gleichgiltig zu schimmern, sondern geheimnisvoll die
welt zu beeinflussen scheint.
Zch wies schon darauf hin, daß sich bei einer
großen Menge von Leuten schier unbeachtet ein seltsam
salscher Begriff von Lchrik herangebildet hat, indem
man hier nur an Zartes, Äißes, Weiches, Schwär-
merisches, weibliches zu denken sich gewöhnte. F-o
hat sich anch mit dem Morte „Atimmung" bei sehr
vielen ein entsprechender Begriff allmählich verbunden.
Man pflegt dabei zunächst an Aiondschein mit Llöten-
spiel und andere Dinge zu denken, von denen man
„als vernünftiger TNann" nicht viel hält. Man ver-
gißt, daß auch der Aampf der Waffen nnd der
Rampf der Geister, daß das Ringen mit dem Leben
und mit den Gedanken so gut wie das Begegnen
liebender Seelen, daß der Maschinenlärm der Groß-
stadt und das flffeifen der Lisenbahn so gnt wie das
Flüstern der Fsalme iin Nied oder das Singen der
Nachtigall eigene, iinmer nnr ihnen eigene Stimmungen
in uns erzeugen, die doch wieder andere sind, je
nach unserer s?ersönlichkeit. Blan vergißt, daß alle
diese Stimmungen nichts so sesthalten kann, wie die
Lyrik. Man vergißt, daß also eine nngeheure Snmine
von Seelenbethätignngen unsestgehalten bliebe, hätten
wir keine Lyrik. Und nran vergißt, daß die wichtig-
keit, daß sie sestgehalten werden, sür nnser Lmpsin-
dnngsleben nach dieser Nichtung so groß ist, wie sür
die Wissenschast die Niederschrist ihrer Grrnngen-
schasten zum Ansgange sür weitere Fortschritte.
Nicht'die Lyriker sind daran 5chnld, daß sich die
Gunst des L^lkes von ihnen gewandt hat. Ls hat
unter ihnen stets harte, rauhe, krastoolle Gestalten
gegeben, wie zarte oder verzärtelte, — genau so
wie unter den Megern einer jeden Nnnst. Nicht
zu leugnen aber ist es, daß die weichen, zarten, sen-
timentalen Leute unter den Lyrikern nnd denen, die
für Lyriker gehalten werden, großgezogen worden
sind auf Unkosten der krästigeren — so daß man
nun nach den erstern allein seine Begriffe von Lyrik bildet.
Und weshalb kam es so?
Ganz einsach deshalb, weil der moderne Uiensch
so selten „Zeit" zu oerweilendem Betrachten hat — was
doch der Lyrik Ansang nnd Gnde ist. Die Fran
hatte noch eher „Zeit" als der Uiann, und der Baek-
fisch noch eher als die Frau — deshalb züchtete sich
in Deutschland schließlich der Backfisch seine Sorte
Tdeater. U N
von Lchrik zur verbreitetsten Lyrik herans. Hatte nun
einmal ansnahmsweise ein Mann die „Zeit", einen
Bliek in diese Lyrik zu wersen, so ward er zn näherer
Beschästignng mit ihr natürlich nicht ermnntert.
Und dann vergesse man noch Eines nicht.
Ästhetische Bildung, d. h. Aufnahmefähigkeit sür Runst
ist an nnd sür sich in Zahrzehnten nicht hänfig, die
— es ist ja auch in diesen Blättern eingehend daoon
die Nede gewesen — zur Ausbildnng der phantasie
so gnt wie garnichts thun. Der untrüglichste Grad-
messer aber für die ästhetische Bildung eines Menschen
ist sein vsrhältnis zum Gedicht. Uian prüse einmal
die Nnnde seiner Bekannten und srage sich, wie vielen
man zutraute, daß sie bei der „Braut von Uorinth"
ein Behagen auch nur annähernd dein gleich em-
psänden, wie immerhin noch an einem Uilarmorwerk,
einem Bild, einer Gper, einem S-chanspiel oder gar
einem Dnrchschnittsroman. Alle jene werke enthalten
ja viel mehr Stoffliches, als die Lyrik sdie mnsikali-
schen nicht ausgenommen, die stofflich sind durch die
elementare Natnr des Tons), und sie vermögen darum
selbst einem ästhetisch völlig ungebildeten Geist noch
immer etwas zn bieten, das ihn beschäftigt. Das
eigentlich Uünstlerische in ihnen (es ist hier davon
vor etwa einem Zahre gesprochen worden, Uw. 1,20)
wird er sreilich nicht begreifen, aber er wird das
Znteresse am Stofflichen für die Frende am Uunst-
werk halten. Gerade die gute, die echte Lyrik
hingegen giebt so gut wie nichts Fertiges. Denn
wir können wohl die äußere Grscheinung eines
Ukenschen, einer Landschaft usw. unmittelbar nach-
bilden, wir können die Nenntnis von allerlei interessanten
Lreignissen ohne weiteres dnrch unser Lrzählen
vermitteln, wir können dnrch sinnlichen wohlklang
nnmittelbar Lnst erweeken — aber eine Stimmung
(also schon den ^toss der Lyrik) können wir nur
mittelbar, nnr dadurch mitteilen, daß wir dem ksörer
das geben, was sie in nns anregte. So verlangt
die Lyrik, daß der Genießende nahezu Alles erst in
sich nachschaffen, erst in sich ausbauen mnß. Nann
er das nicht, so bleibt ihm das Neich der Lyrik mit
zwälf Niegsln verschlossen. Nann er es, so ist
sreilich eben wegen der Ganzheit dieses Nachschaffens
der Gennß um so mächtiger, und vor allem: um so
inniger. Denn der rechte Genuß des echten lyrischen
Gedichts ist der Sonntag des Gemüts. A. Lcin.
cbnu.
* D,e Derkallscbeit Mwnenrewrm - ver-
SUel)e find nun in U'lünchen, zunächst durch eine
Aufführung des „Nönigs Lear", in lebendige Lrschei-
nung getreten. Die ihnen zu Grunde liegenden Ge-
danken sind auch im „Sprechsaal" unseres Blattes,
das zur Bekämpfung des Ansstattungslnxus und der
Uberschätzung des theatralischen Beiwerks schon srüher
manchen Beitrag gebracht hatte, behandelt worden,
wenn anch von in der Hauptsache gegnerischer Seite.
Gegner wie Freunde werden nach der Lear-Anfführung
dem Zntendanten j)ersall einen großen, und, wenn
wir den Nritikern vertrauen dürfen, auch einen nicht
nur sür den Tag gültigen Trsolg nicht abstreiten
^ dürfen. Der Tharakter der j?arteilosigkeit unseres
sl-—--
Blattes ersordert, daß wir jetzt, wo wir es vermögen,
anch zustimmende Urteile, die nnn gleichzeitig Berichte
sind, wiedergeben.
bsören wir unsern Utttarbeiter Ludwig Hart-
mann (N. D. T. tö-t). „Reineswegs hat LUünchen
die Nüekkehr zur alten Shakespeare-Bühne versncht,
sondern man bot einen Uompromiß zwischen der
Fchakespeare- und der modernen Bühne. Und das
hat sich wirklich bewährt.
U)enn Lserr v. Persall behanpten wollte, er habe
den Luxns über Bord geworsen, so würde man lächeln
müssen. Tr hat ihn nur an eine andere Stelle ge-
rüekt. Der Gbermaschinenmeister Lautenschläger wird
nicht brodlos. Die Nenidee selbst aber ist in den
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