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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 23
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Kretzer, Max: Objektivität und Subjektivität in der Dichtung
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Sprechsaal
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Aus der Bücherei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0371

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und höchst uervös, aufgeregt ius Orchester schalt
wegen falscheu Tempos. Nichter sagte: „Ich weiß
das besser als der Meister," uud ließ es beim alteu.
Nach zehn Minuteu kehrte Maguer zurück uud ries:
„chaus, Du hast Necht gehabt!" — khieraus läßt sich
aber etwa dieses folgeru. Liu Ruustwerk ist eiu so
reich gegliederter Grgauismus, der iu seiueu eiuzelueu
Teileu allerdiugs verschiedene Durchführuugeu zuläßt,
daß sich selbst der Rompouist erst für eiue bestimmte
Art der Ausführuug eutscheideu muß. weun uuu
eiu geinaler Mauu seiuer iudividuelleu Lmpfiuduug,
seiner uumittelbareu Liugebuug iusoweit uachgeht,
als es die verschiedene Deutsamkeit der Tiuzelheiteu
eiues Ruustwerkes zuläßt, so werdeu wir ihu uicht der
Millkür zeiheu köuuen. Derfährt er uur im Geiste
des Aompouisteu, wir werdeu ihu dauu, obschou er
uicht die eiuzelueu Durchbestimmuugeu desselbeu iu
Betreff der Ausführuugeu keuut, doch als vom Geiste
der Überlieferuug beseelt auzuerkeuueu habeu. Uud
das gilt vou Ntottl. Frageu wir uun, hat Bayreuth
die Überlieferuug bewahrt? Frageu wir im besou-
dereu, wie war das Lestspiel im vergaugeueu sZahre?
So zahlreich wie iu diesem ist wohl Bayreuth uoch
uicht aufgesucht wordeu. Iiu vorigeu Iahre kouute
mau sagsu: Bayreuth ist Nlode gewordeu uud das
ist gut. Rauu doch der bedeuteudste Meusch, sei es
eiu j?rofessor, eiu Geistlicher, eiu Arzt, Gelehrter oder
Rünstler, uichts Großes leisteu, wenu er uicht „Alode
ist". Aber auch diese Ausführuugeu! Die Auslese
der deutscheu Aüustlerschaft hatte sich eiugefuudeu, uin
die Meistersiuger uud deu j?arsifal aufzuführeu. Ts
sei zugegeben, daß im eiuzelueu mauches Maugelhafte
vorkam. Iutouatiousfehler im Grchester, Maugel au
Rlangschöuheiteu, selbst s?räzisiousfehler; iudesseu darauf
kommt es iu B.ayreuth uicht au: eiue techuisch feiu-

gebildete Aufführuug zu höreu, das kauu man auders-
wo auch habeu, hier handelt es sich um deu Geist
des Gauzen, um die unvergleichliche f)oesie! Das
habeu aber die Lestspiele von t888 iu großartiger
weise gegebeu.

Wer ist es aber geweseu, der das Alles ius Merk
gesetzt hat? — — Als uus uach der letzteu Geueral-
probe Frau Rosima eiu Baukett gab, sprach Lsans
Nichter etwa Lolgendes: — — „weuu ich hier sehe,
wie das Alles gedeiht, so verliere ich meiueu j?essimis-
mus uud sage, es ist eiue Freude, zu lebeu. wer
ist es aber, der dies Alles so treulich im Sinue des
Meisters fortgeführt hat: Lrau waguer. s)ch sage
uuu, es wäre eiue Feigheit, eiue Gemeinheit, diese
edle Frau zu verlasseu, uud ich glaube, es ist Nie-
maud uuter uus, der so feig ist, dieser edleu Frau die
Uuterstützuug zu versageu." So ähulich sprach Nichter.
Ausaugs verstaud ich uicht recht, was wohl Richter
meiute mit dem „feigeu Nerlasseu". Dauu aber, als
ich die verschiedeueu boshafteu Aritikeu, die hier uud
da auftauchteu, las, ist mir die Tragweite der Nichter-
scheu worte klar gewordeu. Ich kauu uuu allerdiugs
bezeugeu, daß die wirksamkeit der Lrau Nosima hoch-
bedeuteud uud großartig ist. Die Dame fehlte iu
keiuer s?robe, war es uuu eiu bloßes Ouartett —
oder Bläserprobe, oder eiue Gesamtprobe. Ihre Sorg-
samkeit giug ius Nleiuste, wie ius Größte. ^ie wußte
jede Schattiruug uud wußte iu der Iuszeuiruug so-
wohl, als iu der gesauglicheu uud orchestraleu Aus-
führung alles aufs Geuaueste auzugebeu. Ieder, uud
selbst Nichter, orduete sich ihr vällig uuter, uud alles
im chause fühlte iu ihr die Seele des Gauzeu. wahr
ist's: waguer ist tot. Allein seiue Stimme aus dem
Grabe ertöut uud spricht durch seiue Gattiu. Gewiß.
5o lauge sie lebt, wird „Bayreuth" uicht vergeheu!

Nus der Wücberei.

N. R.

Die Nrcbivariseben Oacbriebten über Tbeaterzu-
stünde von Dildesbeim, Lübeek, Lüneburg im lö.
und 17. Aabrbundert von Rarl Theodor Gaed ertz (Breinen,
T. Ed. INüllers Verlagsbuchhandlnng, ;888) bringen, diplo-
matisch treu, bisher noch ungedruckre Urkunden, die ein wert-
voller Beitrag für die Schulgeschichte sowie für die Geschichte
des jdietismus der damaligen Zeit sind und den wunfch er-
regen, daß dieser fleißige Forfcher recht bald Muße zu der
von ihm beabsichtigten cherausgabe einer Theatergeschichte von
den Anfängen bis zur Bildung stehender Bühnen finden inöge.
Ebenfo füllt die von deinselben Verfasser und in deinfelben
verlag erschienene Schrift Lur Ikeuutuis ber alteuglisebeu
iWübne nebst andcren Weiträgen zur Lbakespeare-
Literatur eine §ücke in unferer Runde über die innere
Bühnen-Linrichtung zu Shakespeares Zeit aus, indem sie,
unter Anöerm, nach einer in der Uuiversitätsbibliothek zu
Utrecht besindlichen ksandschrift von Zohannes de witt
das ^ondoner Theater vlie Lvun, wie es im Zahre ;596
war, in wort und Bild schildert. wie der bserausgeber sehr
richtig bemerkt, hat man die Ronstruktion nnd Tinrichtung
der Szene und des Zuschauerraumes unter der Regierung der
Rönigin Elisabeth bis jetzt nur aus den Bühnenanweisungen
und Andeutungen in gleichzeitigen Stücken sowie aus über-
einstimmenden Berichten in sonstigen damaligen Schriften
kennen gelernt und daraus ein der wirklichkeit sinöglichst ent-
entsprechendes Bild zu entwerfen versucht, das naturgemäß
jene völlige historische Treue vermissen läßt, wie solche eben
einzig die getreue Ieichnung eines Zeitgenossen durch die
Anschauung zu gewähren vermag. Die einzige bisher vor-
handene innere Ansicht der Bühne stammt aus dem Iahre ;662,
also sechsundvierzig Iahre nach Shakespeares Tod. Die hier
vorliegende ist die erste von einem Zeitgenossen stammende

Beschreibung und an Ort und Stelle aufgenommene Zeichnung.
Auch die beigegebenen biographischen Nachrichten und Briese
von Iohannes de witt sind eine hochschätzenswerte Bereicheruug
der Runstgeschichte. G. A-

N. Ootbnagel, Siungemasses Scbaffen und /Ibode-
tberbeit in Arebitektur und Ikunstbandrverk. von

A. Nothnagel. 3. verm. Auflage. (verlag der Bau- nnd
Runstgewerbezeitung sür das Deutsche Reich. Berlin.) !vir
begrüßen den verfasser freudig als einen Nitstreiter im
Rampfe gegen die „Nouveautss" d. h, gegen die unglaub-
lichen Sünden, welche in Architektur und Runsthandwerk tag-
täglich gegen die elememarsten Forderungen der praktischen
Aesthetik oder fagen wir besser des guten Geschmacks begangön
werden. Nothnagel behandelt in seinem Schriftchen solgende
Gegenstände: In welchem Stile sollen wir schasfen? Über die
Anwendung der Farbe in der Architektur. Unterschiede zwischen
Dekorations- und Tafelmalerei. Bedeutung uud sinngemäße
Grnamentirung einiger der am meisten verkannten Architektur-
glieder. Betrachtungen über das kvort stilvoll. Architektur-
formen und Möbelformen. Aushlick in die Iukunft. Mit
Ernst und Verständnis zeigt der Verfasser und zwar in eben-
so gemeinverständlicher als edler Darstellungsweise, wie stil-
gerechte Runstwerke, d. h. solche, deren Form ihrem Iwecke und
threm Stosfe entspricht, beschasfen sein müssen. ))n unserem
Üerumtasten in allen möglichen historischen Stilen sieht er das
Ringen nach einer geeigneten Formensprache und er zeigt in
ihnen das Zeitgemäße, Lebens- nnd Lntwickelnngsfähige.
Gegen die Thorheit, um jeden Preis einen nationalen
Stil herbeischaffen zu wollen, spricht er sich. mit Recht aus.
!Vir empfehlen die vortreffliche Schrift unfern Lefern auf das
wärmste. - (?)


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