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Denn dies letzte kann zweierlei Art sein: Lntweder
der Aünstler malt einen Gegenstand, wie er ist, oder
er malt ihn, wie er ihm erscheint!
Das heißt: Lntweder setzt er sich eine — körper-
liche oder geistige — Brille aus und vertiest sich in
den Gegenstand, um ihn mit wissenschastlicher Genauig-
keit darzustellen. Lr malt Alles das, was er erkennt,
wenn er sein Auge au das Gbjekt gewöhnt hat, wenn
er es in das günstigste Licht — d. h. in das sür das
Objekt günstigste Licht rückte. Gr giebt die Dinge
mit einer löblichen Achtung vor seder Linzelform
wieder. Das thaten die Heiligenmaler, that die Lrüh-
Renaissance mit Recht. Ihnen war es um jDersonen
zu thun, da der bVert des Ichs damals neu entdeckt
war, sie wollten daher das Ich steigern und bildeten
jede Linzelheit an den s)ersonen mit liebevoller Ver-
tiesung, so als sei auch die Linzelheit Zweck des
Bildes. Die folgenden Zeiten gaben dies bald auf.
Sie suchten das Bild zu einer Gesamterscheinung zu
machen, unterdrückten die Ginzelheit, die ihnen neben-
sächlich erschien, um das Hauptsächliche zur wirkuug
zu bringen. Die Bildnis-Maler des t 7. Zahrhunderts
wußten sich sogar nicht besser zu helfen, als dadurch,
daß sie dem Nebensächlichen sast ganz die Farbe
nahmen, um es Schwarz erscheinen zu lassen.
Das war unzweiselhaft ein Notbehelf. Die letzten
Naturalisten unter den holländischen Nlalern sahen
dies wohl ein und strebten, an Stelle der bequemen
Finsternis das Licht zu stellen.
Die Modernen nun haben sich die Aufgabe ge-
stellt, die Dinge zu malen, wie sie ihnen in der Natur
erscheinen. Aus diesem Gruude malen sie Bilder,
welche das Tageslicht darstellen sollen im Tageslicht.
Nicht aber um der wirkung oder um des Larben-
vortrags willen, sondern weil sie am Gegenstande
selbst prüfen wollen, wie viel von Zeichnung, von
Tonwechsel im Tageslicht an ihnen übria bleibt,
wenn man sie von einem bestimmten s)unkt aus be-
trachtet. Wer hat noch nicht einem Bekannten, der
ihm im grellen ^onnenlichte auf der L-traße entgegeu
kam, zugerufen: „Dreh Dich einmal herum und laß
Dich anschauen!" Die Nlodernen malen den nicht
Umgedrehten, weil sie es nicht für ihren bsauptzweck
halten, den Tinzelnen im besten Lichte zu schildern,
sondern vielmehr an ihm als einem Teile der Ge-
samterscheinung der Natur die wirkuug des Lichtes
darzustellen. Sie wollen nicht eine wissenschaftliche
Zllustration ihrer Objekte geben, diese dem Beschauer
so deutlich als möglich machen, sondern sie zeigen,
wie sie in der Natur und gerade in einer bestimmten
Umgebung unter aus der Darstellung sich ergebenden
Lichtverhältnissen dem unbefangenen Auge erscheineu.
Daher scheusn sie sich nicht, auch malerisch darzustellen,
daß man unter Umständen nicht jede Hosennaht sieht,
daß das Detail im Sonnenglanze, in dem Durchein-
anderströmen der Reslexe verschwindet, daß die Um-
rißlinien unklar und verschwommen werden. Die
wahre Lrscheinungssorm der Dinge zu sinden, darauf
ist ihr Naturstudium gerichtet. Ulir will scheinen,
als sei es schwieriger, wie das der Lalten- und Lält-
chenmaler! Nun klagen alle „Gewissenhasten" über
die „Schmiererei" der Zmpressionisten. wollten sie
doch vorher sich einmal in der Natur selbst umsehen!
Die schmiert ja gerade ebenso, die giebt ja auch nur
uuter besonders günstigen Umständen die Tinzelheiten
scharf wieder. Dieses „Schmieren" ist also das Lr-
gebnis ernsten Studiums, gewissenhafter Beobachtung,
dessen was man in der Natur sieht und was nicht.
Die alte Schule wird dem entgegenhalten, daß
solche Lichteindrücke eben unmalerisch seien. cho zeigt
sich wieder der tiefste Znhalt des chtreites zwischen
beiden Nichtungen: die alte glaubt sich über die Natur
erhaben, als Nichterin der Natur, von der sie nur
einzelue „schöue" Ukomente der Beachtung würdig
hält, die neue vertieft sich iu die Natur überall, fühlt
sich als ihre chchülerin, der das Recht nicht zusteht
dies zu loben, jenes zu tadeln und zu verwerfen, die
sich auch nach diesem Necht nicht sehnt, da sie stolz
ist, die Schönheit aller Orten zu erkennen und zu ge-
nießen.
Daß dies die Theologen noch nicht erkannt haben!
Die alte Nunst ist die des Nationalismus, die neue
die des Theismus! Zene ist die Nunst der Ueber-
hebung über die Schöpfung, diese die der Vertiefung
und der Dankbarkeit! <Ls ist kein Zufall, daß Uhde,
der gedankenreichste unter den Nlalern des „Lindrucks",
ein überzeugt religiöser Mann ist!
Lornelius Gurlitt.
Dicdtung.
Ikundsckuu.
» Unter der Aufschrift: Llteraturgescdicdte,
Lm Mort zu recbter Leit, schreibt Zulius
Niffert in Nr. 78 der wiss. Beil. der Lpz. Ztg.
folgendes: wir leben in einer Zeit. in der man sich
rühmt, auch auf literarischem Gebiet wieder Lühlung
mit dem Gange der Geschichte gewonnen zu haben,
und dennoch macht man die Trfahrung, daß gerade
diejenigen, die sich am lautesten auf diese Lühlung
berufen, am wenigsten von der Geschichte verstehen
und aus ihrem Laufe erstauulich wenig gelernt haben.
Unsere Literatur scheint seit einem Zahrhundert,
seit dem Beginne ihrer neuen Zeit, ab und zu von
krampfartigen Trschütterungen heimgesucht zu werdeu;
die Zeitpunkte, in denen das geschieht, liegen sogar
in ziemlich gleichen Abständen auseinander. wie in
einem gewissen Lebensalter s)erioden eintreten, in
denen man sich für fertig in der Lntwickelung, auf
der bsöhe derselbeu stehend hält und blasirt auf
alles hinter und vor sich Liegende herabblickt, so
greift solche Nenommisterei und solcher Dünkel auch
plötzlich in der Literatur um sich, und das Verlangen
entsteht, sich für den Anfang und die Spitze aller
Dinge zu halten. Diese jugendliche Großmannssucht
zieht ihre Nahrung aus verschiedenen Tlementen, die
aber alle, so sehr man auch auf sie pochen mag,
doch nicht das eigentlich Tharakteristische ausmachen,
sondern mehr äußerlicher Natur, vou der Zeit ange-
stogen sind: das Bezeichnende liegt eben in dem Be-
streben, reinen Tisch zu machen, in dem anarchistischen
Zerstörungstriebe. Vor hundert Zahren glaubte man
in Nousseau und Shakespeare, in der Nückkehr zur
Natur uud der Negellosigkeit das A und G aller
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Denn dies letzte kann zweierlei Art sein: Lntweder
der Aünstler malt einen Gegenstand, wie er ist, oder
er malt ihn, wie er ihm erscheint!
Das heißt: Lntweder setzt er sich eine — körper-
liche oder geistige — Brille aus und vertiest sich in
den Gegenstand, um ihn mit wissenschastlicher Genauig-
keit darzustellen. Lr malt Alles das, was er erkennt,
wenn er sein Auge au das Gbjekt gewöhnt hat, wenn
er es in das günstigste Licht — d. h. in das sür das
Objekt günstigste Licht rückte. Gr giebt die Dinge
mit einer löblichen Achtung vor seder Linzelform
wieder. Das thaten die Heiligenmaler, that die Lrüh-
Renaissance mit Recht. Ihnen war es um jDersonen
zu thun, da der bVert des Ichs damals neu entdeckt
war, sie wollten daher das Ich steigern und bildeten
jede Linzelheit an den s)ersonen mit liebevoller Ver-
tiesung, so als sei auch die Linzelheit Zweck des
Bildes. Die folgenden Zeiten gaben dies bald auf.
Sie suchten das Bild zu einer Gesamterscheinung zu
machen, unterdrückten die Ginzelheit, die ihnen neben-
sächlich erschien, um das Hauptsächliche zur wirkuug
zu bringen. Die Bildnis-Maler des t 7. Zahrhunderts
wußten sich sogar nicht besser zu helfen, als dadurch,
daß sie dem Nebensächlichen sast ganz die Farbe
nahmen, um es Schwarz erscheinen zu lassen.
Das war unzweiselhaft ein Notbehelf. Die letzten
Naturalisten unter den holländischen Nlalern sahen
dies wohl ein und strebten, an Stelle der bequemen
Finsternis das Licht zu stellen.
Die Modernen nun haben sich die Aufgabe ge-
stellt, die Dinge zu malen, wie sie ihnen in der Natur
erscheinen. Aus diesem Gruude malen sie Bilder,
welche das Tageslicht darstellen sollen im Tageslicht.
Nicht aber um der wirkung oder um des Larben-
vortrags willen, sondern weil sie am Gegenstande
selbst prüfen wollen, wie viel von Zeichnung, von
Tonwechsel im Tageslicht an ihnen übria bleibt,
wenn man sie von einem bestimmten s)unkt aus be-
trachtet. Wer hat noch nicht einem Bekannten, der
ihm im grellen ^onnenlichte auf der L-traße entgegeu
kam, zugerufen: „Dreh Dich einmal herum und laß
Dich anschauen!" Die Nlodernen malen den nicht
Umgedrehten, weil sie es nicht für ihren bsauptzweck
halten, den Tinzelnen im besten Lichte zu schildern,
sondern vielmehr an ihm als einem Teile der Ge-
samterscheinung der Natur die wirkuug des Lichtes
darzustellen. Sie wollen nicht eine wissenschaftliche
Zllustration ihrer Objekte geben, diese dem Beschauer
so deutlich als möglich machen, sondern sie zeigen,
wie sie in der Natur und gerade in einer bestimmten
Umgebung unter aus der Darstellung sich ergebenden
Lichtverhältnissen dem unbefangenen Auge erscheineu.
Daher scheusn sie sich nicht, auch malerisch darzustellen,
daß man unter Umständen nicht jede Hosennaht sieht,
daß das Detail im Sonnenglanze, in dem Durchein-
anderströmen der Reslexe verschwindet, daß die Um-
rißlinien unklar und verschwommen werden. Die
wahre Lrscheinungssorm der Dinge zu sinden, darauf
ist ihr Naturstudium gerichtet. Ulir will scheinen,
als sei es schwieriger, wie das der Lalten- und Lält-
chenmaler! Nun klagen alle „Gewissenhasten" über
die „Schmiererei" der Zmpressionisten. wollten sie
doch vorher sich einmal in der Natur selbst umsehen!
Die schmiert ja gerade ebenso, die giebt ja auch nur
uuter besonders günstigen Umständen die Tinzelheiten
scharf wieder. Dieses „Schmieren" ist also das Lr-
gebnis ernsten Studiums, gewissenhafter Beobachtung,
dessen was man in der Natur sieht und was nicht.
Die alte Schule wird dem entgegenhalten, daß
solche Lichteindrücke eben unmalerisch seien. cho zeigt
sich wieder der tiefste Znhalt des chtreites zwischen
beiden Nichtungen: die alte glaubt sich über die Natur
erhaben, als Nichterin der Natur, von der sie nur
einzelue „schöue" Ukomente der Beachtung würdig
hält, die neue vertieft sich iu die Natur überall, fühlt
sich als ihre chchülerin, der das Recht nicht zusteht
dies zu loben, jenes zu tadeln und zu verwerfen, die
sich auch nach diesem Necht nicht sehnt, da sie stolz
ist, die Schönheit aller Orten zu erkennen und zu ge-
nießen.
Daß dies die Theologen noch nicht erkannt haben!
Die alte Nunst ist die des Nationalismus, die neue
die des Theismus! Zene ist die Nunst der Ueber-
hebung über die Schöpfung, diese die der Vertiefung
und der Dankbarkeit! <Ls ist kein Zufall, daß Uhde,
der gedankenreichste unter den Nlalern des „Lindrucks",
ein überzeugt religiöser Mann ist!
Lornelius Gurlitt.
Dicdtung.
Ikundsckuu.
» Unter der Aufschrift: Llteraturgescdicdte,
Lm Mort zu recbter Leit, schreibt Zulius
Niffert in Nr. 78 der wiss. Beil. der Lpz. Ztg.
folgendes: wir leben in einer Zeit. in der man sich
rühmt, auch auf literarischem Gebiet wieder Lühlung
mit dem Gange der Geschichte gewonnen zu haben,
und dennoch macht man die Trfahrung, daß gerade
diejenigen, die sich am lautesten auf diese Lühlung
berufen, am wenigsten von der Geschichte verstehen
und aus ihrem Laufe erstauulich wenig gelernt haben.
Unsere Literatur scheint seit einem Zahrhundert,
seit dem Beginne ihrer neuen Zeit, ab und zu von
krampfartigen Trschütterungen heimgesucht zu werdeu;
die Zeitpunkte, in denen das geschieht, liegen sogar
in ziemlich gleichen Abständen auseinander. wie in
einem gewissen Lebensalter s)erioden eintreten, in
denen man sich für fertig in der Lntwickelung, auf
der bsöhe derselbeu stehend hält und blasirt auf
alles hinter und vor sich Liegende herabblickt, so
greift solche Nenommisterei und solcher Dünkel auch
plötzlich in der Literatur um sich, und das Verlangen
entsteht, sich für den Anfang und die Spitze aller
Dinge zu halten. Diese jugendliche Großmannssucht
zieht ihre Nahrung aus verschiedenen Tlementen, die
aber alle, so sehr man auch auf sie pochen mag,
doch nicht das eigentlich Tharakteristische ausmachen,
sondern mehr äußerlicher Natur, vou der Zeit ange-
stogen sind: das Bezeichnende liegt eben in dem Be-
streben, reinen Tisch zu machen, in dem anarchistischen
Zerstörungstriebe. Vor hundert Zahren glaubte man
in Nousseau und Shakespeare, in der Nückkehr zur
Natur uud der Negellosigkeit das A und G aller
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