klang mit diesem Streben gelangt die Zeichnung als
sinnliches kVerkzeug der kVahrheit, und die Farbe als
wirksame Vermittlerin der Lmpfindung zu einer hohen
chtufe von vollkommenheit. Der menschliche Rörper
dagegen wird nicht frei; das latente Leben, das nur
auf dem Antlitz seine ganze cheele entfaltet, dringt nicht
in die erstarrten Glieder, um sie mit schwellendem
Blute zu sättigen. Die Gebärde ist steif, oft linkisch,
und die gebundene Handlung bewegt sich wie in
einem Traum. Diese Aunst ist so recht der Ausdruck
des germanischen Geistes, der im Gedanken versinkt
und die That träumt. Gleichviel! Das moderne
^eben regt sich doch unter dieser gothischen bsülle.
Nicht umsonst hat diese Bchule die Hlmalerei zuerst
gelernt, und zum erstenmal das malerische s)rinzip klar
formulirt, indem sie das Aolorit zum Ausdruck der
Stimmung erhob. Die germanische Runst ist daher
die Nlutter der modernen Runst, deren Reime sie ent-
hält, deren Grundsätze sie einweiht. Dsnn Alles in
Allem ist doch die germanische Nichtung Lserr geworden,
da das Lservorheben der Farbe und j)hysiognomie
inr Gegensatze zum rein jAastischen, das Aufsuchen des
Individuellen uud Lharakteristischen im Gegensatz zum
bloß chchönen, das kVesen der modernenRunst ausmacht."
Vonr Tage.
» Uber: „Das Schaffcn und die Mache" fchrieb
Ludwig kfartmann in seiner „Sächf. Landeszeitung": An was
krankt unser jetziges Aunstleben? Es giebt ein Schlagwort,
das soll's ausdrücken: „An der Aberxroduktion". Ganz recht.
An der Überproduktion der Mache. Denn die Mache erst
ruft einen Markt hervor für die Mittelmäßigkeit, An sich
wird die jdroduktion, wenn sie sonst etwas taugt, die Aunst
nicht herunter bringen. wenn heute ein Beethoven käine
und t35 Merke schüse oder ein Rubens mit etwa 200 Bildern,
oder R. wagner schriebe zu seinen 7 Werken noch weitere
20 — glaubt inan, die welt würde diese „Übcrproduktion"
nicht mit Freude aufnchmen und trotz den Millionen Aunst-
nichtsen das größte Interesse haben für das Gute? Also init
dein U?ort Aberproduktion allein ist nichts gesagt. Nicht die
Gnantität des jaus den Markt Gebrachten, sondern die
(lZualität ist das Schliininste. Gb wir von Dichtwerken
sprechen, von Bildern, von Musikstücken — gleichviel: es
wiegt zn sehr das Unbedeutende vor und ebenso: diejenigen,
welche diese Aunstspezialitäten auf die Melt setzen oder ver-
breiten, die Maler, jdoeten, Musiker, Schauspieler sind deshalb
so überzahlreich geworden, weil sie sich begnügen, ganz Un-
bedeutendcs zu leisten. 5ie folgen dein Geschinack der
kopslosen Menge, anstatt diese zu belehren und zu sich erheben
zu wollen. Es fchlt ihnen der Mut, Neues zu schassen.
Nicht an der Vorbildung fehlt es ihnen, ain Aönnen — wohl
aber an der Gesinnung.
U?as ist Schaffen? Man kann es nicht beweisen und
doch ist es der Acrn aller Aunst. Dcnn, Aunst komint zwar
her von Aönnen, aber das gilt doch mehr von der reproduk- !
tiven als von der schassenden Aunst. Die produktive Kunst
ist ohne Schassen nicht denkbar. Und nnn giebt es ksunderte,
die Schassen mit Machen verwechseln.
Da bringt ein junger Mann eine neue 5ymphonie, ein
Drama, ein Gedicht. Er bittet, es ehrlich zu beurteilen: er
wolle gern Tadel ertragen — nur Mahrheit hören. Gut.
Nehmen wir es ernst mit dem N?erk. Es ist, sagen wir,
ein dramatisches Gedicht. Die Gedanken sind klar, die Verse
ohne Tadel; der Ausdrnck voll Anstand; die lsandlnng logisch;
der Autor fxannt freundlich aus: nun also gefällt Ihnen
das Stück. Nein, nicht im Geringsten; es läßt teilnahmlos
kalt, es langweilt. „Trotz der tadellosen Verse?" Ia, sie
sxielen unnütz mit IVorten. ,,Und die logische lsandlung?"
Ist unerträglich gleichgültig. Aurz, hier ist nichts geschafsen,
sondern alles geschickt gemacht. Aber wie den Unterschied
erklären?
Bei jedem Satz, den ein Mensch ansspricht, kommt auf
die lVortstellung nnd Betonung viel an. Vor allem auch ist
es wichtig, wie der Sprechende sich zu dem Zweck der Mit-
teilung verhält; ob er ihr ruhig gegenübersteht oder sehr
erfüllt ist von ihr, und, will er etwas lehren, so kommt es
serner daranf an, ob er felbst überzengt ist von der lVahrheit
oder lVichtigkeit oder Schönheit dessen, was seine Sprache
sagen will. Nehme man eine einsachste inhaltreiche Mit-
teilung. »Ich liebe dich.« Fast könnte man behaupten, jeder
Mensch wird diesen Satz anders sxrechen. Vor allem jedoch
zerfallen die Arten, wie man ihn fpricht, in zwei getrennte
Gruppen. Die eine Sorte Menschen ist erfüllt von dem Ernst
des Augenblicks, von der Tiefe ihres Gefühls; erschüttert,
unter Thränen, oder seligem Lächeln, oder leise schüchtern,
oder angstvoll fragend ufw. wird der Satz aus ihrem Munde
klingen. Die andere Sorte Menschen spricht ihn vielleicht viel
hübscher, sie verliert die Fassung nicht, weil wohl die lVorte
gewählt wnrden, aber das Gemütsleben dnrch sie nicht stark
berührt wird. Sie wissen: wenn man die und jene lvirkung
erzielen will, spricht man diesc lvorte. Aber aus der Secle
quillen sie diesen Leuten nicht, ein Muß ist nicht vorhanden,
kein tiefster Glaube an sich selbst.
Nun besteht unter Gebildeten sachlich kaum ein Unter-
schied, ob man von cincm Bilde, einer Dichtung oder einem
Tonstück usw. spricht. Das Material ist verschieden, der
Runstzweck der gleiche. Zweck der Aunst ist natürlich
nicht blos der Ausdruck von Gefühlen. »Ich liebe dich« mag
ein wichtiges Motiv sein, aber verschwindend vor dem Aunst-
zweck überhaupt. Der Aünstler jedoch steht auf dem Boden
des Sprechenden: er muß immer überzeugt sein, erfüllt, er-
grisfen von dem, was er sagt. Tr soll die Fähigkeit haben,
tiefc Gedanken oder Tmpfindungen oder außer ihm liegcnde
phantastische Vorstellungen derart zu durchdringen mit seinem
eigenen Geiste, sie so zu modeln und auszugestalten, daß
erstens die kvahrheit oder Schönheit eines Grnndgedankens
im Aunstwerk voll heraustritt, und zweitens daß die Form,
in welcher das geschieht, erkennen läßt, der Aünstler habe die
Idee in sich (originell) durchgearbeitet. Rezeptiv und pro-
duktiv zugleich muß mithin der Aünstler sein. Rezeptiv d. h.
empsänglich sür alle denkbaren Lindrücke, und xroduktiv, d. h.
von dem kräftigen Drang beseelt, die Lindrückc aus Andere
(durch das Aunstwerk) zn übertragen. Sein Blick soll über
die Sterne dringen, sein bserz den leisesten veränderungen
offen sein: das, was er als »Idealist« höchst empsänglich ge-
schaut hat, soll er, noch voll des großen Lindruckes, uns im
Aunstwerk mitteilen ....
Nun sehe sich das verehrungswürdige jdublikum einmal
an, was heute sich »Aünstler« nennt. Ist es ein lvunder,
wenn die Aunst herabkommt? Denn nun folgern wir so:
Im Aonservatorium oder in der Akademie oder der
Linzellehre hat jeder dieser Aünstler obige Lätze vortragen
hören. Ferner hat man ihm die Technik (des Reimens, der
Farben, der Töne usw.) beigebracht. Lr müht sich auch den
!
— 120 —
sinnliches kVerkzeug der kVahrheit, und die Farbe als
wirksame Vermittlerin der Lmpfindung zu einer hohen
chtufe von vollkommenheit. Der menschliche Rörper
dagegen wird nicht frei; das latente Leben, das nur
auf dem Antlitz seine ganze cheele entfaltet, dringt nicht
in die erstarrten Glieder, um sie mit schwellendem
Blute zu sättigen. Die Gebärde ist steif, oft linkisch,
und die gebundene Handlung bewegt sich wie in
einem Traum. Diese Aunst ist so recht der Ausdruck
des germanischen Geistes, der im Gedanken versinkt
und die That träumt. Gleichviel! Das moderne
^eben regt sich doch unter dieser gothischen bsülle.
Nicht umsonst hat diese Bchule die Hlmalerei zuerst
gelernt, und zum erstenmal das malerische s)rinzip klar
formulirt, indem sie das Aolorit zum Ausdruck der
Stimmung erhob. Die germanische Runst ist daher
die Nlutter der modernen Runst, deren Reime sie ent-
hält, deren Grundsätze sie einweiht. Dsnn Alles in
Allem ist doch die germanische Nichtung Lserr geworden,
da das Lservorheben der Farbe und j)hysiognomie
inr Gegensatze zum rein jAastischen, das Aufsuchen des
Individuellen uud Lharakteristischen im Gegensatz zum
bloß chchönen, das kVesen der modernenRunst ausmacht."
Vonr Tage.
» Uber: „Das Schaffcn und die Mache" fchrieb
Ludwig kfartmann in seiner „Sächf. Landeszeitung": An was
krankt unser jetziges Aunstleben? Es giebt ein Schlagwort,
das soll's ausdrücken: „An der Aberxroduktion". Ganz recht.
An der Überproduktion der Mache. Denn die Mache erst
ruft einen Markt hervor für die Mittelmäßigkeit, An sich
wird die jdroduktion, wenn sie sonst etwas taugt, die Aunst
nicht herunter bringen. wenn heute ein Beethoven käine
und t35 Merke schüse oder ein Rubens mit etwa 200 Bildern,
oder R. wagner schriebe zu seinen 7 Werken noch weitere
20 — glaubt inan, die welt würde diese „Übcrproduktion"
nicht mit Freude aufnchmen und trotz den Millionen Aunst-
nichtsen das größte Interesse haben für das Gute? Also init
dein U?ort Aberproduktion allein ist nichts gesagt. Nicht die
Gnantität des jaus den Markt Gebrachten, sondern die
(lZualität ist das Schliininste. Gb wir von Dichtwerken
sprechen, von Bildern, von Musikstücken — gleichviel: es
wiegt zn sehr das Unbedeutende vor und ebenso: diejenigen,
welche diese Aunstspezialitäten auf die Melt setzen oder ver-
breiten, die Maler, jdoeten, Musiker, Schauspieler sind deshalb
so überzahlreich geworden, weil sie sich begnügen, ganz Un-
bedeutendcs zu leisten. 5ie folgen dein Geschinack der
kopslosen Menge, anstatt diese zu belehren und zu sich erheben
zu wollen. Es fchlt ihnen der Mut, Neues zu schassen.
Nicht an der Vorbildung fehlt es ihnen, ain Aönnen — wohl
aber an der Gesinnung.
U?as ist Schaffen? Man kann es nicht beweisen und
doch ist es der Acrn aller Aunst. Dcnn, Aunst komint zwar
her von Aönnen, aber das gilt doch mehr von der reproduk- !
tiven als von der schassenden Aunst. Die produktive Kunst
ist ohne Schassen nicht denkbar. Und nnn giebt es ksunderte,
die Schassen mit Machen verwechseln.
Da bringt ein junger Mann eine neue 5ymphonie, ein
Drama, ein Gedicht. Er bittet, es ehrlich zu beurteilen: er
wolle gern Tadel ertragen — nur Mahrheit hören. Gut.
Nehmen wir es ernst mit dem N?erk. Es ist, sagen wir,
ein dramatisches Gedicht. Die Gedanken sind klar, die Verse
ohne Tadel; der Ausdrnck voll Anstand; die lsandlnng logisch;
der Autor fxannt freundlich aus: nun also gefällt Ihnen
das Stück. Nein, nicht im Geringsten; es läßt teilnahmlos
kalt, es langweilt. „Trotz der tadellosen Verse?" Ia, sie
sxielen unnütz mit IVorten. ,,Und die logische lsandlung?"
Ist unerträglich gleichgültig. Aurz, hier ist nichts geschafsen,
sondern alles geschickt gemacht. Aber wie den Unterschied
erklären?
Bei jedem Satz, den ein Mensch ansspricht, kommt auf
die lVortstellung nnd Betonung viel an. Vor allem auch ist
es wichtig, wie der Sprechende sich zu dem Zweck der Mit-
teilung verhält; ob er ihr ruhig gegenübersteht oder sehr
erfüllt ist von ihr, und, will er etwas lehren, so kommt es
serner daranf an, ob er felbst überzengt ist von der lVahrheit
oder lVichtigkeit oder Schönheit dessen, was seine Sprache
sagen will. Nehme man eine einsachste inhaltreiche Mit-
teilung. »Ich liebe dich.« Fast könnte man behaupten, jeder
Mensch wird diesen Satz anders sxrechen. Vor allem jedoch
zerfallen die Arten, wie man ihn fpricht, in zwei getrennte
Gruppen. Die eine Sorte Menschen ist erfüllt von dem Ernst
des Augenblicks, von der Tiefe ihres Gefühls; erschüttert,
unter Thränen, oder seligem Lächeln, oder leise schüchtern,
oder angstvoll fragend ufw. wird der Satz aus ihrem Munde
klingen. Die andere Sorte Menschen spricht ihn vielleicht viel
hübscher, sie verliert die Fassung nicht, weil wohl die lVorte
gewählt wnrden, aber das Gemütsleben dnrch sie nicht stark
berührt wird. Sie wissen: wenn man die und jene lvirkung
erzielen will, spricht man diesc lvorte. Aber aus der Secle
quillen sie diesen Leuten nicht, ein Muß ist nicht vorhanden,
kein tiefster Glaube an sich selbst.
Nun besteht unter Gebildeten sachlich kaum ein Unter-
schied, ob man von cincm Bilde, einer Dichtung oder einem
Tonstück usw. spricht. Das Material ist verschieden, der
Runstzweck der gleiche. Zweck der Aunst ist natürlich
nicht blos der Ausdruck von Gefühlen. »Ich liebe dich« mag
ein wichtiges Motiv sein, aber verschwindend vor dem Aunst-
zweck überhaupt. Der Aünstler jedoch steht auf dem Boden
des Sprechenden: er muß immer überzeugt sein, erfüllt, er-
grisfen von dem, was er sagt. Tr soll die Fähigkeit haben,
tiefc Gedanken oder Tmpfindungen oder außer ihm liegcnde
phantastische Vorstellungen derart zu durchdringen mit seinem
eigenen Geiste, sie so zu modeln und auszugestalten, daß
erstens die kvahrheit oder Schönheit eines Grnndgedankens
im Aunstwerk voll heraustritt, und zweitens daß die Form,
in welcher das geschieht, erkennen läßt, der Aünstler habe die
Idee in sich (originell) durchgearbeitet. Rezeptiv und pro-
duktiv zugleich muß mithin der Aünstler sein. Rezeptiv d. h.
empsänglich sür alle denkbaren Lindrücke, und xroduktiv, d. h.
von dem kräftigen Drang beseelt, die Lindrückc aus Andere
(durch das Aunstwerk) zn übertragen. Sein Blick soll über
die Sterne dringen, sein bserz den leisesten veränderungen
offen sein: das, was er als »Idealist« höchst empsänglich ge-
schaut hat, soll er, noch voll des großen Lindruckes, uns im
Aunstwerk mitteilen ....
Nun sehe sich das verehrungswürdige jdublikum einmal
an, was heute sich »Aünstler« nennt. Ist es ein lvunder,
wenn die Aunst herabkommt? Denn nun folgern wir so:
Im Aonservatorium oder in der Akademie oder der
Linzellehre hat jeder dieser Aünstler obige Lätze vortragen
hören. Ferner hat man ihm die Technik (des Reimens, der
Farben, der Töne usw.) beigebracht. Lr müht sich auch den
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