Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:
Spitteler, Carl: Aus dem Zirkus: eine Faschings-Betrachtung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0136

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Not. Line ganz erbärmliche Figur spielt der Iongleur
zu jl)ferde; diesem berittenen Apothekerjüngling mit
seinen goldenen s?illen würde man ohne 2lbschieds-
schmerzen ans Nimmerwiedersehen Lebewohl sagen.
Der Lrsatz des elastischen Tanzseils durch den Lisen-
draht dars auch keine glückliche Neuerung heißen;
denn es ist ohne Zweifel vernünstiger und schöner,
daß eine elastische Gestalt von einem elastischen Seil
in die bsöhe gefedert werde, als daß Zemand mit
breiten Schuhen und plumpen Tritten schwersällig die
Luft bergan wate wie durch einen Sumpf.

Am Übelsten sieht es in der humoristischen Gegend
des Zirkus aus. Da sind die Tlowns, die bestellten
Lmstichmacher, die rechtmäßigen Lrben des Shake-
speareschen Narrenhumors, von welchen ich zwar bei
Leibe nicht verlangen möchte, daß sie zwischen Thränen
lächelten — das sehlte gerade noch! — aber von
welchen wir fordern dürfen, daß sie uns erheitern,
um so mehr, als ihnen keine ästhetischen Verbote
bchidernisse bereiten, als ihnen von Zedermann das
Necht zugestanden wird, in dem ganzen ungeheuren
Gebiet der Sprache uiid Gebärde irgend etwas
Fröhliches gleichviel welchen Stils zu erjagen. was
ließe sich daraus machen! Nud was machen sie
daraus! Schon ihre Rleidung ist eine Bankerotter-
klärung des bVitzes und obendrein eine Beleidigung.
Romisch wirkt ein Rleid, wenn es ein Ntotiv aus
dem Leben karrikirt; wofür jedoch keinerlei Anhaltungs-
und Vergleichungspunkte aus der täglichen Anschauung
gegeben sind, das kann einem vernünftigen Ntenschen
kein Lachen abgewinnen. Was sollen uns diese
Mehlgespenster mit ihren spitzen jDerrückenhelmen, mit
ihren chinesischen Ntalereien auf Pariser Fräcken, mit
ihren unter den Achseln festgebundenen feuerroten
jAuderhosen? An wen oder an was erinnern sie?
N)as wollen sie verspotten? Nichts; sie sind blos
Ausgeburten des Aberwitzes, sinnlos für den Geist
und häßlich für das Auge; dazu mit ihren Ansprüchen
auf unsere Lachmuskeln widerwärtig aufdringlich.
Die richtige Ausstaffirung des Tlowns wäre naturge-
mäß die Übertreibung wirklich vorhandener Aleider-
trachten oder Rörperformen, vom Nienschen hinab
bis zur Tierwelt; alle A'tasken der volkskomödie be-
ruhen ja ursprünglich auf diesem Grundsatz, der eng-
lische Tlown nicht weniger als der französische j?aillasse
oder der italienische j?antalone oder der deutsche
Lsanswurst. wer verwehrt denn dem Zirkusnarren,
aus der Atttte des großstädtischen Liebens nicht noch
tausend andere Typen zu holen, als den dummen
August, die einzige konnsche Figur, welche der TVitz
vieler Tausends während langer Zahre zu erfinden
gewußt hat? Niemand verwehrt es ihm, als seine
Unfähigkeit und unsere unglanbliche Anspruchslosig-
keit. wenn vier Llowns einen Llephanten oder
ihrer zwei ein Thepaar von Ratzen darstellen, dann
sind sie in ihrem Gebiet, dann erheitern sie uns, dann
zwingen sie' uns zum Lachen, ob wir wollen oder nicht.
Allein giebt es denn nicht noch mehr Tiere auf der
welt? Soll denn selbst in der j?arodie die Schablone
herrschen? Sind wir dazu verdammt, überall nur
in ausgetretenen Geleisen zu wandeln? Giebt es
denn kein Lünkchen gesunden Übermuts, fröhlichen
Spaßes mehr? Zch machte mich anheischig, Sonne,
^ Ailond und Sterne samt der Attlchstraße dazu zu

zwingen, daß sie nns nicht blos beleuchteten, sondern
auch erheiterten. -- Allcin die ^erren Tlowns dünken
sich wohl zu vornehm, um ihren Narrenberuf mit
Trnst durchzudenken und auszuführen; sie haben ja
auch viel Lrhabeneres zu thun. Lhe man sich dessen
versieht, wupp, steht Liner dem Andern auf den
Bchultern, ein Dritter auf dem Zweiten und dreht
seinen Filz während anderthalb Lwigkeiten. Das
mag vielleicht schwierig sein, langweilig ist es jeden-
falls. Daß sich für die Filzkunststücke eine hübsche
Aomik gewinnen ließe, wenn die Tlowns sich dabei
als Tataren einführten, fällt ihnen natürlich nicht
ein. Um solche wahrheiten zu finden, bedarf es
vermutlich der Gedankenarbeit mehrerer Zahrhunderte.
— Überhaupt fallen die Leute jeden Augenblick aus
ihrer Nolle. Zetzt schellen sie mit Nuhglocken, oder
klimpern Fylophon, oder kratzen den unvermeidlichen
Tarneval von Venedig in den verzerrtesten Ltellungen,
nicht etwa, um uns Freude zu gönnen, sondern da-
mit wir ihre Geschicklichkeit bewundern. Wenn uns
jedoch eine Nkaske erheitern soll, dann darf sie nicht
zwischenhinein um Beifall winseln wie ein Tenor-
sänger; sie muß denselben erschleichen und erzwingen,
nicht erbetteln. — Von dem gesprochenen witz der
Llowns laßt uns schweigen. Nur ein Beispiel dafür,
wie auch hier wieder sklavische Befangenheit in der
Nonvention statt des fröhlichen Linfalles herrscht:
ein unleidliches blasses Lnglisch-Deutsch scheint so
ziemlich Alles zu sein, was die 2reute von der Nomik
der Aussprache wissen, und selbst das üben sie nicht
um unsrer willen, sondern weil sie glauben, sich durch
Lnglisch einen vornehmen Anstrich zu geben. Lie
sollten doch im Lustspiel nachsehen, welches Vergnügen
die Zuschauer bekunden, sobald ein Ungar oder Nusse
oder Lchwabe auftritt; im Theater freilich erwecken
solche Nttttel der Romik das Achselzucken der Uritiker,
weil sie für zu plump gelten; im Zirkus, ueben
dressirten Lchweinen, werden sie wohl schwerlich zu
gering sein. Lpotteten die bserren doch nichtfrostige üirn-
gespinnste aus, sondern das j?ublikum, mich und meine
Nachbarn, damit wir einmal herzlich lachen könnten!

Ls giebt indessen eine noch unleidlichere Gesell-
schaft im modernen Zirkus, als die abstrakten Filz-
narren: das sind die Ltatuenmännchen. IVeshalb
ein verehrliches j)ublikum diese Nkehlwürmer nicht in
gebührender NDeise mit Lchimpf und Lchaalen aus
der Arena jagt, ist mir stets ein Nätsel geblieben.
Vergeblich zerbreche ich mir den Nopf darüber, was
diesen Attentätern auf den gesunden Menschengeschmack
Gnade erwirkt, hingegen weiß ich gar wohl, warum
ich sie unausstehlich finde. U)enn ich nämlich nicht
irre, so beruht die Lchönheit einer Ltatue hauptsäch-
lich auf ihrer Lchönheit; daß jedoch diese in Bade-
hosen, faltige kVollen^acken und Lchnabelstrümpfe ge-
steckten Gesellen mit ihren aufgeklebten j?errücken,
mit ihren verschmierten Gesichtern, mit ihren roten
Üälsen, die vom Lanm des wamses geköpst werden,
mit ihren frechen beifallslüsternen Blicken und Ge-
bärden schön seien, wird schwerlich Zemand behaupten.
Lin andrer wesentlicher Vorzug in Nkarmorgruppen
scheint mir im Nkarmor zu liegen; ob man aber den
Nkarmor mit Glück durch Brei, Nkehl und Lchweiß
ersetzen könne, bleibt mir fraglich. Doch wahrschein-
lich ist es schon ein Bildungsgenuß, überhaupt nur

— 130 —
 
Annotationen