, in denen die Lernenden
je nach persönlicher kfinueigung ihre weitere Aus-
bildung suchen könneu, uuterstützt wisseu.

Die Bildhauerei wird nur kurz behandelt,
obwohl gerade hier viele wichtige Fragen, namentlich
in Bezug auf die Behandlung monumeutaler Auf-
gaben, ;u erörtern gewesen wären. Es wird in
Vorschlag gebracht, die Tharlottenburger Thaussee zu
einer Trinnerungsstraße an die glorreiche Negierung
Raiser wilhelms umzuwandeln.

5ehr schlecht kommt die Nlusik weg, nameutlich
die klassische. Dieser „ernsten Musik" wird kaum
eiu andres Verdienst zuerkannt, als das, „die Nienschen
von anderen minder geschmackoollen Uuterhaltungen
abzuhalten". (S. 6 8.)

Die Literatur will der verfasser nameutlich
durch die Gründung einer literarischen Abteilung
an der Akademie der Missenschasten gefördert sehen,
in welche alle mit dem ^chillerpreise gekrönten Dichter
eo ix>8o als Niitglieder einzutreten hätten. Die
Rommision für die Verteilung des Schillerpreises soll
reorgauisirt werden; „Leute, welche an heroorragenden
^tellen mitteu im Literaturleben der Gegenwart
stehen, ein Frenzel, ein Fontaue, ein Bulthaupt usw."
sollen in derselben stllatz uehmen. Die einzelflaatlichen
literarischen Sachverständigenvereine sollen aufge-
hoben, und die Abgabe von Gutachten soll der Landes-
akademie (soll wohl heißen: einer Reichsakademie?)
übertragen werden, damit eine größere Tinheitlichkeit
erzielt werde.

Das Berliner Lsoftheater bekommt manches bittere
N)ort zu hören, z. B. daß es „zu einer leeren Unter-
haltungsanstalt für kindische und unreife Backffsche,
die Töchter der staatlichen Beamten, geworden" sei,
daß darin „die herrlichen Dichtuugen unserer Rlassiker
zu erbärmlichen Nlaskeufesten mit Versbegleitung"
gemacht würden. Um in dieser bffnffcht Befferung
zu schaffen, wird die vollfländige Trennung der Ver-
waltung und thatsächlichen Leituug der beiden ^of-


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