RUNDSCHAU
Sammlungen
FRESKEN-RESTAURATIONEN
IM VATIKAN
Seit dem Tode des vortrefflichen Lud-
wig Seitz, der sich mit der Wiederherstel-
lung von Pinturicchios Malereien im Ap-
partamento Borgia um die Erhaltung der
Kunstschätze unvergängliche Verdienste
erworben hat, blieb der Posten eines Di-
rektors der päpstlichen Gemäldesammlun-
gen unbesetzt. Erst Pius XI. — dieser
Papst, der für die Gelehrten das bedeutet,
was Julius II. für die Künstler war — hat
den Maler Biagetti auf diesen verantwor-
tungsvollen Platz berufen, der wie Seitz
in der Freskotechnik völlig zu Hause ist
und darum auch alle Möglichkeiten be-
herrscht, die großen Freskenzyklen im Va-
tikan vor Zerstörung zu bewahren. Denn
von allen Problemen, mit denen sich die
Konservatoren der vatikanischen Samm-
lungen zu beschäftigen haben, verursacht
die Erhaltung der Fresken in der Sixtina
und in den Stanzen und in allen andern
Kapellen und Sälen des unermeßlichen Pa-
lastes das meiste Kopfzerbrechen.
Und wie schwer ist es, gerade hier die
geeigneten Kräfte zu finden! Welche Er-
fahrung, welche Geduld, welche Gewissen-
haftigkeit gehört allein dazu, Stück für
Stück an den Wänden abzuklopfen und die
Schäden festzustellen, solange sie noch be-
seitigt werden können.
Zur Zeit ist es eigentlich nur ein einzi-
ger alter Mann mit dem deutschen Namen
Mandel und mit der Geduld des Italieners,
dem Biagetti die Sicherung besonders be-
drohter Freskenteile anzuvertrauen wagt.
Mandel arbeitete im vergangenen Winter
an den Papstporträts in der sixtinischen
Kapelle und den Lünettenbildern Michel-
angelos, ohne einen Pinsel anzuwenden.
Aber er mußte seine Arbeit abbrechen, weil
einige Fresken in den Stanzen und vor
allem die Fresken des Fra Angelico in der
Kapelle Nikolaus V. seiner kundigen Hand
aufs dringendste bedurften. So begann sich
in der Stanza della Segnatura mitten in dem
Chiaroscuro, welches die Verbrennung der
griechischen Klassiker darstellt, in der
Länge von fast einem Meter der Mauerbe-
wurf loszulösen. Wer eine Vorstellung ge-
winnen will, welche Anstrengungen ge-
macht werden müssen, um in solchem
Falle dem drohenden Verderben Einhalt zu
gebieten, der studiere das Pflaster, das
Mandel auf diese Wunde gelegt hat und
das erst entfernt werden kann, wenn sich
98
Bewurf und Mauer aufs neue zu einer Ein-
heit verbunden haben werden. Man kann
das Verfahren,das diesWunder bewirkt, am
besten mit einer Injektion vergleichen, das
ein Arzt an seinem Patienten vornimmt.
Dieses Verfahren ist aber nur bei Fresko-
gemälden anwendbar, wenn die Farbe fest
in dem mehr als einen Finger dicken
Mauerbewurf eingedrungen ist. Ist die
Farbe al secco auf die Wand aufgetragen,
so verändert sich das Problem. Das ist
z. B. bei den Deckengemälden Peruginos
in der Stanza d’Eliodoro der Fall. Hier blät-
tert die Farbe langsam ab. Hier hat man
immer wieder mit neuen Farben operiert
und auf diese Weise den Charakter der Ge-
mälde nach und nach zerstört. Nur in den
letzten Jahrzehnten hat man nicht mehr
gewagt, diese Fresken zu berühren, aber
Biagetti, der Gelegenheit nahm, sie ein-
gehend zu untersuchen, versichert, daß sie
sich in bedenklichem Zustand befinden und
daß es einer seiner nächsten Sorgen sein
muß, hier zu retten, was noch zu retten ist.
Bekanntlich gelangt man heute durch die
Sala del Papagallo in die Kapelle Niko-
laus V. In diesem Saal ist zur Zeit der
ganze Fußboden aufgenommen worden,
vzeil die Kasettendecke des darunterliegen-
den Saales neugesichert werden mußte. Sie
hängt, wie wir heute feststellen können,
an Holzgerüsten äußerst primitiver Kon-
struktion, die zwischen dem oberen und
dem unteren Saal einen Zwischenraum von
mehr als einen Meter Höhe füllen. Was
aber besonders bemerkenswert ist, sind
zwei leider nur fragmentarisch erhaltene
Friese, eines früheren und eines anderen
späteren Datums, die zwischen dem Fuß-
boden der oberen und der Decke des un-
teren Saals rings an den Wänden entlang
laufen.
Die Entstehungszeit des späteren Frieses
mag wohl mit der erhaltenen Jahreszahl
MDLXX zeitlich richtig festgesetzt werden.
Weit merkwürdiger ist aber der um viel-
leicht zwei Jahrhunderte ältere Fries, der
wohl die ältesten Malereien, die sich im
Vatikan befinden, darstellt. Dieser Fries
wird zur Zeit, soweit er erhalten ist, in
natürlicher Größe durchgepaust und die
Farben kopiert.
Die Pilger des Anno Santo werden die
Kapelle Nikolaus V. nicht besuchen kön-
nen. Sie ist gänzlich mit dem Gerüst ver-
stellt, auf dem der vortreffliche Mandel
Tag für Tag mit seinem mühevollen Werk
beschäftigt ist. Wie natürlich hat er seine
Arbeit oben an der Decke begonnen, wo
Sammlungen
FRESKEN-RESTAURATIONEN
IM VATIKAN
Seit dem Tode des vortrefflichen Lud-
wig Seitz, der sich mit der Wiederherstel-
lung von Pinturicchios Malereien im Ap-
partamento Borgia um die Erhaltung der
Kunstschätze unvergängliche Verdienste
erworben hat, blieb der Posten eines Di-
rektors der päpstlichen Gemäldesammlun-
gen unbesetzt. Erst Pius XI. — dieser
Papst, der für die Gelehrten das bedeutet,
was Julius II. für die Künstler war — hat
den Maler Biagetti auf diesen verantwor-
tungsvollen Platz berufen, der wie Seitz
in der Freskotechnik völlig zu Hause ist
und darum auch alle Möglichkeiten be-
herrscht, die großen Freskenzyklen im Va-
tikan vor Zerstörung zu bewahren. Denn
von allen Problemen, mit denen sich die
Konservatoren der vatikanischen Samm-
lungen zu beschäftigen haben, verursacht
die Erhaltung der Fresken in der Sixtina
und in den Stanzen und in allen andern
Kapellen und Sälen des unermeßlichen Pa-
lastes das meiste Kopfzerbrechen.
Und wie schwer ist es, gerade hier die
geeigneten Kräfte zu finden! Welche Er-
fahrung, welche Geduld, welche Gewissen-
haftigkeit gehört allein dazu, Stück für
Stück an den Wänden abzuklopfen und die
Schäden festzustellen, solange sie noch be-
seitigt werden können.
Zur Zeit ist es eigentlich nur ein einzi-
ger alter Mann mit dem deutschen Namen
Mandel und mit der Geduld des Italieners,
dem Biagetti die Sicherung besonders be-
drohter Freskenteile anzuvertrauen wagt.
Mandel arbeitete im vergangenen Winter
an den Papstporträts in der sixtinischen
Kapelle und den Lünettenbildern Michel-
angelos, ohne einen Pinsel anzuwenden.
Aber er mußte seine Arbeit abbrechen, weil
einige Fresken in den Stanzen und vor
allem die Fresken des Fra Angelico in der
Kapelle Nikolaus V. seiner kundigen Hand
aufs dringendste bedurften. So begann sich
in der Stanza della Segnatura mitten in dem
Chiaroscuro, welches die Verbrennung der
griechischen Klassiker darstellt, in der
Länge von fast einem Meter der Mauerbe-
wurf loszulösen. Wer eine Vorstellung ge-
winnen will, welche Anstrengungen ge-
macht werden müssen, um in solchem
Falle dem drohenden Verderben Einhalt zu
gebieten, der studiere das Pflaster, das
Mandel auf diese Wunde gelegt hat und
das erst entfernt werden kann, wenn sich
98
Bewurf und Mauer aufs neue zu einer Ein-
heit verbunden haben werden. Man kann
das Verfahren,das diesWunder bewirkt, am
besten mit einer Injektion vergleichen, das
ein Arzt an seinem Patienten vornimmt.
Dieses Verfahren ist aber nur bei Fresko-
gemälden anwendbar, wenn die Farbe fest
in dem mehr als einen Finger dicken
Mauerbewurf eingedrungen ist. Ist die
Farbe al secco auf die Wand aufgetragen,
so verändert sich das Problem. Das ist
z. B. bei den Deckengemälden Peruginos
in der Stanza d’Eliodoro der Fall. Hier blät-
tert die Farbe langsam ab. Hier hat man
immer wieder mit neuen Farben operiert
und auf diese Weise den Charakter der Ge-
mälde nach und nach zerstört. Nur in den
letzten Jahrzehnten hat man nicht mehr
gewagt, diese Fresken zu berühren, aber
Biagetti, der Gelegenheit nahm, sie ein-
gehend zu untersuchen, versichert, daß sie
sich in bedenklichem Zustand befinden und
daß es einer seiner nächsten Sorgen sein
muß, hier zu retten, was noch zu retten ist.
Bekanntlich gelangt man heute durch die
Sala del Papagallo in die Kapelle Niko-
laus V. In diesem Saal ist zur Zeit der
ganze Fußboden aufgenommen worden,
vzeil die Kasettendecke des darunterliegen-
den Saales neugesichert werden mußte. Sie
hängt, wie wir heute feststellen können,
an Holzgerüsten äußerst primitiver Kon-
struktion, die zwischen dem oberen und
dem unteren Saal einen Zwischenraum von
mehr als einen Meter Höhe füllen. Was
aber besonders bemerkenswert ist, sind
zwei leider nur fragmentarisch erhaltene
Friese, eines früheren und eines anderen
späteren Datums, die zwischen dem Fuß-
boden der oberen und der Decke des un-
teren Saals rings an den Wänden entlang
laufen.
Die Entstehungszeit des späteren Frieses
mag wohl mit der erhaltenen Jahreszahl
MDLXX zeitlich richtig festgesetzt werden.
Weit merkwürdiger ist aber der um viel-
leicht zwei Jahrhunderte ältere Fries, der
wohl die ältesten Malereien, die sich im
Vatikan befinden, darstellt. Dieser Fries
wird zur Zeit, soweit er erhalten ist, in
natürlicher Größe durchgepaust und die
Farben kopiert.
Die Pilger des Anno Santo werden die
Kapelle Nikolaus V. nicht besuchen kön-
nen. Sie ist gänzlich mit dem Gerüst ver-
stellt, auf dem der vortreffliche Mandel
Tag für Tag mit seinem mühevollen Werk
beschäftigt ist. Wie natürlich hat er seine
Arbeit oben an der Decke begonnen, wo