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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

DOI issue:
Heft 18
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Lein, K.: Über Lyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0279

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1S. Stück.

Lrscbeint

im ersten und dritten Viertel

Derausgeber:

zferdtnand Nvenarius.

Kestellpreis:

vierteljährlich 21/z Mark. ^ ^

Anzeigen i 3 gesp. Nonp.-Aeile 40 pf. —-—

Äber L^rik.

0 viele Gedichtbücher gedruckt und verscheukt
werdeu, es bleibt doch wahr: keiiler Gattuug
'der Ruust steht unser publikum fremder
/gegenüber, als der lyrischeu poesre. Ls
giebt genug Leute bei uns, die sie als eine Sache be-
trachten, welche eigentlich nur schwärmerische Iüng-
linge „machen" und nur „Damen" „goutiren" dürften,
ohne geradezu für verdreht zu gelten: der reife Mann
hat folchen !Neinungen nach eigentlich schon deshalb
nichts mit Lchrik zu thun, weil er eben ein erwachsener
Alann ist. Und was Alles gilt dabei für lyrische
poesie! Und wie wenig beachtet wird das ^eltene,
das lyrische j)oesie in wahrheit i st!

Auf zweierlei Art kann uns der Dichter die Gr-
gebnisse der großen Lebensarbeit vor die Seele stellen.
Lntwickelnd und betrachtend. j)oetische Runst, die
entwickelt, ist Lpos oder Drama, die betrachtet, Lyrik.

Lreilich können epische, dramatische und lyrische
Llemente einander durchsetzen. Line pedantische
Aesthetik hat wohl zu dein Irrtum verleitet, mit
Gpischem oder Dramatischem versetzte Lyrik sei gar
keine Lchrik mehr. Das ist fast, als wollten wir sagen:
wer dann und wann auf seiner wanderung be-
trachtend stehen bleibt, genießt seinen weg nicht als
echter Wanderer, während doch vielleicht gerade der
lVechsel von Gang und Rast seine Freude erhöht.
Auch der Nefrain in der Ballade hat ja seine eigent-
liche Bedeutung darin, daß er den Dichter, sozusagen,
immer wieder vom epischen pfade heimholt und ihn
an seine lyrische Micht des Verweilens erinnert. Lrst
kürzlich hat Graf Schack (Rw. I, das Abge-

schmackte einer anderen Ansicht dargethan, die als
Lyrik überhauxt nur gelten lassen will, was gesungen
werden kann. Hat doch die Lyrik an und für sich
gar nichts mit dem Gesange zu thun. Besitzt eine
dichterische Schöpfung für unser Lmpfinden so viel

Lücken, daß wir diese gern mit Musik ausgefüllt sähen,
oder bedarf es erst der Töne, um uns empfinden zu
lassen, was eigentlich der Dichter will, so ist das be-
treffende Gedicht eben nicht ein in sich abgeschlossenes,
fertiges Runstwerk, sondern Stückwerk. Schack hatte
sehr Äecht, darauf hinzuweisen, daß gerade die besten
rein lyrischen Gedichte — er erinnerte beispielsweise
an Goethes herrliches „An den Mond" -- sich dem
Tonsetzer gegenüber sehr spröde verhielten.

N)as aber unternimmt es nun, dieses „Betrachten"
des Lyrikers? Ts stellt das Tharakteristische fest.
Aber nicht um einer Anzahl einzelner Merkmale
willen, sondern, um aus ihrem Zusammenrücken ein
Ganzes zu gewinnen. Dieses Ganze ist eiu Gefühl,
das auf solche Weise gebannt wird, daß es durch jene
charakteristischen Merkmale immer wieder in uns er-
zeugt werden kann.

So behandelt der Lyriker die Stimmung als
das eigentlich Lrrungene eines Stückes Leben, als
eine Art sreischwebender Seele, der er den Leib geben
müsse, als seinen vorwurf, seinen Stoff. Und je
nach der Art seines ^toffes wird er sich da bestimmt
finden: entweder, das Gefühlte in ein anschauliches
Bild umzusetzen, oder, wo seinen Vorwurf eigene auf
allgemeinere Stücke der Außenwelt bezogene oder
spontan empfundene Gefühle bilden, durch entsprechende
Auslese des Stofflichen das Gefühl einer Linheitlichkeit
zu geben.

Letzteres wäre wohl zu beachten. Der Lyriker
kann nicht immer durchaus anschaulich sein. Aber
was an Anschaulichkeit abgeht, muß durch charakte-
ristische Auslese und zutreffenden Gefühlston ersetzt
werden. Ls entsprächen dieser Gattung auch jene
liedmäßigen Gedichte, denen sich um ihrer aphoristischen,
andeutenden Art willen so gern die !Nusik als um-
schreibende Aunst gesellt.

Der Nachdruck von lüngeren rvie kürzeren Beiträgen des „Aunstrvarts" ist voin Verlage nur unter deutlichrr ipurllenangabr gestattet.

uöer ake 8eöieie^eK.Sc5önen.

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