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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 13
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Vom Tage
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0208

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! trabend, bildet sich endlich ein, daß Rubriken nnd Zngel der
einzige und wahre Zweck des Daseins seien, nicht eines der
Mittel bloß, unsern Gang zu leiten. Auch in der wissen-
schast und der Aunst erblickt cr in ihnen Anfang und
Lnde. tVorte bedeuten ih>n schon die 5ache, an ihnen ist
nicht zu riitteln. (ksier hätte Mantegazza Mephistos Rat an
den Lchüler zitiren können: „Im Ganzen — haltet euch an
worte" nsw. Anin. des pedantischen Übersetzers.) Rleinig-
keiten waren ihin das wichtige, sie allein kann er sehen und
sassen; iinmer und in jeder Sache ist er iin Rleinsten der
Größte, iin Großen der Rleinste (w miuimis maximus, iu
maximis miuimus.)

wie sollte wohl ein solcher Mensch nicht tiese Abneigung
einpsinden wider alle jene andern Rosse, die sich nieinals von
der Grammatik haben bändigen lassen, nicht von Doginen sich
zügeln, nicht sich peitschen von der Unduldsamkeit in der
Toga?" — — — Das sei als probe genug. Lin Pedant
ist das nicht, der dies geschrieben. Ts.

-x- Zur Lrhaltung des Lserderhauses in Mohrungen —
es droht ihm der Abbruch — wird ein Aufrus erlassen. Bei-
träge niinint u. A. der Schatzineister der „Berliner Gesell-
schast sür Deutsche Literatur", Bankier A. Meyer-Lohn,
entgegen (Berlin 'W., Unter den Linden t t).

-x- Mehr als eine Ruriosität ist eine Flugschrift iin
Lharakter jener ans der Lutherzeit, die uns dieser Tage zu-
ging: ,MeletemLta ecclesiastica, zwar 1 icht alainodische, aber
verhoffentlich nützliche Betrachtung, angestellt von Veracius
Rustieus" betitelt und bei Alt in Franksurt a. M. verlegt.

„Soll ich serner in meinein winkel
Immer nur sehn nach ksahn und Lsinkel
Und zu Allem, was draußen die kserrn
Reden und treiben das Maul aussperrn?"

Sie behandelt vom Standpunktc cines bibelsesten Landgeist-
lichen aus allerhand, was dem Manne an unserm Rirchen-
leben nicht gefällt, spricht aber auch von vielem, was gerade
die Leser unseres Blattes als Runstsreunde angeht: z. B.
„von denen verbesserten alten Rirchenliedcrn", „Bom Luther-
sest- und anderem Lpiel", „von der neuchristlichen 5chön-
geisterei". Das ganze Büchel ist frisch, unabhängig, vor allem
ganz von vorn bis hinten, aber anch von innen nach außen,
denn die prächtig behandelten derben Rnittelverse kennzeichnen
den ehrlichen Inhalt trefflich.

» Bon einem neuen Schanspiel Ibsens wird der
„Frs. Z." geschrieben — wir halten uns bei der wichtigkeit,
die Ibsens Lchaffen nun einmal auch sür nns Deutsche ge-
wonnen hat, sür verpflichtet, auch davon Renntnis zu geben.
Das werk, so meint der Berichterstatter, werde durch Stoff
und Tendenz das größte Aussehen erregen. Ibsen stellt in
dem neuen Entwurs „zwei Menschen ans zweien seiner früheren
werke in gewaltigem Ronflikt einander gegenüber: Nora und
Gregers werle. Gregers, der nach dem tragischen Unheil,
das er in der »wildente« herausbeschworen, mit sich selbst zer-
sallen und irre geworden an seinen tiessten Überzeugnngen,
in der welt herum gewandert war, trifft in einem norwegischen
Rüstenstädtchen mit Nora zusammen, die dort als Telegraphistin
ein bescheidenes, aber selbständiges Dasein sührt. Ihre geistige
Verwandtschast bringt beide cinander nahe: Gregers sindet end-
lich ein wesen, das, wie er, von rückhaltlosem wahrheitsdrang
beseelt ist und leichten kserzens aus materielle Güter ver-
zichtet, wenn sie mit der idealen Forderung nicht in Linklang
zu bringen sind; Nora findet in Gregers endlich den Mann,
den sie ernst nimmt, der ihr Anteil gewährt an seinem tiesen !
5eelenleben und sich beteiligt an dem ihrigen. Und so leben
die beiden Mustermenschen inmitten der beschränkten Bevöl-

kerung des Rüstenstädtchens ein glückliches Dasein. Da naht
das Unheil. Lines Tages läuft aus Noras Bureau eine De-
pesche ein, in welcher kselmer den Polizeidirektor des 5tädtchens
bittet, seinen flüchtigen 5ohn sestzuhalten, bis er ihn abholen
werde. Der Iunge kommt zu Lchiff an, und vor Nora ent-
hüllt sich die surchtbare Zerrüttung ihres srüheren lheims.
lfclmer ist insolge seines großen Linkommens als Bankdircktor
ein leichtsertiger Lebemann geworden, die Rinder, denen das
leichte Blut von Noras Dater erblich überkommen ist, sind in
Gefahr, völlig zu verwahrlosen. Nora erkennt, daß nur ihre
Rückkehr die Familie vom moralischen Untergang erretten kann,
aber sie crkennt zugleich, daß sie Gregers aus tiefstcr 5eele
liebt. Sie will ihn nicht verlassen, weil sie glaubt, daß ihre
jdflicht gegen sich selbst allen anderen j?flichten vorgehe. Aber
in einer gewaltigen und tief ergreisenden 5zene bedeutet ihr
Gregers, daß über Allem die ideale Forderung stehe, daß es
sür sie kein gemeinsames Glück mehr geben könne, weil ihnen
fortan das Gesühl der Schuldlosigkeit sehlen würde, daß aber,
wenn Nora sreiwillig heimkehre, ihre Lhe mit Hclmer jetzt eine
wahre Lhe werden könne, weil nun nicht mehr gegenseitige Zu-
neigung, sondern das Streben nach einem hohen sittlichen Zweck
das unzerreißbare Band derselben bilden würdc. Nora wird von
Gregers überzeugt und bringt selbst den entlaufenen Sohn
dem Gatten zurück. Dies ist der Inhalt des gedankenreichen
Stückes. Aber mehr als die Lsandlung, mehr als die wieder-
einsührung uns lieb gewordener Menschen, wird auch dies-
mal die latente Tendenz des genialen werkes Aufsehen er-
rcgen. Ibscn ist den weg nach Damaskus gegangen! Das
tiefe jdroblem, das ihn seit »Nora« beschäftigt: der Rampf
des Linzelmenschen gegen die Anschauungen der Gesellschaft,
der Ronflikt, der sich in des Menschen Brust erhebt, wenn seine
Lehnsucht nach Glück in widerspruch gerät mit konventionellen
oder übernommenen Pftichten, hier ist es entgegengesetzt ge-
löst, als in seinen srüheren werken. Und es ist interessant
zu verfolgen, wie sich diese wandlung allmählich vollzogen
In »Nora« und den »Gespenstern« geht die latente Tendenz
dahin, daß der Mensch vor Allem wahr gegen sich selbst sein
miisse, daß er allc f)flichten von sich abschütteln solle, wenn
es andernfalls seinem innersten 5ein Zwang auferlege. Lo ver-
läßt Nora ihren Gatten und Frau Alwing beschwört ein
furchtbares Geschick über sich herauf, weil sie trotz ihrer Liebe
zum f)astor Manders die Lhe mit ihrem ungeliebten Gatten
sortgesetzt hat. In der »wildent:« wird diese Grundidee
ironisirt und in »Rosmersholm« beginnt schon die Umkehr,
Rebekka erkennt schon Rosmers Idealismus der pflicht als
das ksöchste an, aber sie bricht noch verzweifelnd in die worte
aus: »Die Lebensanschaunng der Rosmers adelt, aber sie
tötet das Glück.« In Ibsens neuestem werke ist die wand-
lung vollendet. Lsier kann man den Inhalt der tiefsinnigen
Zchlußszene zwischen Nora und Gregers in die worte zu-
sammenfassen: »Die Lebensanschauung der Rosmers tötet
das Gliick, aber sie adelt«. Noch deutlicher als in der »Frau
vom Meere« ist ausgesprochen, daß freiwillige Pflichtersüllung
das ksöchste ist und daß der weg nimmermehr zum Glück
sühren kann, der quer durch cine pflicht hindurchgeht. Und
so steht das neueste werk Ibsens im unmittelbaren Gegen-
satz zu den »Gespenstern«; was dort Frau Alwing als die
Schuld ihres Lebens beklagt, hier wird es gepredigt."—Ibsen
soll hoffen, das werk noch in diesem Iahre fertigzustellen.

n Die welt bekommt nun wirklich einen Thespiskahn.
Line jDetersburger Aktiengesellschaft erbaut das schwimmende
Theater für die wolga, aus dem die Muse des Schauspiels
und der Vperette als Mädchen aus der Fremde zwischen
theaterlosen Ltädten herumschiffen wird.

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