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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

DOI issue:
Heft 13/14
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Lüthgen, Eugen: Die Sammlung Leo Kirch in Cöln, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0220

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DIE SAMMLUNG LEO KIRCH IN COLN

verwerten trachtete. So hat er in der Wahl feiner kompofitorifchen Motive auf Till-
mann Riemenfehneider zurückgegriffen; gleichzeitig mögen ihm Anregungen aus der
cölnifchen Kunft zugeftrömt fein, und als Wefentlichftes pütpe er fidi auf die fidlere
Überlieferung der eigentlich mittelrheinifchen Art. — Für diefes letjtere fpricht vor-
nehmlich die faft derbe Feftigkeit der Form, die gehaltvolle Gefchloffenheit der Maffe,
die finnlich kräftige Rundung des Körpers. Die gefunde Natürlichkeit des Gefühles
aber wird getragen von einer Formanfchauung, die felbft das Schwere in Anmut zu
wandeln vermag, wird beherrfcht von einem ficheren Empfinden, durch das bewegliche
Spiel von Licht und Schatten, alfo durch malerifche Darftellungsmittel, das Maffige des
Körperhaften in viele reichabgeftufte Einzelmotive aufzulöfen. Das bewirkt die charakte-
riftifche Reichhaltigkeit im Formaufbau diefer Geftalt.

Daß der Wirklidikeitsfinn des 15. Jahrhunderts fidi voll entfaltet hat, beweift der
ficher durchmodellierte Körper. Nur angedeutet ift die S-förmige Schwingung des
Körpers, der, im wefentlichen in feinem Organismus verbanden, in gleitender Schreit-
bewegung das linke Bein durch das Gewand hindurchwirken läßt. In zarter Schwel-
lung zeichnen fidi die runden Schultern, die fein modellierte Bruft durch den weichen
Stoff des Untergewandes. Arm und Leib, bis zu den Knien abwärts, find von reich-
ten Faltenzügen überdeckt, aber nicht einfach als eine gefonderte, für pch wirkende
Maffe voll malerifchen Lebens, fondern fie find fowohl nach oben mit den weichen
Maffen des fchön gelockten Haares, wie auch nach unten mit den den Boden deckenden
Gewandfäumen gefchickt verbunden. Und gerade in der Art, wie hier die Einheit des
kompofitorifchen Aufbaues erreicht werden follte, ein zweifellofes Verdienft diefes
Meifters, zeigt fich, mit welchem Gefchick er fremde Anregungen zu eigenen Form-
gedanken wandelte.

So ift die Art, wie das Kopftuch in feinfinniger, dekorativer Weife auf dem weichen,*
fchwellenden Haupthaar Marias auf liegt, und wie das Tuch, fich der Schulter anfehmie-
gend, pch um den rechten Unterarm Marias fchlingt, völlig verwandt der fpäten Rie-
menfehneider-Madonna aus Stein (um 1510) im Staedelfchen Kunftinftitut in Frank-
furt a. M. Gleichzeitig auch verwandt der fchönheitsvoll bewegten Madonna des
Mainzer Domes. Möglich, daß diefes Motiv des Künftlers eigene Erpndung ift und
daß durch diefen Meifter die Bevorzugung des Motives in der Mainzer Kunft bewirkt
wurde. Möglich auch, daß Riemenfehneider, als der Schöpferifchften einer, diefe male-
rifche Behandlung des Kopftuches als erfter erfand. Wahrfcheinlich ift, daß infolge
der Neigung zu allen malerifchen, die feften Körperformen auflöfenden Motiven ähnliche
Formfragen allenthalben gepeilt waren und daß von verfdiiedenen Seiten aus gleich-
zeitig ihre Löfung herbeigeführt wurde. Zweifellos ift es bedeutungsvoll, daß im
Kreife der Mainzer Kunft diefe Form entftanden zu fein fcheint. Denn es hat faft den
Anfchein, als fei diefe Madonna eine der früheften und damit entwicklungsgefchichtlich
widitigften, in denen auf die reife Kunft Riemenfehneiders hingewiefen wird. Auch die
technifche Behandlung des Holzes wie die Sicherheit der Kompofition, in der die malerifche
Gelöftheit des fpätgotifchen Stiles mit einem feinen Sinn für Maß und Ordnung pch verbrü-
dert, weift darauf hin, daß hier in Mainz für Riemenfehneider ein günftiger Ausgangs-
punkt feines Schaffens gegeben war. Wie das Kopftuch zufammen mit dem Mantel
feine unruhvolle Bewegung nach unten fortfetp, um in der Geftalt des fchwebenden
Engels feinen Abfchluß zu pnden, zeugt von der gleichen Kraft der kompoßtorifchen
Anlage. Ob hier in der Einfügung des Engels, der die Abwärtsbewegung in einem
Aufwärtsftreben in dramatifchem Gegenfpiel der Kräfte auffängt, eine cölnifche Er-

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