Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

DOI Heft:
Heft 13
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Artikel:
Vom Tage
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0207

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

scheuerter, solider Lsolzstuhl zehn Mal mehr künst-
lerischen wert besitzt als ein mit werg und Seegras
gepolsterter und mit schlechtem Baumwollenplüsch über-
zogener Sessel, der nach wenigen Monaten schäbig und
zerrissen dasteht. Das prunken mit dem falschen Schein
ist der Rrebsschaden. . . . Museen, Sammlungen und
öffentliche vorträge sind allein nicht im Stande, eine
wendung zum Besseren herbeizuführen. Hier hat die
j)resse helfend einzugreifen, und hier fällt anch dem
öffentlichen Unterricht, der ästhetischen ssädagogik, eine
wichtige Aufgabe zu, denn es gilt, eine feinere und
vornehmere «Lmpfindung für alles Schöne und Gute
in der breiten Älasse des volkes zu erwecken. Mit
einer solchen feineren Lmpfindung wird auch das selbst-
ständige Urteil des Linzelnen in Dingen der Runst
und des Runstgewerbes geftärkt werden, und es wird
allmählich den bizarren wlodelaunen und den unsoliden
Imitationen ein wirksamer Damm entgegengesetzt. Nach
der Festigung des Geschmackes wird Iedermann nach
seiner eigenen wahl den weg des ^chönen wandern
können, und durch diese vielgestaltigkeit individueller
Runst- und Geschmacks-Äußerungen wird nichtsdesto-
weniger ein gemeinsamer Zug nationaler Ligenart hin-
durchgehen, welcher, uns nicht erkennbar, erst den
ferneren Nachkommen auffallen und ihnen den Anlaß
geben wird, diesen gemeinsamen Zug als den Stil
unserer Tage zu bezeichnen. Ze freier wir dem tra-
ditionellen Formenkreise, der Nenaissance, dem Barock
und dem Rokoko gegenüberstehen, um so klarer wird
die Ligeiiart unserer Tage zum Ausdruck kommen,

um so charakteristischer unser Stil den fernen Ge-
schlechtern erscheinen. Zetzt herrscht, wie gesagt, der
Zwang der Überlieferung und der Atode noch viel zu
sehr vor: das Publikum beugt sich unter der Lserrschaft
des Dekorateurs und der Runsthandwerker unter jener
des Zeichners. Der Dekorateur richtet den Salon im
Nenaissance- und Nokoko-Stil ein, und der unglückliche
Bewohner findet nicht die geringste Möglichkeit, seinen
individuellen Neigungen Ausdruck zu geben. Der
Runsthandwerker erhält den »stilvollen« Lntwurf in
der Negel vom Zeichner, der nur zu oft ohne ge-
nügende Nenntnis des waterials und der Technik
Formen und Ornamente wählt, welche jenen verhindern,
die Schönheit des Nlaterials und der Technik zur
vollsten wirkung kommen zu lafsen. Der Runsthand-
werker möge seine Lntwürfe selbst zeichnen und das
Publikum seine Familienzimmer selbst einrichten lernen.
Die Nunst der Linrichtung besteht nicht darin, der-
selben ein bestimmtes »Stilgepräge« zu geben, sondern
aus den verschiedenften, scheinbar widerstrebendsten
Tlementen ein harmonisches, behagliches »Znterieur« zu
schaffeil. ^elbst bei bescheidenem Besitz, welcher auf
das schmückende Beiwort »stilvoll« keinen Anspruch er-
heben kann, wird sich das möglich machen lassen,
wenn nur Lfausfrau und Lsausherr feinen Sinn be-
sitzen. Sie werden hin und wieder neues und passendes
hinzukaufen, und in diesem allmähligen Trwerben wird
sich ihnen ein beseligender Neiz erschließen, welcher zu-
meist allen jenen abgeht, die sich in das fix und fertig
hergestellte »stilvolle Znterieur« des Dekorateurs setzen."


vom Tage.

» paolo Mantegazza über Pebanten und Pedantis-
mus. — lvozu Mantegazza? ksatte nicht unser Altmeister
Iacob Grimm Recht, wenn er als das klafsifche Land der
Pedanterie unfer geliebtes Vaterland bezeichnete? A)äre sie
nicht fchon in der lVelt vorhanden gewesen, so ungefähr heißt
es m einer akademischen, nberaus köstlichen Abhandlung
des Alten, hier in Deutfchland hätte sie notwendig geboren
werden müssen. Auch glaube ich nicht, daß wir uns
rn diesem punkte nach Grimms Lseimgange und seit der
Lrrichtung des Reiches wesentlich geändert haben. Ls thäte
Not. Aber natürlich ist es ja, daß in einem Lande, das
eines so ungeheuren kseeres von Beamten und Lehrern zu
feiner, wir glauben es gern, musterhaften verwaltung bedarf,
der Sinn für Disziplin, Uniformität, Subordination, für Alles,
was wir Psticht nennen, in hervorragendem Maße sich ent-
wickeln muß. Zu leugnen, daß hierauf auch zum Teil —
NoM deue zum Teil, bei Leibe nicht ausschließlich — die
Größe des preußischen Staates und die Möglichkeit der
Schasfung des einheitlichen Reiches beruhe, wäre gelind gesagt
unhistorisch. !Ver es trostreich finden möchte, daß das!Vort
für die fo deutsche 5ache ein vielleicht sogar noch nicht ge-
nügend erklärtes Fremdwort ist, der follte auch glauben,
daß Loquetterie eine undeutfche, unsern Damen (und
kserren) unbekannte Lache fein müsse.

Aber wenn es nns auch nicht tröstet, lehrreich nnd nütz-
lich ist es gewiß, die deutfche Lrbsünde auch bei andern
Nationen zu finden und zu hören, was ein so feiner Lrforscher
der gesunden nnd kranken Menfchenseele, wie es paolo Mante-
gazza ist, davon zu fagen weiß. wir finden in dem römischen
,GLi>MllL äella vomenica" Nr. 7 lt?. Febr. t889) aus seiner
Feder einen Aufsatz über pedantifche und künstlerische Anti-

pathien, dessen ersten Teil wir in den Lsauptsätzen mitteilen
wollen.

„Unter den tausenden von intellektuellen Antipathien,
die sich im Aufeinanderstoßen der Geister erzeugen, giebt cs
keine unmittelbarere, kräftigere und zähere, als diejenige,
welche die Freiwilligen des Gedankens und die Pe-
danten zu allen Zeiten wider einander empfanden und em-
pfinden werden.

Die Pedanterie ist eine Methode oder richtiger gefagt:
ein Fehler, eine Lrkrankung des Denkens, die jeder lvissen-
schaft, jedem einfachsten Lsandeln der Seele sich aufdrückt; sie
verleiht ganzen zusammenhängenden werken der Literatur
wie der Runst ihren Stempel. !Vas auf religiösem Gebiete
die Bigotterie ist, das ist sie auf diesen Gebieten. )hr eigen-
stes Merkmal ist die Unduldsamkeit.

Pedant sein heißt, fchwören auf das Uniforme, das Reg-
lement, die Rubrik, heißt, bis zum Fetischismus auf die weisung
der Schulgrammatik halten, auf das Leitwort des gedruckten
Tertes. Der Pcdant ist ein Gaul, der seine großen
Scheuklappen trägt und von der Geburt bis zum Grabe
zwischen den Schienen eines Geleises einhertrottet, das für
ihn die gesamte bekannte welt bedeutet. Nehmt dem Pe°
dantcn seine Znfiruktion und dem Gaule seine Lchicnen, beide
werden nicht mehr lanfen können, ja häufig werden sie, so
plötzlich ans dem engen Gesichtskreise befreit, völlig wirr,
bäumen sich auf und fchlagen aus. Gott fchütze uns vor
den bsufschlägen mondscheuer Gäule, aber noch mehr vor jenen
gefährlicheren des pedanten!

Der Pedant, gewöhnt, wie er ist, an das Zoch feiner
Rubriken, feiner Instruktion, feines Textes, und immer an
den Dogmen des unabänderlichen Lchienenftranges entlang

— 201 —
 
Annotationen