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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 7
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Sprechsaal
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Aus der Bücherei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0114

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neue dafür, die wie alles Menschliche anch mangel-
haft ift. Aber das Neue weckt das Atttstreben, das
Beobachten im Beschauer und zieht ihn an, fördert
ihn und fein Auge. Bald führt die neue Naturauf-
sassuug, welche eine ebenso sehr einseitige sein wird,
als die alte, zu Übertreibungen. Der ist ein großer
Meister, der die welt durch seine Runst in neue Bahnen
der Anschauungen zwingt, möge sie wollen oder
sich sträuben. Lr selbst aber und die ihm Folgenden
werden jedesmal das Gefundene sortbilden wollen,
sie weiden stilistisch werden, d. h. sie betonen trotz
ihrer Absicht wahr zu sein, einen Teil der LVahrheit
zu sehr, so daß er übermächtig, das Ganze aber da-
durch verschoben, unwahr wird. Bei Tornelius lag
die Übertreibung in dem Übermaß spekulatwer Ge-
danken, die er der Natur beilegen wollte, die ihrem
Wesen nach einsach, unbefangen ist. Lo wnd nach
und nach aus der wahrheit ein Stil geschasfen, der
sich von der Natur mehr und mehr entsernt. Stil-
voll arbeiten, heißt bewußt oder unbewußt unwahr
schaffen. Diese Unwahrheit hält sich selbst sreilich stets
sür eine Verbesserung, Steigerung, Abklärung der
Natur, sie empffndet sich selbst als schöner, als die ein-
sache wirklichkeit es ist. Aber die solgende Genera-
tion sieht regelmäßig, daß das Schönheitsgesühl ein
einseitiges war und daß, so lange Gott selbst nicht
malt oder meißelt, das Verschönen der Natur stets ein
Verffachen derselben sein wird.

Und obgleich wir das wissen, werden wir stets
stilisiren, d. h. zu Gunsten einer Tigentümlichkeit der
Naturschönheit die anderen vernachlässigen. Dies ge-
schieht, weil jede Form und sei es die edelste uns aus
die Dauer ermüdet. Gs giebt auch keine Naturer-
scheinung, die uns ohne Tnde schönheitlich genügte.
Das Abendrot, wie das schönste Weib wird uns als
Gegenstand der rein ästhetischen Betrachtung endlich
langweilig. Dies gilt noch viel mehr von dem im
Bild Dargestelllen. Ts muß der strebende Waler
sortschreiten, über das als schön erkannte hinausgehen,
will er sich und der welt genügen. s)a, selbst die
Natur verändern wir. Iedes Uleid, jeder enge Schuh,
jeder Tul cle Uaris lehrt uns, daß wir die Natur
umzubilden bestrebt sind, um schön zu scheinen, daß
es kein anderes „ewiges Gesetz" der Schönheit giebt,
als den Wandel der Dinge.

Aber der „Inhalt", das „Geistige" das ist's doch,
was der Schönheit Dauer giebt! So wird man mir
entgegenhalten.

s)ch halte herzlich wenig aus den „Inhalt". bsätte,
um bei Leixners Beispiel zu bleiben, der Maler Nott-
mann an die Wand der Arkaden des chosgartens in
Akünchen Leixners treffliche ^childerung seines Bildes
in deutlich leserlichen Buchstaben gemalt, so wäre der
„Inhalt" derselbe gewesen. Lr brauchte sich nicht

mit der Landschaft und der Beschauer nicht mit dem
bserauslesen des Gedankens zu quälen. Ob das Bild
„Marathon" darstellt, hat sür mich nur den Mert
des Topographischen. Im Übrigen ist es mir „griechische
Landschaft mit Gewitterstimmung." Und auch das
ist noch zu viel. Als Mann von Änn sür Geschichte
freue ich mich über die Darstellung des Schlachtfeldes
und ärgere mich darüber, daß nicht bei jedem Berge,
jedem Dors ein Buchstabe angebracht ist, mittelst
dessen ich nachschlagen kann, wie jeder Teil der per-
spektivischen Landkarte heißt. Als Bild, dem Rünstler
in mir, ists ganz gleichgiltig, was die Landschast dar-
stellt. Fcagt einmal Arnold Böcklin, den angeblich so
„Geistreichen", wie er sein „Gefflde der Seeligen"
ursprünglich genannt hat? „Lin Bild!" <Ls dauert
meist lange, bis er sich in die Titel hineinlebt, die
geistreiche Leute seinen Bildern geben. Leine schlicht
große Aünstlerseele weiß von alldem meist nichts. <Lr
ist durchaus sinnlich und regt deshalb andere an,
geistreich zu sein. Das ist Aünstlerart. Aber wer
mit der Geistreicherei die Linne niederbügelt, so daß
er nicht schlicht wiederzugeben vermag, was ihm das
Auge entzückt, der bringt Dinge hervor, die er besser
beschriebe, als malte und meißelte. Mie ost bedauerte
ich schon, daß ein so geistreicher Rünstler, d. h. ein
als Aünstler, in der Naturbeobachtung, so geistreicher
Mann wie Menzel seine Zeit in „Adressen" verzettelt,
in welchen er jenen Geist zu entwickeln strebt, den
hundert Literaten ebenso sehr besitzen, wie er: eine
Neihe von Beziehungen und gemalten Antithesen, die
das Federvieh zwar ganz unbändig sreuen, aber mit
der Runst nichts zu thun haben. <Ls sei denn, daß
man den Philosophen Lchgel sür den größten Nünstler
auf Trden halte!

Nunstwerke wollen mit den Augen des Nünstlers
betrachtet sein. Lie sollen nicht Vergangenes und
Zukünstiges darstellen, sondern die welt, welche der
Rünstler kennt, mit redlichem, durch keinen „Ltil",
keine „Lchönheit" verschrobenem Ltreben nach Mahr-
heit. Der junge Goethe hatte Recht als er t7?2
sagte: „Die Runst ist lange bildend, ehe sie schön ist,
und doch so wahre, große Runst, ja ost wahrer und
größer, als die schöne selbst . . . Die charakteristische
Runst ist die einzige wahre." Als Gegenwärtiger d. h.
sowohl ohne spekulative Nebengedanken, wie als
Ntoderner, will ich im Runstwerk die Natur sehen,
ohne mir etwas nicht Vorgestelltes einbilden zu
müssen. Über die Natur hinaus soll sich mir nur
der Rünstler, der sie nachbildete, und endlich der
Zeitgeist, der den Rünstler zum Lchaffen beseelte, offen-
baren. Und dieser Zeitgeist soll der unserer Tage
sein, ein lebendiger, strebender, ankämpsender, des
kommenden Neuen gewärtiger!

Lornelius Gurlitt.

Aus der Vückerei

Die Semüldegalerie des Srakcn Ll. F. von Lcback
in Müneben. llnt begleitendem Texte vom Grasen A. F.
von Schack. München, Verlag von vr. L. Albert. — Die
erste Lieserung des großartig angelegten lVerks, dessen Tr-
scheinen wir kürzlich mit herzlicher Freude als ein Lreignis
von ungewöhnlicher wichtigkeit sür den Runstsreund anzeigen
durftent Lchack's Galerie, die an innerer Bedeutung ers e
Sammlung aus jener Schaffenszeit der dentschen Aunst, in
welcher sie entstand, war bisher nur durch Radirungen der

— ws

wiener ,,Gesellschast sür vervielsältigende Runst" dem nicht
in München Weilendcn vermittelt worden. Vervielsältigungen
ihrer Schätze, welche die N)erke der Meister nicht in eine andere
Technik übersetzt, sondern sie mit vollständiger, mit photogra-
phischer Treue wiedergegeben hätten, sehlten, — bis heut,
uun sie in eine Vollendung vor uns gelegt werden, gegen die
sreilich jene der photograxhie nur als eine einseitige er-
scheint. Die Albert'schen Photogravüren haben ja auch die

Vorzüge der besten jdhotograxhien, die man sich denken j
 
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