Strich den Mund, ein Strich den Hals, ein Gval den
Rmnps; die Beine sind zwei Striche mit Fzaken, die
Arme zwei steife Striche mit je süns gespreizten Fingerchen.
welches Rind hätte nicht die Reihe seiner bildlichen
versnche mit solch einem „Mann" begonnen? Daraus
solgt gewöhnlich irgend ein Diersüßler, der Lsund oder
die Aatze der Familie, oder ein scherd mit Wagen —
jedensalls aber Gestalten, welche in der Linbildungs-
krast des Rindes eine Rolle spielen, und das sind
lebendige, bewegte Gestalten. An diese aus der Natur
des Rindes sich entwickelnden bildnerischen Triebe
sollte der Zeichenunterricht anknüpfen. Der Lrwachsene
sollte die unbeholfenen Zeichnungen mit Znteresse be-
trachten und die gröbsten Fehler derselben verbessern
unter bchnweis auf das wirkliche Dorbild. k^ierdurch
wird in dem Ainde die richtige Fähigkeit, zu beobachten
und die Eigentümlichkeiten der Gestalten zu behalten,
entwickelt und zugleich Augenmaß und Lsandfertigkeit
leicht geübt. wenn nun auch die ersten Aufgaben
dieser Methode der häuslichen Trziehung anheimfallen
und in zweiter Linie dein Aindergarten, welcher aller-
dings der unbemittelten Dolksmasse leider noch ver-
schlossen ist, so sollte doch die Dolksschule den Zeichen-
unterricht möglichst dieser Methode gemäß betreiben,
d. h. die wünsche der ^>chüler bezüglich der Vorlagen
wesentlich berücksichtigen. Geschähe dies, so würde
sich zeigen, wie selten Dorlagen von dem Lharakter
gewählt würden, welcbem die ministerielle Anweisung
die Alleüiherrschaft zuwenden will. Ls ist zu besürchten,
daß hinfort in den Zeichenstunden gar mancher Schüler
— eine größere Anzahl als sonst — gelangweilt und
träge dasitzt, widerwillig einige Striche zeichnet, an
seinem Nlachwerk radirt, dann vielleicht plaudert oder
heimlich liest, oder — eine ck>atire aus die neue
Methode — „Männchen malt".
Und wenn es selbst dem Lehrer gelingt, die
Schüler zu eisrigem Zeichnen zu zwingen, so wird
doch der Unterricht einen Trfolg von zweifelhaster
Güte haben. Denn die nene Anweisung ist gar zu
sehr von militärischein Geiste erfüllt und erinnert be-
denklich an ein Txerzirreglement. Zuerst wird ein Teil
der zu erlernenden Bewegung — „Tempo eins" —
von allen Zöglingen gleichmäßig geübt, ohne Nnter-
schied der Neigung und Geschicklichkeit und gleichviel,
ob die Übung bei Tinzelnen Überdruß erweckt; und
erst wenn Tempo Lins „sitzt", wird Tempo Zwei I
gedrillt. Line derartig schablonische Behandlung und
gewaltsame Unterordnung des Linzelnen unter die
Abteilung ist zwar von Soldaten zu ertragen und
beim Militär geboten, aber nicht am jÄatze bei Rindern,
welche sich noch als freie Zndividualitäten fühlen und
deren persönliche Tigenarten, falls sie nicht geradezu
schädliche Abweichungen darstellen, gerade in unserer
unisormen und an persönlichkeiten nicht reichen Zeit
mit liebevoller Aslege ausgebildet werden sollten, ge-
mäß der Anschauung Goethes
„bsöchstes Glück der Erdenkinder
Ist doch die jdersönlichkeit.^
Noch ein wort über die Bestimmung „Die Mäd-
chen haben in den beiden letzten Schuljahren das
Zeichnen und verändern von Mustern sür weibliche
Üandarbeiten zu üben." Ls gab eine Zeit, wo es
unerläßlich zur Bildung weiblicher Wesen gehärte,
spinnen und weben zu können. Seitdem die Alaschine
diese Arbeiten übernommen hat und die Großproduktion
an Billigkeit die bsausproduktion weit überragt, ge-
hört es zu den Lächerlichkeiten, von einem Mädchen
Fertigkeit im ck-pinnen zu verlangen. Das Schicksal
der Spinnerei steht manchem Zweige der weiblichen
Üandarbeit beoor. Zmmerhin ist es noch wünschens-
wert, daß unsere Mädchen nähen, stricken, sticken,
allenfalls auch häkeln lernen. wenn sich aber der
Üandarbeitsunterricht aus schwierige ^pezialitäten und
Tüsteleien erstreckt und nun gar in den Zeichenunter-
richt übergreift, so ist dies eine Unsitte. wer die
Blüten der weiblichen ü^udarbeit und des Muster-
zeichnens, die j)aradeleistungen angehender Lehrerinnen,
gesunden Urteils betrachtet, wird oft weniger Be-
wunderung empfinden, als vielmehr Unwillen über
die Zeitverschwendung und die in Rleinlichkeit über-
gehende Geduld, welche solch raffinirt minutiäse
Arbeiten ersordern.
Ts ist nicht die Absicht dieser Rritik, jdersonen an-
zugreisen. wie sollte ein Leiter des Unterrichtswesens
anf allen Gebieten der j)ädagogik einen richtigen
Treffer haben? wohl aber möchten diese Zeilen die
öffentliche Meinung zn dem versuche anregen, unsere
Zugend vor der drohenden Derkümmerung wichtiger
ästhetischer Fähigkeiten zu bewahren.
Berlin. Or. Bruno Wille.
s)
(s
Vom Tnge.
^ Lptscbe und episeb - lvrtscbe Dicbtnngen.
„Akanthusblätter" nennt ch. Vierordt neuere „Dichtnngen
aus Italien und Gricchenland" (Lseidelberg, kvinter). 5ie
sxrechen von ^ehnen und 5nchen nach dein Ewigschönen im
ksellenentum. Recht erwärmt haben sie mich allerdings nicht
— es geht zu ost ein rhetorischer Zug durch die Verse, etwas,
das mehr aus vortragswirkung, als aus inneres Nachschauen
und Durchempstnden berechnet ist. Trotzdem ift ja Nierordt
stcherlich ein Mann von Begabung Ebensalls im klassischen
Griechenland spielt eine epische Dichtui g „Lampra" von Franz
lVendlandt. (Norden, kjinricus Fischer Nachsolger). Line
merkwürdig verschlungene Familienintrigue ist ziemlich äußer-
lich der Zeit des jderikles eingepaßt. Zwei andere Lrzählnngen
in Versen behandeln den Lseldenkamxs der Dithmarschen gegen
die Dänen: „Marina" von Thr. Benkard (bsamburg, vorm.
Richter) und „Die Iungfrau von Gldenwörd" von I. Ber-
nard (I. B. Muschi: Dresden, jdierson. Das bedeutendere
von Beiden ist das erstere. Der äußeren Form und auch dem
Inhalte nach znr Schule des Scheffelschen Trompeters gehört
„Der junge Goldschmied" von Altena iRzesacz) (Lsamburg,
vorm. Richtcr). Geschichteu von zwei Liebenden, die erst nach
Besiegung von mancherlei bsindernissen vereinigt werden,
haben unsere Töchter immer gern, besonders, wenn sie mit
so hübschen Abbildungen ausgestattet sind. Tine 5ammlung
erzählender Dichtungen katholischer Richtung, „^timmen der
vorzeit" von G. M. Dreves (jdaderborn, Iunsermann) ent-
hält manches srisch und lebcndig Tmpsundene. lvenn der
versasser nicht breit wird, versucht er nicht selten mit Glück
den Ton der Nhlandschen Balladen. viel weniger Anerkenn-
ung verdient eine andere Dichtung mit ausgesprochen katho-
lischer Tendenz: „Iörg von Falkenstein" von lhermann
Laven (Trier, verlag der paulinusdruckerei). ksier ist inhalt-
231
-s
Rmnps; die Beine sind zwei Striche mit Fzaken, die
Arme zwei steife Striche mit je süns gespreizten Fingerchen.
welches Rind hätte nicht die Reihe seiner bildlichen
versnche mit solch einem „Mann" begonnen? Daraus
solgt gewöhnlich irgend ein Diersüßler, der Lsund oder
die Aatze der Familie, oder ein scherd mit Wagen —
jedensalls aber Gestalten, welche in der Linbildungs-
krast des Rindes eine Rolle spielen, und das sind
lebendige, bewegte Gestalten. An diese aus der Natur
des Rindes sich entwickelnden bildnerischen Triebe
sollte der Zeichenunterricht anknüpfen. Der Lrwachsene
sollte die unbeholfenen Zeichnungen mit Znteresse be-
trachten und die gröbsten Fehler derselben verbessern
unter bchnweis auf das wirkliche Dorbild. k^ierdurch
wird in dem Ainde die richtige Fähigkeit, zu beobachten
und die Eigentümlichkeiten der Gestalten zu behalten,
entwickelt und zugleich Augenmaß und Lsandfertigkeit
leicht geübt. wenn nun auch die ersten Aufgaben
dieser Methode der häuslichen Trziehung anheimfallen
und in zweiter Linie dein Aindergarten, welcher aller-
dings der unbemittelten Dolksmasse leider noch ver-
schlossen ist, so sollte doch die Dolksschule den Zeichen-
unterricht möglichst dieser Methode gemäß betreiben,
d. h. die wünsche der ^>chüler bezüglich der Vorlagen
wesentlich berücksichtigen. Geschähe dies, so würde
sich zeigen, wie selten Dorlagen von dem Lharakter
gewählt würden, welcbem die ministerielle Anweisung
die Alleüiherrschaft zuwenden will. Ls ist zu besürchten,
daß hinfort in den Zeichenstunden gar mancher Schüler
— eine größere Anzahl als sonst — gelangweilt und
träge dasitzt, widerwillig einige Striche zeichnet, an
seinem Nlachwerk radirt, dann vielleicht plaudert oder
heimlich liest, oder — eine ck>atire aus die neue
Methode — „Männchen malt".
Und wenn es selbst dem Lehrer gelingt, die
Schüler zu eisrigem Zeichnen zu zwingen, so wird
doch der Unterricht einen Trfolg von zweifelhaster
Güte haben. Denn die nene Anweisung ist gar zu
sehr von militärischein Geiste erfüllt und erinnert be-
denklich an ein Txerzirreglement. Zuerst wird ein Teil
der zu erlernenden Bewegung — „Tempo eins" —
von allen Zöglingen gleichmäßig geübt, ohne Nnter-
schied der Neigung und Geschicklichkeit und gleichviel,
ob die Übung bei Tinzelnen Überdruß erweckt; und
erst wenn Tempo Lins „sitzt", wird Tempo Zwei I
gedrillt. Line derartig schablonische Behandlung und
gewaltsame Unterordnung des Linzelnen unter die
Abteilung ist zwar von Soldaten zu ertragen und
beim Militär geboten, aber nicht am jÄatze bei Rindern,
welche sich noch als freie Zndividualitäten fühlen und
deren persönliche Tigenarten, falls sie nicht geradezu
schädliche Abweichungen darstellen, gerade in unserer
unisormen und an persönlichkeiten nicht reichen Zeit
mit liebevoller Aslege ausgebildet werden sollten, ge-
mäß der Anschauung Goethes
„bsöchstes Glück der Erdenkinder
Ist doch die jdersönlichkeit.^
Noch ein wort über die Bestimmung „Die Mäd-
chen haben in den beiden letzten Schuljahren das
Zeichnen und verändern von Mustern sür weibliche
Üandarbeiten zu üben." Ls gab eine Zeit, wo es
unerläßlich zur Bildung weiblicher Wesen gehärte,
spinnen und weben zu können. Seitdem die Alaschine
diese Arbeiten übernommen hat und die Großproduktion
an Billigkeit die bsausproduktion weit überragt, ge-
hört es zu den Lächerlichkeiten, von einem Mädchen
Fertigkeit im ck-pinnen zu verlangen. Das Schicksal
der Spinnerei steht manchem Zweige der weiblichen
Üandarbeit beoor. Zmmerhin ist es noch wünschens-
wert, daß unsere Mädchen nähen, stricken, sticken,
allenfalls auch häkeln lernen. wenn sich aber der
Üandarbeitsunterricht aus schwierige ^pezialitäten und
Tüsteleien erstreckt und nun gar in den Zeichenunter-
richt übergreift, so ist dies eine Unsitte. wer die
Blüten der weiblichen ü^udarbeit und des Muster-
zeichnens, die j)aradeleistungen angehender Lehrerinnen,
gesunden Urteils betrachtet, wird oft weniger Be-
wunderung empfinden, als vielmehr Unwillen über
die Zeitverschwendung und die in Rleinlichkeit über-
gehende Geduld, welche solch raffinirt minutiäse
Arbeiten ersordern.
Ts ist nicht die Absicht dieser Rritik, jdersonen an-
zugreisen. wie sollte ein Leiter des Unterrichtswesens
anf allen Gebieten der j)ädagogik einen richtigen
Treffer haben? wohl aber möchten diese Zeilen die
öffentliche Meinung zn dem versuche anregen, unsere
Zugend vor der drohenden Derkümmerung wichtiger
ästhetischer Fähigkeiten zu bewahren.
Berlin. Or. Bruno Wille.
s)
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Vom Tnge.
^ Lptscbe und episeb - lvrtscbe Dicbtnngen.
„Akanthusblätter" nennt ch. Vierordt neuere „Dichtnngen
aus Italien und Gricchenland" (Lseidelberg, kvinter). 5ie
sxrechen von ^ehnen und 5nchen nach dein Ewigschönen im
ksellenentum. Recht erwärmt haben sie mich allerdings nicht
— es geht zu ost ein rhetorischer Zug durch die Verse, etwas,
das mehr aus vortragswirkung, als aus inneres Nachschauen
und Durchempstnden berechnet ist. Trotzdem ift ja Nierordt
stcherlich ein Mann von Begabung Ebensalls im klassischen
Griechenland spielt eine epische Dichtui g „Lampra" von Franz
lVendlandt. (Norden, kjinricus Fischer Nachsolger). Line
merkwürdig verschlungene Familienintrigue ist ziemlich äußer-
lich der Zeit des jderikles eingepaßt. Zwei andere Lrzählnngen
in Versen behandeln den Lseldenkamxs der Dithmarschen gegen
die Dänen: „Marina" von Thr. Benkard (bsamburg, vorm.
Richter) und „Die Iungfrau von Gldenwörd" von I. Ber-
nard (I. B. Muschi: Dresden, jdierson. Das bedeutendere
von Beiden ist das erstere. Der äußeren Form und auch dem
Inhalte nach znr Schule des Scheffelschen Trompeters gehört
„Der junge Goldschmied" von Altena iRzesacz) (Lsamburg,
vorm. Richtcr). Geschichteu von zwei Liebenden, die erst nach
Besiegung von mancherlei bsindernissen vereinigt werden,
haben unsere Töchter immer gern, besonders, wenn sie mit
so hübschen Abbildungen ausgestattet sind. Tine 5ammlung
erzählender Dichtungen katholischer Richtung, „^timmen der
vorzeit" von G. M. Dreves (jdaderborn, Iunsermann) ent-
hält manches srisch und lebcndig Tmpsundene. lvenn der
versasser nicht breit wird, versucht er nicht selten mit Glück
den Ton der Nhlandschen Balladen. viel weniger Anerkenn-
ung verdient eine andere Dichtung mit ausgesprochen katho-
lischer Tendenz: „Iörg von Falkenstein" von lhermann
Laven (Trier, verlag der paulinusdruckerei). ksier ist inhalt-
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