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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 5/6
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Sydow, Eckart von: Karl Schmidt-Rottluff
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0097

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KARL SCHMIDT-ROTTLUFF

wendet [ich 1909* 1 und 1910 zum
Exprefßonismus und gipfelt neuer-
dings in Blättern von großer Mo-
numentalität. Man mag diefen Um-
fdiwung fchon technisch geäußert
ßnden im Verhältnis der Verwen-
dung von Holzfdinitt und Stein-
druck: diefer ift anfangs bevor-
zugt, jener überwiegt von 1910
an und wird in den fpäteren Jahren
ausfchließlich benutjt. Zu größerer
Stärke und Bewegtheit drängt das
Schaffen kurz vor Ausbruch des
Krieges. Nun entftehen Blätter voll
Gewalt und — oftmals — Gewalt-
tätigkeit2. Die Linien regen [ich
heftig, verlaßen die früher beliebte
ruhigere Steilheit und Horizontali-
tät, werden reiner Ausdruck des
„pfychifchen Vitualismus“. Ausge-
zeichnete Schnitte folgen rafch
einander: fo ein herrlicher Tan-
nenwald mit riefengroßen Stäm-
men und Äften, ein weiblicher
Kopf mit großen, kraftausftrah-
lenden Augen, zwei Mädchen mit
erhobenen Armen vor einem Sonnenaufgang am Meere, vor allem eine fchwermuts-
voll blickende Frau vor einem Tifch: „Melancholie“; alles Blätter voll intenfivfter Linien-
fprache und vertieftem Innenleben, weit entfernt von bloßer Dekorativität. Der Winter
1914/15 bringt große Köpfe in ftarker Monumentalität, die noch die Ausdruckskraft
jenes (in der „Aktion“ abgedruckten) weiblichen Gefichtes zu höherer Wirkfamkeit
fteigern, — eine Steigerung, die in fpäteren Jahren überboten wird durch Porträte
und Geftalten.

In der Malerei und Graphik find es die leßten Jahre gewefen, die uns das gebracht
haben, was wir als eben Schmidt-Rottluffhaft empfinden: eine reichbewegte Rhythmik,
die ungefeffelt von akademifcher Kompofition durch das Bild hindurchbrauft, in das
Einfach-Monumentale der Linien und Flächen [ich emporhebend, als Ausdruck eines
rein poptiven Weltgefühles, das keine äußerlichen Schranken feiner felbftherrlichen Ge-
walt anerkennt. Ganz einfache Stellungen und Haltungen werden zu Trägern erreg-
tefter Linearität, die gerade durch diefe Gegenfätpichkeit zur Objektivität eine fehr
kräftige Refonanz gewinnt. Die Maffenfzenen fehlen, nur ein oder zwei oder höch-
ftens drei Figuren [teilen [ich aufeinander ein, in einer gleichartig vereinfachten Land-
fchaft oder fonftigen Umgebung. In kraftvollfter Energie des kunfthaften Ausdrucks
wachfen die Menfdien und Dinge zu äußerer Großheit und heroifcher Befeeltheit

1 Aus diefem Jahre eine „Brüdce'-Mappe mit 2 Lithographien und 1 Radierung.

1 Vgl. das Sonderheft der „Aktion“ vom 20./II1. 1915.

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Abb. 5. Sdimidt-Rottluff: „Porträt“ R. S. (1915).
 
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