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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 5/6
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Houben, Heinrich Hubert: Bilderzensur im Vormärz: Fragmente aus einer Geschichte der Zensur
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0089

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BILDERZENSUR IM VORMÄRZ

Die Mißverftändniffe diefer Art fcheinen pch noch mehrfach wiederholt und befonders
gehäuft zu haben, als die Karikatur fich auch in Deutfdiland breiter zu entwickeln
begann und entfprechend der |GeftaItung des öffentlichen Lebens politifdie Pointen bevor-
zugte. Zeichnungen allein waren nach dem Gefelj durchaus zenfurfrei, nicht aber die
Unterfchriften, ein Widerpnn, der allerdings zu behördlichen Übergriffen herausforderte.

Diefen Streitigkeiten verdankte Preußen die fogenannte „Karikaturenfreiheit“, eine
vormärzliche Errungenfchaft, die aber im Grunde nichts weiter als die Beftätigung eines
gefetjlichen Zuftandes war. Anfang 1842 hatte der neue König Friedrich Wilhelm IV.
längere Zeit in der Heimat der Karikatur, in England, geweilt, und da er felbft ein
williger Kopf und von der Neigung zur Schadenfreude nicht frei war, befchloß er
feinen Untertanen die Freiheit der Zerrbilder als Reifegefchenk mitzubringen. Am
28. Mai 1842 verkündete ein Minifterialrefkript, daß die Präventivzenfur bildlicher Dar-
ftellungen, die alfo offenbar doch hin und wieder willkürlich geübt wurde, der gefelj-
lichen Grundlage entbehre, und wies die Polizeibehörden an, fich bei Verfolgung ftraf-
barer Bilder auf die gefeßlichen Strafmaßregeln zu befchränken.

Großes Erftaunen allerfeits! War das der Anbruch eines neuen Zeitalters? Die
Polizei nahm ihre Willkürakte feierlich zurück — das erfchien den geduldigen Unter-
tanen als der Höhepunkt der Freiheit. Die Schriftfteller zwar murrteil über diefe Be-
vorzugung der bildenden Kunft. Karl Gutjkow prägte das hübfche Wort, die Karikatur
fei der Humor der Preßfreiheit; lefetere zu verweigern und dem erfteren freipn Spiel-
raum zu laffen, fei denn doch mehr als wunderlich!

Die Hauptüberrafchung aber kam noch. Die Künftler, deren mephiftophelifche Laune
bei der allgemeinen Unzufriedenheit und den mancherlei Extratouren des preußifchen
Königs auch nicht gerade an Galle verloren hatte, nüt}ten die neue Freiheit wacker
aus. Im Dezember 1842 hatte der Dichter Georg Herwegh feine berühmte Audienz
bei Friedrich Wilhelm IV., in der diefer feine Vorliebe für eine „gefinnungsvolle Oppo-
fition“ verpcherte und dem Demokraten einen „Tag von Damaskus“ prophezeite. Her-
wegh war kaum aus Berlin fort, als ein neues Buch von ihm, noch ehe es erfchienen
war, von der preußifchen Zenfurbehörde verboten wurde. Er fchrieb nun einen etwas
dreiften Brief an den Romantiker auf dem Throne Preußens; durch die Indiskretion
eines Freundes kam diefe Epiftel an die Öffentlichkeit, der König war außer fich, und
Herwegh wurde nachdrücklich anheim gegeben, pch ja nicht wieder in Preußen erwifchen
zu laffen — eine Verfügung, die zu den theatralifchen Worten des Königs wie die
Fauft aufs Auge paßte. Die Karikaturiften jubelten: folch einen dankbaren Stoff hatte
ihnen der preußifche Himmel lange nicht befchert. Natürlich mußte der König felbft
dabei tüchtig Federn laffen. Das ging ihm aber über den Spaß, und am 1. Februar 1843
wurde durch eine zweite Minifterialverfügung der alte für ungefeßlich erklärte Zuftand
wieder eingeführt! Zur felben Zeit ftellte im amtlichen Auftrag ein preußifcher Ge-
heimrat Heffe ein noch heute brauchbares Büchlein über die preußifche Preßgefefegebung
zufammen, worin er auch auf die Karikaturenfreiheit zu fprechen kam. Er hatte auch
nicht viel dafür übrig, aber, meinte er, über ihre Zweckmäßigkeit zu ftreiten ift unnüj},
da einmal feftfteht, daß die Bilderzenfur in Preußen jeder gefetjlichen Grundlage ent-
behrt. „Die Aufhebung mußte deshalb erfolgen, wenn man nicht eine ganz ungefetj-
liche präventive Befchränkung des Verkehrs mit Bildern gutheißen wollte.“ Diefes
halbamtliche Diktum war noch nicht erfchienen, als man ungeachtet der Ungefejjlichkeit
die Bilderzenfur von obenher durch die Verfügung vom 1. Februar wieder zur Regel
machte! Diefes Gefetjesmonftrum blieb bis 1848 am Leben.

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