Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

DOI Heft:
Heft 14
DOI Artikel:
Hartmann, Ludwig: Die Kunst Musik zu hören
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0216

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
besseres, weil die Sänger es nicht leisten
konnten?

Das ist eben die Frage, die alte Frage von Nr-
sache und Wirkung, die fast nie schars und genau
beantwortet werden kann. <Ls ist eine Unwahrheit
zu sagen, das j?ublikuin liebe Mozart heute weniger,
als vor fünfzig Zahren. IVährend es aber die
wagnerschen werke in höchster Vollendung zu hören
und zu sehen gewöhnt wurde, wird Mozart ziemlich
gleichgültig auf der Bühne abgethan. Die Theater
verdienen mehr mit Verdi und IVagner ....

Lsier sind wir auf dem Gipfel angekommen. Die
Theater geben Mozart nicht, weil das j)ublikum nicht
hineingeht; das j?ublikum geht nicht hinein, weil die
Sänger nicht vollendet fingen. Die Sänger singen
nicht vollendet, weil das jDublikum nicht hineingeht:
die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, 8emper
cla oapo.

Natürlich wird es wieder besser werden. lVer
aber soll anfangen? Am besten — das j?ublikum.
Nlan pstegt zu sagen, der Rlügere gebe nach. Die
Theater folgen überallhin, jedem Geschmack. Ts
kommt also darauf an, daß das publikum zeigt,
es will eine Änderung haben. lVie es diesen Millen
zeigen soll? Durch die Art, wie es Musik hört.

Ls giebt eine Amsik (in und außer dem Theater),
die ist ungefähr eine f)hilosophie in Tönen, und
es giebt eine andere, die gleicht etwa der Architektur
der Töne. kvagner schrieb j?hilosophie, Mozart Archi-
tektur — cum Arauo 8ali8 natürlich soll das aufge-
gesaßt werden, denn z. B. in der Zauberstöte giebt
es die schönste st)hilosophie, im Nheintöchterterzett die
wundervollste Architektur. 2lber generell regt Magner
das schwärmerische Denken an, Mozart zeigt die ab-
solute Lsimmelsklarheit des Schönen. Als ob nicht
Beides zum Segen der Menschheit so wäre! Nun
hat das heutige j?ublikum sehr gut gelernt, Magners
musikphilosophijche Tkstase mitzumachen, in sinnlichen
und ästhetischen Aufregungen zu schwärmen, aber es
hat die Fähigkeit verloren, die herrlich entzückenden
Architekturlinien bei Mlozart zu verstehn. Das muß
wieder gelernt werden. Die Schätzung vollendeten
Aunstgesanges und die architektonische Übersicht der
meisterhaften Mlusikformstücke muß gepflegt werden,
von der presse und von den Mlusiklehrenden. Schon
früh muß der Musiktreibende aufmerkfam gemacht
werden, daß nicht nur die tiefe leidenschaftliche Lr-
regung einer Aiusik oder das hohe jDathos eines
Stoffes Anziehung zu üben berufen sind, sondern auch
die Rlarheit in der Runst, das schönheitsvolle Spiel
mit schwierigen Formen, die Grazie, der bfumor voll-
auf zu Necht bestehn. Von der Tonhöhe, die Mozart
nach oben und unten mehrfach über das Niaß hinaus-
trieb, weil er für damalige Stimmspezialitäten schrieb,
abgesehen, ist z. B. die „Rönigin der Nacht", oder
die „Lonstanze", ja, der „Therubin" viel schwieriger
zu singen, als Magners „Llisabeth" oder das „Tvchen".
Die Verschlungenheit der Gesanglinien fesselt ungemein,

sobald man in die Tigenart eingegangen. Die Znter-
valle Mozarts rein und anmutig leicht zu treffen,
wird den^bsörer, sobald er den törichten Anspruch
an Tonpathetik aufgegeben hat und sich naiv gehn
läßt, entzücken. Und diese Sonnenkunst, gegenüber
der Gewitterkunst lVagners, muß wieder als eben-
bürtig bewunderungswürdig geschätzt werden. Dann
werden die Theater die Nichtung Mozarts, Lhima-
rosas, von Voildieu, Zsouard, Ulshul, Adam wieder
besser pflegen, das Nepertoir wird vielgestaltiger, der
Nunstgenuß, der jetzt einen Stich ins kvilde, Lx-
zentrische hat, wird segensvoller für verstand und Ge-
müt werden.

Natürlich sordern muß das j)ublikum, daß ihm
die Gpern der vorgedachten Art mustergültig vorge-
führt werden. Die Sänger wie die Direktionen haben
einen sehr seinen Instinkt für die Münsche des „kunst-
liebenden j)ublikums". Nlan sordere kühn, zeige Ge-
und Uüißsallen, nehme aber stets regen Anteil.
Dieses seinere Lsören seinerer Nunst wirkt aufmunternd
aus die Bühnen ein, veredelnd aus den Geschmack des
Lsörenden. Bald wird man die ^ungen-Athleten, was
leider oiele lvagnersänger sind, von Gesangskünstlern
unterscheiden, letztere gewinnen wieder Nlut, Lust, Lin-
fluß und erstere — nun erstere müssen zu ihrem künstigen
Fortkommen noch was anderes lernen, als die Lungen-
loslegekunst.

Die Zeit, da es besser wird, liegt noch sehr, sehr
weit. Der Nufer in der lvüste wird heute verketzert.
Aber die Magner-Naserei hat den Lsöhepunkt erreicht;
nicht die wahre, wichtige, hehre kvagnerkunst, sondern
der Modegötze, den man daraus gemacht hat, wird
gestürzt werden. Sängerleer wird darum die ver-
wagnerte kvelt nicht sein, denn nur verlernt, nicht
vergessen hat die jetzige N'lenschheit die wirkliche Ge-
sangskunst, die aber freilich mit eben so seinen Ghren
angehört werden muß, wie man eine N7ozartsche oder
bsaydnsche Symphonie hört. Nwn sollte meinen, daß
der Nuhm mancher Sänger, oder richtiger: Gesangs-
künstler, Bürge sein müßte sür das Lsörtalent des j)ub-
likums. Linzeln entzücken denn auch deren subtilere
Gesangausführungen, und mancher einzelne Name
würde eine jede Spieloper zieren. Aber sreilich, wenn
man bedenkt, daß grade klassische und komische Nlusik
keine Nebenrollen kennt, sondern durchweg vollendet
und meisterhaft gesungen werden muß, so ergiebt sich
doch ein Fehlbetrag. Denn wenn man auf den Grund
sieht, erkennt man doch, daß je eine Bühne immer
nur zwei oder drei vollkommene Gesangskünstler be-
sitzt. Rann diese Ziffer durch heranwachsende, wirk-
lich gebildete Sänger erhöht werden, so wird das
Theater einst auch wieder Zulaus besitzen, wenn man
N'lozart oder „Spielopern" giebt. Aber wie gesagt,
mit dem j>ublikum muß die Besserung anfangen.
Es mnß kunstgerecht wieder hö r en lernen und außer
an genialem Naturalismus auch an musikalischer und
gesanglicher Architektur, an Anmut, Schönheit und
Feinsühligkeit wieder Freude empsinden.


Ludwig Dartmmm.

Dicdtung.

Ikundscbuu.

-X- Der siebenzigste Geburtstag IKlllUS (§r0tl)S
wird am 2^. April d. Z. weit geseiert werden, warm
und herzlich vor allen andern Landstrecken an unsern

Meeresgrenzen, aber auch bei den ^olländern und
Vlamingen und bei den Deutschen sächsischen Stammes
in Nordamerika.


— 210 —
 
Annotationen