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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 10.1918

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Heft 15/16
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Biermann, Georg: Die deutsche Kunst in der Zukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.24428#0272

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DIE DEUTSCHE KUNST IN DER ZUKUNFT

haben das Publikum bequem und jeder ftarken
Leiftung des Einzelnen gegenüber ftumpf ge-
macht. Sie waren die Stoßen des — fozial ge-
brochenen — künftlerifchen „Mittelftandes“, der
überall — nur nicht auf dem Gebiete der Kunft
gebieten darf. Äls Julius II., jener troßige und
fanatifche Rovere einen Michelangelo nach Rom
zog, da lud er fich einen wilden, verbitterten
und ungebärdigen Gesellen ins Haus, von dem
er nichts anderes verlangte als die Gaben feines
Genies. Er forderte von ihm die höchfte Kraft-
anfpannung zur Verherrlichung feiner Zeit, zur
Verdeutlichung jener chriftlich erhabenen Ge-
danken, die das einigende Band einer einheit-
lichen Weltanfchauung waren. Er brauchte den
Künftler als Mittler des Göttlichen zum Menfch-
lichen hin. Er wollte nicht'Michelangelo, er
wollte nur die gebärende Kraft des Genies, um
fein Wollen im Geiftigen, aber auch im macht-
politifchen Sinne nach außen zu unterftreichen.
Michelangelo war Diener einer machtvollen Idee
und hat fich ihr, ganz im Gleichklang mit der
fozialen Stellung und den Aufgaben des Künftlers
feiner Zeit, willig untergeordnet. Julius II. würde
diefes Genie zertrümmert haben, wenn es anders
gewollt hätte. Aber der Blick mag noch einen
Schritt weiter nach rückwärts in die Vergangen-
heit hinabtauchen. Wir fehen das Mittelalter
vor uns, diefen höchften Ausdruck einer welt-
umfpannenden harmonifchen Kultur, der je einem
Zeitalter befchieden gewefen ift. Wer kennt
die Namen derer, die damals die Dome bauten,
die Altäre meißelten, die Gottesbilder malten?
Durch Zufall find einige der Namen auf uns
gekommen, nur durch Zufall, und es ift nicht
etwa mangelnder Ehrfurcht der Zeitgenoffen von
damals zuzufchreiben, daß die Mehrzahl der
Schaffenden vergeffen wurde. Denn die Namen
der Geifteshelden, der Gelehrten und Dichter
ßnd uns überliefert, und feiner Leiftung nach hätte
ficher auch der Künftler ein gleiches Anrecht auf
Unfterblichkeit befeffen. Diefe auffallende Tat-
fache findet einzig und allein ihre Erklärung in
der fozial anders gearteten Stellung der beiden
Berufsklaffen. Der Künftler fchuf anonym, als
Diener einer höheren Idee, einer gewaltigen
Aufgabe, die der Geift der Zeit erfand. Man
forderte vom Menfchen nichts, von feinem
Können alles, fogar den Verzicht auf das Recht
feiner Perfönlidikeit. Auch rein ftaatlich ge-
fehen, blieb der Künftler immer nur derReprä-
jentant feines Handwerks, aus dem die große
Kunft um fo fkherer hervorwuchs, je weniger
der Meifter in feinem Schaffen durch Ehrgeiz
perfönlicher Art geftört wurde. Um mit einem
Saß den Gegenfaß zwifchen damals und heute
in diefem Punkte anzudeuten: Der Künftler der

Vergangenheit war ein Glied des gefamten ge-
fellfchaftlichen Aufbaues des Staates; der Künftler
der Gegenwart bildet in der Hauptfache eine
Kafte für fich, die außerhalb der fozialen Ent-
wicklung fteht. Er leifiet weniger, verlangt aber
um so mehr vom Staate, der ihn durch feine
Gefellfchaft ernähren muß. Er hält fich für be-
rufen, von feinen Zeitgenoffen Anerkennung zu
fordern und dank feinem Künftlertum für be-
rechtigt, Wegweifer unferer Kultur zu fein.
Darin aber liegt eben der fundamentale Irrtum
verborgen: Der einzelne Künftler — mögen feine
Leitungen auch noch fo hoch ftehen — ift nie-
mals Träger einer Volkskultur, kann es niemals
fein, wenn er fich für feinen Teil nicht dem
Geifte feiner Zeit unterordnet. Erft durch diefe
Einfügung im Sozialen, erft durch die Unter-
ordnung unter die Staatsidee kann er dank
feiner genialen Begabung Schrittmacher und
Wegweifer feiner Zeit werden. Das Ideal von
der fogenannten „Künftlerboheme“ gehört einer
toten, einer minderwertigen Zeit an und das
Schaffen der vielen, künftlich von Akademien
geborenen Mitläufer einer Kunftbewegung be-
hindert mehr die kulturelle Aufwärtsentwicklung,
als daß es ihr irgendwelchen nennenswerten
Nußen bringen könnte. Das ift eine durch die
Gefchidite erwiefene Wahrheit, der wir uns im
Sinne unferer Zukunft nicht mehr verfchließen
dürfen. Stehen aber die hier umfchriebenen
Tatfachen erft einmal feft, dann muß auch der
Weg zur Befferung gefunden werden.

Doch, um noch ein Beifpiel zu nennen, das
uns allen klar vor Augen fteht: Es ift kein Zu-
fall, daß die deutfche Erneuerung um die leßte
Jahrhundertwende zuerft auf dem Gebiet der
Architektur und der angewandten Kunft ange-
feßt hat und hier bereits zu fehr beachtenswerten
Leiftungen gekommen ift. Die Baukunft und das
Handwerk (denn angewandte Kunft ift und foll
im leßten nichts anderes als das vollkommenfte
Handwerk fein) berühren fich im Sozialen am
nächften mit den Zielen und den Erkenntniffen,
in dritter Linie auch mit den Bedürfniffen ihrer
Zeit und Architekt wie Handwerker müffen in
ihrem Können den eigenen, höchft gefährlichen
perfönlichen Ehrgeiz hinter der Aufgabe felbft
zurücktreten laffen.

Baukunft und Handwerk aber werden auch in
der nahen Zukunft die Pole fein, an die nicht
nur unfere Hoffnung auf Erneuerung, fondern
auch die pofitive Arbeit zunädift anzuknüpfen
haben.

Wie aber den Weg zur Befferung und Ge-
fundung finden, zur Befreiung aus Zuftänden,
die zum Teil durch eine Jahrhunderte alte Über-
lieferung geworden find — obwohl fie nicht

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