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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 7
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Westenberger, Bernhard: Wie retten wir unser Bühnenschrifttum?
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0105

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eine, wenigstens eine deutsche „D i chterb üh n e",
will sagen: eine Bichne, die nur für die dramatische
Dichtkunst da ist. wir haben keine.

wie aber ließe sich solch ein Theater denken?

Nach sorgfältiger j?rüfung werden die Btücke
aufgeführt. Die Leitung liegt in der Lsand eines
sachkundigen Schriftstellers und eines Ausschusses
anderer Rünstverständiger, denen die schauspielerische
Direktion untergeordnet ist. weder für diesen noch
für jenen j?often bedarf es sogenannter „Größen"
— im Gegenteil: Größen damit betrauen, hieße dem
Uind den Todeskeim mit auf die welt geben. Line
umfängliche Bühne in einer wichtigen Stadt kännte
zunächst leihweife übernommen werden. Zu den
Schauspielern brauchten wir auch keine „Sterne",
sondern nur Leute von achtenswerten Durchschnitts-
leistungen und von gutem willen.

Die Kosten könnten zunächst durch eine über
Deutschland verbreitete Dereinigung aufgebracht werden.
Zedes Zahr sind im Neiche und darüber hinaus
Bammlungen im beften Gange zur Trrichtung von
Denkmälern für diesen und jenen j?oeten. Das läßt
hoffen, daß ein Aufruf zur Gründung eines Vereins
zur Trhaltung unserer dramatischen Literatur „wirkt"
und zu einer genügenden Beifteuer führt. Freilich
wär' es auch Micht des Btaates, am Rettungswerk
beizutragen. Vereinigt die „Dichterbühne" mit sich
und ihrem j)ublikum die am raschesten arbeitende
Runstbehörde, die geistig vornehmste und darum maß-

gebende Zuhörer- und Nichterschaft, so leiht sie auch
sicherlich in weit höherem prozentsatz dem Guten
ihre Lmpfehlung, als eine andere Bühne. Die Sache
läßt sich fe nach Maß der Nlittel im Großen oder
Rleinen ausführen. Natürlich muß die Dichterbühne
derartig gerüstet sein, daß sie ein gewisses Ansehen
zu erreichen und erhalten vermag. Sind große Mittel
vorhanden, so läßt sich die Bpielzeit ausdehnen, sind
sie beschränkt, so verringert man sie. Der Lin-
tritt ist den Mitgliedern der vereinigung ohne be-
sonderes Lintrittsgeld gestattet. Zst das irgend mäg-
lich, so soll überhaupt kein Lintrittsgeld erhoben
werden, denn nur diese Tinrichtung verbürgt eine
volle Unabhängigkeit.

Sind das alles nur Mäglichkeiten für wolken-
kukuksheim? Diese Zeilen wollen einen größeren
Äreis der Gebildeten zum Nachdenken darüber nur
anregen — es liegt mir fern zu glauben, daß die
Fragen, die ich in einer umfassenderen Arbeit dem-
nächst genauer beantworten werde, sich einwurfsfrei
mit ein paar F>ätzen erledigen ließen. Zweierlei aber,
mein ich, liegt doch für feden Denkenden klar. Zu-
nächst: wir kännen zwischen so vielen Rlippen nicht
lange mehr segeln, ohne daß die dramatische Dicht-
kunst überhaupt als lästiger Ballast über Bord ge-
worfen wird. Sodann: die Schöpfung einer Dichter-
bühne der besprochenen oder einer verwandten Art
ist auch für unsere praktische Trde kein Ding auch
nur von besonderer ^chwierigkeit.

Kernbard Wlestenberger.

Dicbtung.

Istundscbau.

* /Dartln Greit als L^riker ist eine der
meistumstrittenen Geftalten in unserer Literatur. Ts
giebt vielleicht keinen Zweiten unter denen, von welchen
überhaupt gesprochen wird, der so leidenschaftlich an-
gegriffen, ja fo verspottet worden ist, wie er, keinen
Zweiten, an dem zahlreiche Gegner in solchem Maße
auch nicht ein einziges gutes Lsaar lassen wollen.

Zunächst hat er ihnen nicht genug „Gedankenge-
halt". Aber ist es nicht eben ein Unterschied eines
Annstwerks von einem Merke der Missenschaft, daß
bei ersterem nicht der Gedanken-, sondern der Tm-
pfindungswert in Lrage kommt? Dann ginge ja
jener vorwurf genau so schief, wie der vorwurf gegen
ein wissenschaftliches werk, es zeuge nicht von Ge-
müt. Bewundern wir Goethes „Rönig von Thule"
oder sein „An den Nlond" wegen ihres Gedankenge-
halts? wäre es wirklich eine Tigentümlichkeit Greifs,
daß seine Stoffe sehr einfache sind, es begründete
einen Tadel ihm gegenüber so wenig, wie es Tadel gegen
einen Landschaftsmaler begründen würde, daß er uns
nur ein Stückchen wiese und Lfimmel malte. Zm
Gegenteil: Nialt uns der Landschaftsmaler schon
dieses F-tückchen wiese und Lfimmel so, giebt uns der
Lyriker ein kleines ^tückchen Beele so, daß er uns
damit entzückt, so schließen wir eher: wer mit so
wenigen Mitteln uns so erfreuen kann, wie groß muß
dessen Uunst sein. Allerdings: es wäre unserer Lyrik
auf das Dringendste zu wünschen, daß sie aus
größeren Areisen des Lebens unserer Zeit Anregungen
für sich gewänne. Zst aber an und für sich der
Niann geringer zu achten, der im alten Lande

wacker arbeitot, als Zener, der das im neuen thut?
Bo lange es Lenz und Liebe, bserbst und Trauer
giebt, ist das gute Recht da, nach ihrem Ausdruck
zu suchen, und so viele echte Dichter es giebt, fo oft
wird der Ausdruck der alten Tmpfindungen ein neuer sein.

Freilich hat Greif einen Fehler, der seinen Wider-
sachern ihr werk außerordentlich erleichtert. Ls ist
der „Lehler seiner Tugend": als durch und durch
naiver Dichter ist er kritiklos gegen sich selbst, wie
unter den Namhaftern wenige. Beine Sammlung*,
die jetzt bereits in fünfter Auflage vorliegt, enthält
eine große Anzahl von Gedichten, deren Aufnahme
auch das berechtigte Lllreben, die dichterische j?ersön-
lichkeit des verfassers von ihren verschiedenen L>eiten
zu bcleuchten, kaum erklären kann, Gedichte, die
durchaus nur einen persönlichen wert als Trinnerungs-
bilder für den haben, der sie schrieb. wer an ihnen
nachweisen wollte, daß es mit Greifs j?oesie „nicht
weit her" sei, machte sich aber doch zu leichtes Spiel.
Denn nur an seinen höchsten Leistungen darf die
Bedeutung eines Dichters gemessen werden. wer
hundert unbedeutende und fünf vortreffliche Gedichte
fchriebe, bereicherte ja die Literatur mehr, als wer
hundertundfünf mittelmäßige schriebe, denn allein das
Beste gehört zu ihrem dauernden Besitz.

Greifs Bedeutsamkeit für unsere Lyrik liegt in seiner Be-
handlung der lyrischen Ausdrucksweise, der dichterischen
Sprache, und eben das erklärt die Lrregtheit
seiner Gegner, wie seiner Bewunderer. Denn so

Gedichte. Lünfte Auflage, Stuttgart, I. G. Lotta, t889-

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