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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 14
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0217

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Die Bedeutung des plattdeutscheu für unser Schrift-
tum hat Rlaus Groth* selbst aufs Gründlichste uuter-
sucht und aufs Rlarste dargelegt. Die deutsche Sprache
hat zwei Stämine, einen hoch- und einen nieder-
deutschen, die beide wieder in eine Menge von Zweigen
(Mundarten) geteilt sind. Für die hochdeutsche Schrift-
sprache aber ist das Bild vom Baume nicht anwsnd-
bar, zu ihr stehen vielmehr die Bümdarten wieder
im Verhältnis der wurzeln zum Stainm, dem sie, die
einen in kräftigerem, die andern in schwächerem^trome,
nährende Säfte zuführen. Mundarten im schlechten
Sinne, Zerrbilder der Schriftsprache heißt das, würden
erst entstehen, wenn das ksochdeutsch alleinige Sprache
aller Bevölkerungsschichten würde („wovor uns Gott
behüte!"), denn das Dolk wird nie davon abzuhalten
sein, sich seine ^prache zurechtzuschneiden. wir wür-
den alsdann ebensoviele „Dialekte" haben wie jetzt,
aber nicht als lebendige Wurzeln der gesunden volks-
anschauung, sondern als Wasserreiser einer nur halb-
aufgenommenen Bildung. „Leider geben schon mehrere
norddeutsche Städte, wo sich der b^andwerker bemüht,
seine schöne Modersprak zu verleugnen, in einem wahr-
haften Greuelhochdeutsch dazu den Belag her". Gine
altgepflegte Schriftsprache wird, sagt Max Müller,
wie ein gefrorner Fluß, glänzend und kalt. Behielt
unser Schriftdeutsch bis in die Gegenwart Bewegung,
so erklärt sich solch scheinbares Munder aus der Selbst-
ständigkeit unserer Stämme und Dkundarten, die ihin
immerfort lebendige wasser znsührten. Mie Luther
zu Schlachter und Rrämer ging, um sein Deutsch zu
bereichern und zu erfrischen, so soll die Schristsprache
zum volke gehen, denn mit dem kleinen Rreise von
Anschauungen, den der Mann aus dem Dolke kennt,
ist er vertraut, wie nie der „Gebildete", ist er ver-
wachsen, weil er fast sein Leben ausfüllt, und er be-
zeichnet deshalb all seine kleinen Lrscheinungen mit
so kennzeichnenden Namen, wie nie der „Dornehme"
sie dafür fände — deshalb, und weil eine lange
Überlieferung von Geschlecht zu Geschlecht für jenen
kleinen Nreis Beobachtung zu Beobachtung, Mort zu
U)ort gefügt hat. „Das j)rägen wie das immer
wieder nötige Nachprägen des feinkörnigen vollwich-
tigen Mortes geschieht durch ein etxmologisches Be-
wußtsein, das natürlich beim Gebildeten tiefer aus-
gebildet sein kann, dem deutschen Volksgeiste durch
seine mundartenreiche Ursprache aber tief inne wohnt,
und das es zu üben so glücklich ist, einen kleineren
Gesichtskreis und vor allen Dingen mehr Zeit und
Nuhe zu haben, als der ^chriftsteller von Fach oder
der Gelehrte, der nicht gerade Sprachforscher ist".
Die deutsche Schriftsprache hat die ältere ^chwester im
Lsauskleide neben sich, die hinter Topf und j)flug daheim
geblieben, die nicht mitwirkt um den preis in der Wissen-
schaft und auf der Nednerbühne: „eine stille Nkah-
nerin, wenn sie sich auf dem Welttheater einmal ver-
stiegen, wenn sie sich mit leerem s)utz und jDrunk
behangen hat" — aber auch eine Lselferin, die aus
dem sichern Dätergut und aus dem immer neuen
Trtrag des ererbten Bodens der Schriftsprache, dieser

* chuickborn: Berlin, Freund Zeckel. «Vuickborn, Zwei-
ter Teil: Leipzig, Lngebnann. vertelln, Trina, Ut inin Iungs-
paradies, Rothgeter Meister Lainp un sin Dochter, Lsundert
Blätter, Über Mundarten und mundartige Dichtung: Berlin,
Freund äc Ieckel. vacr de Gaern, mit Zeichnungen von
Ludwig Richter: Leixzig, Georg Wigand.

Überall - und-Nirgends, gar oft init vollwiegender
Nlünze hilft, wenn das die vornehmere Dame braucht.
So ungefähr sieht Rlaus Groth die Bedeutung des
j)Iattdeutschen an. Wer einigermaßen beobachtet, wie
weite Rreise die niederdeutsche Bewegung nicht etwa
blos innerhalb der deutschen Grenzen bereits zieht,
ja, daß es fast scheint, als keimte bereits in Nord-
deutschland, Holland, Belgien, Amerika eine neue
niederdeutsche Dichtung, die an wichtigkeit der längst
untergegangenen älteren dereinst vielleicht kaum nach-
stände, und wer von der verehrung weiß, die gerade
Rlaus Groth in all jenen Gegenden genießt, in denen
sie gepflegt wird -- der wird es gestehen müssen:
er hat für seine Überzeugung mit hohem Lrfolge
durch die That gewirkt.

Lr konnte es, weil er ein echter Dichter war.
wenn irgend etwas nicht Schänrednerei, sondern in
tiefer wurzel echte Lyrik ist, was uns Deutschen das
letzte Halbjahrhundert beschert hat, so ist es auch die
Lyrik Rlaus Groths. Das ist vor Allem durch und
durch sachliche j)oesie. wir vergessen den Dichter
vollständig über den Nlenschen, die wir vor uns sehen,
wenn wir uns in seine Schöpfungen versenken, über
den Bildern aus der Natur, die er vor uns herauf-
bannt: er hat uns seine Seele gegeben, mit ihr zu
schauen und zu fühlen, als wär es die unsere, und
weil wir so gleichsam eins geworden sind mit ihm,
sehen wir ihn selber nicht mehr neben dem Bilde
stehen. Nkan vergleiche, um den Gegensatz recht deut-
lich zu haben, die Gedichte etwa eines Rittershaus,
ja, selbst die meisten auch besserer jDoeten auf diese
Sachlichkeit hin mit denen Groths, um jene seine
Größe recht voll zu empfinden. Und welche ver-
trautheit mit dem Lande und den Leuten, die er
schildert! Das „intime Sehen", das jetzt so vielen
unserer Nkaler als Ziel des innigsten Bemühens wert
erscheint — ich weiß nicht, wer es als Dichter herr-
licher bethätigt hätte, als Rlaus Groth, der freilich
mil ihm allein noch lange nicht sein Alles gab. Nkan
betrachte Naturbilder, wie „Dat Nkoor".

Als Lrzähler ist unser Dichter, zumal außerhalb
Niederdeutschlands, wenig bekannt. Ts hat sich auch
ihm gegenüber das Unglück herangebildet, über das
z. B. Geibel bitter klagte: daß die Leserwelt an seinem
ersten „Treffer" hangen blieb. Nnd doch findet sich
gerade im zweiten Teile des „(Huickborns" jene
wunderschöne Lrzählung in Dersen „De Lseisterkrog",
die eben Geibel das schönste Zdyll nannte, das in
irgend einer Sprache geschrieben worden. Der Namr
„Zdxll" ist für die innerlich tief und tragisch bewegte
Dichtung freilich weit weniger paffend, als für so
viele andere Groths, als z. B. auch für den „Noth-
geter Nkeister Lamp un sin Dochter", ein werkchen,
das weit mehr die Stimmung behaglich ruhigen Be-
schauens erzeugt. Auch Rlaus Groths Trzählungen
in j)rosa, „vertelln", „Trina", „Ut min Zungspa-
radies", sind reich wie an Zeugnissen scharfen wirk-
lichkeitssinns, so auch an j)oefie.

Zn all diesen plattdeutschen werken sieht, wer
nur sehen will, was die plattdeutsche Sprache für
einen j)oeten ist, der sie nicht scherzhafter oder „ori-
gineller" Tffektchen halber als Spielzeug, sondern über-
zeugt als Ausdrucksmittel gebraucht. Als Ausdrucks-
mittel für einen ganz besonderen Znhalt, der zusammen-

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