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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 11
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Riffert, Julius: Berliner Literatur oder Deutsche Literatur?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0167

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u. Stück.

Lrscbeint

im ersten »nd drilten Viertel

Derrmsgebcr:

zferdiimnd Nveimrius.

Lestellpreis:

Vierteljährlich 21/2 Mnrk. ^

Kerliner Literntnr odcr Dentscbe Literntur?

s klingt im ersten Augenblicke widersinnig,
wenn man den Satz ausspricht: Der Lerliner
- d. h. der Dnrchschnitts-Berliner — sei
chin Rleinstädter; aber wer den verhältnissen
der Reichshauptstadt auf den Grund schaut wird die
wahrheit dieses Ausspruchs eiusehen. Gin Rlein-
städter hat das Ligentümliche an sich, daß es ihm
nicht gelingt, über das weichbild seines wohnsitzes
hinauszublicken, zu begreisen, daß draußeu auch uoch
Ltwas vorhaudeu ist, was sich welt ueuut; er ver-
wechselt fortwährend den Alikrokosmus seiner vier
wände mit dem Makrokosmus außerhalb und glaubt,
daß dieser sich mit senem deckt. Der Berliner —
iu seiuer Alasse — ist solch ein Rleinstädter, trotz des
Lharakters seines wohnortes als welt- und Aullion-
stadt uud Alittelpuukt des deutschen Neiches: Beweis
dafür sind, um uur ein. Beispiel anzusühren, seine
politischeu Ansichten. während sich im ganzen Deutsch-
laud, auch im Deutschtum außerhalb der Grenzeu des
Neiches, der Blick für die großeu Aufgabeu der Nation,
die sich nicht nur auf Guropa, soudern auch auf
andre Grdteile erstrecken, öffnet, und ein freudiger
Optimismus, wie ihn das Bewußtsein des Aufwärts-
steigens und Fortschreitens erzeugt, die Gemüter er-
greift, sind dem Alltags-Berliner die großen Linien
des aufstrebenden Neichsgebäudes völlig unfaßbare
Dinge. Lr sieht nur Das, was au deu Bausteinen
etwa der Abhülfe bedürftig ist und glaubt im Übrigen
immer uoch vor dreißig oder vierzig Iahren zu lebeu.
Auch was andere Lortschritte und Grrungenschaften
der Nation, z. B. den Rampf gegen die Fremdwörter
anbelangt, so kann man sagen, daß Das, was er-
rungen worden ist, im Allgemeinen ohne oder gegen
Berlin errungen worden ist. Dessen Anteil daran
beschränkte sich zumeist auf mangelndes Verständnis
oder auf schlechte witze.

Auch auf literarischem Gebiet tritt diese Rlein-
städterei neuerdings zu Tage. Zu dem politischeu
Lebeu der Neichshauptstadt ist das literarische iusoferu
iu eiue gewisse s)arallele zu stellen, als, wie jenes,
so auch dieses im weseutlicheu aus sogenaunten
„Ningen" zur wahrung gemeinsamen Dorteils besteht.
Diese Ninge sind teils älteren, teils neueren Ursprungs
und unterscheiden sich von einander fast nur durch
sDersoneu uud Znteressen, weniger durch den tieferen
Gehalt und die sittliche Lsöhe der Bestrebungen. Der
Lärm und die Gehässigkeit des Tons wie er von einem
Teile der dieser oder jener Nichtung dienenden j^resse
angeschlageu wird, ist vielmehr gerade wieder geeignet,
den vergleich mit den politischen Zuständen nahe zu
legen. <Ls sind Aliquen, wie das häßliche Fremdwort
lautet, welche im literarischen Berlin herrschen, mit
all deu uuangenehmeu und verwerflichen Tigenschaften
solcher, um wiederum einen Ausdruck zu gebrauchen,
der unserer einheimischen Sprache nicht entsprossen ist:
Aoterien, dem gegenseitigen bsäudewaschen, dem Grund-
satze: Zch gebe, daß Du wieder gebest, der Absicht
des Lobhudelus der Freunde, der Unterdrückung und
des Totschweigens aller Derjenigen, die nicht ihre
Leute sind. Das Alter sieht zu, wie es den Rranz
seines Nuhmes sich frisch erhalte, und die Anfänger-
fchaft strebt darnach, sich ein papiernes Gebäude der
Unsterblichkeit aufzurichten. Zn diesen Ningen erschöpft
sich, wenu man von einigen sich fern haltenden vor-
nehmen Trscheinungeu absieht, die aber gerade des-
halb nicht ius Gewicht fallen können, so ziemlich das
gesamte literarische Leben Berlins: es ist ein Uampf,
bei dem sich die greisenhafte Abgelebtheit und die
jugendliche Unreife in deu Lsaareu liegen.

Bisher hat nuu Zedermann, der fern und auf
einer höhern Warte als der partei steht, diese Uatz-
balgerei für nichts Anderes gehalten, als für einen


uber alle Nebiele^eKMcbönerr.

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